Nachgefragt bei Emma Thompson

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Foto: Wild Bunch Germany

Man kennt Emma Thompson als Expertin für anspruchsvolle dramatische Rollen wie in „Wiedersehen in Howards End“ (wofür sie 1993 ihren ersten Oscar gewann), Shakespeare-Adaptionen wie „King Lear“ und „Henry V.“ oder zuletzt die Ian McEwan-Verfilmung „Kindeswohl“.

Doch die Britin, die im vergangenen Jahr von der Queen zur Dame ernannt wurde und inzwischen 63 Jahre alt ist, ist auch eine begnadete Komödiantin. In den 1980er-Jahren trat sie gemeinsam mit ihren Kommilitonen Stephen Fry und Hugh Laurie in zahllosen Sketchen auf, später folgten Rollen in Filmen wie „Junior“, „Tatsächlich... Liebe“, „Eine zauberhafte Nanny“ und zuletzt „Cruella“ sowie ein Drehbuch-Oscar für „Sinn und Sinnlichkeit“. Besonders gerne spielt die Cambridge-Absolventin deswegen Rollen, in denen Komik und Tragik nahe beieinander liegen, sei es in der Serie „Years & Years“ oder nun dem wundervollen neuen Kinofilm „Meine Stunden mit Leo“ (ab 14.7.), in als pensionierte Lehrerin Nancy darauf hofft, mit einem jungen Callboy zum ersten Mal einen Orgasmus zu erleben.

Foto: Wild Bunch Germany

Miss Thompson, Ihr neuer Film „Meine Stunden mit Leo“ besteht eigentlich bloß aus zwei Menschen, die sich in einem Hotelzimmer treffen, um Sex zu haben oder zumindest darüber zu sprechen. Was reizte Sie an diesem Projekt?

Die Story und diese beiden Figuren fesselten mich auf Anhieb. Die Drehbuchautorin Katy Brand schickte es mir sofort, als sie es geschrieben hatte, und war sich selbst nicht ganz sicher, ob es das Zeug zu einem Film hat. Doch ich hatte daran nicht die geringsten Zweifel. Eine solche Frau, die zum ersten Mal in ihrem Leben die Dinge selbst in die Hand nimmt und dabei jede Menge Angst vor der eigenen Courage hat, habe ich eigentlich noch nie gespielt. Dass sie wirklich voller Scham ist und so gar keinen Bezug zu ihrem eigenen Körper hat, war für mich eine hochinteressante Herausforderung.

Sie selbst haben mit dieser Frau ziemlich wenig gemein, oder?

Das kann man wohl so sagen (lacht).

Foto: Wild Bunch Germany

Aber kennen Sie solche Frauen?

Natürlich, denn sie ist eine ganz normale Britin, wie unzählige andere auch. Wobei das Wort normal eigentlich fürchterlich ist, denn was bitte ist nicht normal? Jedenfalls kenne ich viele Lehrerinnen, Krankenschwestern oder Bauersfrauen im besten Alter, persönlich oder vom Hören. Ich bin selbst eine Frau und alt, und natürlich habe ich eine Ahnung davon, welche Erfahrungen Frauen über die Jahrzehnte gemacht haben, selbst wenn es nicht meine eigenen sind. Diese Nancy in „Meine Stunden mit Leo“ ist definitiv nicht allzu außergewöhnlich. Gerade in ihrer Generation war und ist es nicht ungewöhnlich, dass Frauen ihre Sexualität unterdrücken und verdrängen und mit Lust und Körperlichkeit praktisch keine Berührungspunkte haben. Zum Glück ist das heutzutage in jüngeren Generationen weit weniger üblich.

Wenn man mal ehrlich ist, wird im Film mehr geredet als gevögelt. Trotzdem sind sowohl Sie als auch Ihren jungen Kollegen Daryl McCormack schließlich nackt zu sehen. Haben Sie sich dabei wohl gefühlt?

Uns allen war die Nacktheit tatsächlich sehr wichtig, denn wir wollten auf keinen Fall diese Scham von Nancy fortsetzen. Wir haben die Nackt- und Sexszenen ganz am Schluss gedreht, und als es dann schließlich so weit war, war das für mich die reinste Freude. Wir hatten es uns wirklich verdient, endlich den Mund zu halten und unsere Körper sprechen zu lassen. Und wir freuten uns alle so für Nancy und Leo, dass sie auch endlich eine gute Zeit miteinander haben konnten. Warum hätte ich mich da unwohl fühlen sollen? Zumal wir an den Tagen natürlich mit besonders kleinem Team gedreht haben. Außer Daryl und mir waren nur die Regisseurin, der Kameramann, sein reizender Assistent und unser geliebter Tonmann dabei. Das war also in jeder Hinsicht eine intime Angelegenheit.

Die meisten von uns sind nie wirklich zufrieden, wenn sie sich nackt im Spiegel betrachten …

Oh, keine Sorge, das geht mir genauso. Ich habe noch nie unvoreingenommen oder vollkommen urteilsfrei in irgendeinen Spiegel geguckt. Leider. Nancy ist im Film tatsächlich weiter als ich es bin. Aber sie hatte auch einen sehr viel längeren Weg zurückzulegen – und in solchen Fällen überspringt man dann in der Weiterentwicklung ja gerne mal ein paar Stadien. Ich bin jedenfalls sehr stolz darauf, wie sie sich am Ende selbst betrachtet.

*Interview: Jonathan Fink


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