KUNST: Was macht einen Mann erotisch?

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Foto: Nadine Dinter „Benjamin Godfre 4“ 2012, HAZEGALLERY

Foto: Nadine Dinter

Menschen einfach so ein Kompliment für ihren Körper zu machen, war eigentlich schon immer (etwas) übergriffig, seit einigen Jahren nun auch diskutiert und eigentlich nicht mehr erwünscht. Schöne Körper angucken kann #mensch aber trotzdem, zum Beispiel, wenn sie kunstvoll abgelichtet und erotisch inszeniert in einer Galerie hängen. Die Foto-Künstlerin Nadine Dinter hatte etwas Zeit für einen Chat.

Was macht einen Mann für dich erotisch? Eine sehr gute Frage, normalerweise ist es eine Mischung aus Aura und Optik, wobei natürlich auch der Charakter stimmen muss. Erotisch finde ich aber auch ein gesundes und lockeres Verhältnis zum eigenen Körper – egal ob durchtrainiert, natürlich oder besonders individuell. Ein fester Blick, ein guter Duft und dass der Mann „bei sich“ ist. Um gemeinsame Fotos entstehen zu lassen, ist gerade Letzteres wichtig, denn diese Haltung hilft mir als Fotografin sehr, die Person und deren Inszenierung einzuschätzen und im Endeffekt umzusetzen. Auf dem Weg zum „perfekten“ Foto weicht dann meistens die Erotik der Konzentration, denn nur so dürfen meiner Meinung nach professionelle Fotosessions ablaufen.

Gibt es Körperteile, die schwer erotisch einzufangen sind? Bei meiner „Torso Reloaded“-Serie ging es ja um eine Hommage an Warhols „Torso“-Serie aus den 1970er-Jahren. Er hatte sich damals vorrangig auf „Dick & Ass“ konzentriert und in relativ engen Bildausschnitten gearbeitet. Für meine Neuinterpretation habe ich den Körperabschnitt, der fotografiert wurde, um einiges weiter gefasst und somit auch Hände, Halspartien und Brustlandschaften dargestellt. Gerade das Fotografieren von Händen ist im Übrigen gar nicht „ohne“, denn es soll locker aussehen, während man dennoch eine bestimmte Pose braucht. Darüber hinaus waren da noch die Genitalien, die jedes meiner Modelle so frei und kreativ inszenieren lassen (oder auch auf Wunsch auslassen) konnte, wie er sich damit wohlfühlte. Während meine „Ur-Torso-Reihe“ (2012) sehr freizügig und „unter Freunden“ mit dem ehemaligen Erotic-Art-Model Benjamin Godfre fotografiert wurde, waren die sechs 2022-Modelle ganz unterschiedlich in ihren Wünschen und Einschränkungen. Die ersten drei Modelle – Alexander Schuktuew (Januar 2022), Traegi (Februar 2022) und Benjamin K. (März 2022) wurden ohne jegliche Intimzone fotografiert; die letzten drei Modelle, Pete, Eric und Ben (alle im April 2022) waren sehr offen und sind ihrem Auftrag als offizielles Model absolut professionell und perfekt nachgekommen. Infolgedessen waren hier auch die primären Geschlechtsorgane ansprechend, erotisch, aber nicht pornografisch abzubilden. Eine tolle Herausforderung sowie auch ein großes Vertrauen, für das ich allen meinen Modellen bis heute sehr dankbar bin.

Wie kommst du an deine Modelle? Mit Alex, Traegi und Benjamin K. war ich bereits bekannt und in Kontakt. Aus diesem Grund konnte ich sie relativ schnell und direkt für dieses Kunstprojekt gewinnen. Die anderen drei Modelle – Pete, Eric und Ben – habe ich offiziell über einen Casting-Call auf model-kartei gescoutet. Seit der Ausstellung in der HAZEGALLERY im Oktober 2022 haben mich einige neue Modelle angeschrieben, aber auch Personen aus meinem Bekanntenkreis, Freunde und Leute aus der Kulturszene. So laufen bereits seit Januar 2023 die neuen Shootings – mit dem Ziel, im kommenden Jahr die zweite Ausstellung zu präsentieren.

Und wie muss #mensch sich so ein Fotoshooting mit dir vorstellen? Über welche Plattform – digital oder persönlich – man sich auch immer kennenlernt, geht es mir als Voraussetzung für eine Zusammenarbeit immer um die gemeinsame Ebene und das Verständnis für das Projekt „Torso Reloaded“. Üblicherweise beginnt alles mit einem Gespräch, in dem ich über die Genese, die Idee und die Serie erzähle. Natürlich zeige ich einige Beispielbilder, die offiziell von den Modellen freigegeben worden sind. Danach wird geklärt, wo das Shooting stattfindet, wann und in welchem Rahmen. Die 2012- und 2022-Bilder sind alle in derselben Hotelsuite entstanden, in einer ruhigen, konzentrierten, aber lockeren Atmosphäre. Jedes Model kann sich die Musik, die beim Shooting läuft, sowie das Getränk wünschen. Vor den Fotoaufnahmen wird der detaillierte Vertrag, der alles Wichtige regelt, durchgesprochen und unterzeichnet. Die Fotos entstehen dann nach einem anfänglichen Kurzbriefing zusammen, indem das Model seinem natürlichen Bewegungsablauf freien Lauf lässt, Pausen gemacht werden und auch Zeit für Gespräche ist. Normalerweise lasse ich mir die Geschichte hinter den Tätowierungen erzählen, denn im Vergleich zu Warhols Modellen sind meine eigentlich immer verziert. So nimmt das Tattoo die Position des Gesichts ein und wird zu einer sekundären Erzählebene – das heißt, die Individualisierung läuft über den Körperschmuck und nicht über das Gesicht. Alle Fotos werden von mir gesichtet, ich stelle im nächsten Schritt meine Favoriten vor, die Ausstellungsexponate und Pressebilder werden dann nochmals separat besprochen und vertraglich fixiert. Für mich steht an erster Stelle, dass ich für das mir entgegengebrachte Vertrauen eine maximale Absicherung und ein höchstes Maß an Respekt garantiere.

Deine Kunst kann bei der HAZEGALLERY gekauft werden, richtig? Genau, richtig. Nach meiner Show in der HAZEGALLERY sind die meisten Bilder nun unter hazebazaar.com/nadine-dinter zu finden und zu erwerben. Weitere Bilder sind noch bis zum 1. November 2023 im east Hotel (www.east-hamburg.de) in Hamburg zu sehen. Anlässlich des Pride Month haben wir jetzt eine besondere Aktion ins Leben gerufen: Wir bieten die Fotografien zu einem speziellen „Pride-Preis“ an und spenden davon wiederum zwanzig Prozent an das schwule Anti-Gewalt-Projekt MANEO (www.maneo.de) in Berlin.

*Interview: Michael Rädel

www.instagram.com/dinterphotography

Foto: Nadine Dinter „Pete“ 2022, HAZEGALLERY

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