Philippe Jaroussky im Interview

by

Foto: M. Borggreve

Zur Eröffnung der neuen Saison im Konzerthaus Berlin versammeln sich die Lieblingsstars der Klassikszene im imposanten Großen Saal: Neben dem Konzerthausorchester Berlin und Chefdirigent Iván Fischer ist das auch Philippe Jaroussky, Countertenor und Artist in Residence 2015/16!

Gewöhnlich findet Jaroussky sein Repertoire in der Zeit der Renaissance und des Barock. Damals war das Stimmfach des Countertenors beliebt und oft eingesetzt. Und so begann auch Philippe Jaroussky vor über zehn Jahren seine Karriere mit Werken von Pergolesi, Scarlatti oder Monteverdi. Seit 2008 gibt es nun ein zeitgenössisches Werk, das dem Countertenor sogar direkt auf den Leib komponiert wurde. Für seine Sonnets de Louise Labé ließ sich Marc-André Dalbavie von den im Jahr 1555 veröffentlichten Sonetten von Louise Labé inspirieren, die wegen der selbstbewussten Haltung, mit der die Dichterin und Musikerin weibliches Begehren ausdrückt, vor einiger Zeit wieder in den Fokus des Interesses rückten. Die vertonte Liebeslyrik kombiniert Iván Fischer in der zweiten Programmhälfte mit der 7. Sinfonie von Gustav Mahler, in der der Komponist das Wesen der Nacht mit musikalischen Mitteln erforscht.

4.9.,KONZERT ZUR SAISONERÖFFNUNG, KONZERTHAUS BERLIN, GENDARMENMARKT, BERLIN, 19 UHR


Wir sprachen anlässlich seiner letzten CD-Veröffentlichung mit Philippe Jaroussky. Ein Auszug aus dem Interview:

WAS DENKST DU ÜBER DIE PSYCHOLOGISCHE WIRKUNG VON MUSIK UND STIMME?

Vielleicht ist es ein wenig provokant, das so zu erklären: Vergleichen wir einfach mal Farinelli mit Maria Callas. Sie trugen ihr ganz persönliches Lebensdrama auf der Stimme. Und die einzige Möglichkeit jemand zu sein, war für die beiden die gleiche: auf der Bühne zu stehen und zu singen. Oder wenn wir uns die einzige AudioAufnahme eines Kastraten anhören, die überliefert ist (Der 1922 verstorbene päpstliche Sänger Alessandro Moreschi war einer der letzten Kastratensänger. Von ihm stammen die einzigen überlieferten Tonaufnahmen des Kastratengesangs. Anmerkung der Redaktion) Er ist sicher nicht der beste Sänger gewesen, aber man kann dieses ungeheure Bedürfnis vernehmen, dass er singen muss. Diese Tragik im Innerlichen. Und dieser innerliche Drang gilt für Callas ebenso wie für Farinelli. Um noch mal auf die Callas zurückzukommen: Sie trug ihr eigenes Drama mit sich herum, und das macht ihren Gesang so schön. Ich vergleiche oft Kastratenstimmen mit der Stimme der Callas, denn wenn sie in tiefen Registern sang, konnte man das fast mit einer männlichen Tenorstimme vergleichen.

WIE SPIEGELT SICH DEIN STIMMFACH IM ROLLENSPEKTRUM WIEDER?

Countertenöre wie ich übernehmen die ehemaligen Kastratenrollen, die heroischen Rollen.

ABER ES GIBT JA RELATIV WENIGE MÄNNER, DIE SO SINGEN KÖNNEN. DAS HEIßT, DASS MEZZOSPORANISTINNEN DANN DIE GLEICHEN ROLLEN ÜBERNEHMEN. WAS VERÄNDERT DAS AN DEN ROLLEN UND DER MÄNNLICHKEIT?

Erstaunlicherweise denke ich, dass Frauen manchmal mehr Männlichkeit ausdrücken könne, als Männer selbst. Denn sie müssen dann mehr Bruststimme benutzen als die Countertenöre. Denken wir an die großartigen Mezzosoprani heute, die diese wunderbaren starken Bruststimmen haben. Im Vergleich dazu sind die zwei Stimmen, die ein Countertenor hat in den höheren Lagen eher etwas jugendlich, kindlich. Kastratenstimmen haben gleichermaßen eine Feinheit, aber auch eine große Ausdruckskraft gehabt. Die Mischung von Stärke und Feinheit, machte einen Kastraten auf der Bühne zu einem Jungen oder einen Mann. Hört man sich heute die Stimme von Ella Fitzgerald an, kann man Ähnliches bemerken: Wenn sie singt, dann kann sie Kind sein, Junge, Mädchen, oder erwachsene Frau oder sogar ein Mann. Und eine Frau kann dadurch so theatralisch sein.

DAS MACHT DEINE ZUSAMMENARBEIT MIT CECILIA BARTOLI JA NOCH INTERESSANTER.

Ja. Man kann unsere Stimmen natürlich nicht vergleichen. Aber wenn wir es doch tun würden: Sie ist perfekt, sie ist so virtuos. Und sie hat einen unglaublichen Stimmumfang. Aber unsere Stimmqualität unterscheidet sich natürlich. Vielleicht ist das Repertoire für Countertenöre aber manchmal schwerer zu singen.

DU SINGST NATÜRLICH NICHT NUR ALTE MUSIK/BAROCK, SONDERN AUCH BEISPIELSWEISE WERKE VON VIVALDI ODER FRANZÖSISCHE LIEDER DES 20. JAHRHUNDERTS, WIE KOMPOSITIONEN VON REYNALDO HAHN.

Vivaldi war für mich sozusagen der beste Manager meines Lebens. Ich entdeckte für mich alle alten Vivaldi-Opern neu. Und damit wurde ich auch bekannt. Er war ein Genie, komponierte ganz charmante Musik. Und mein Album mit den französischen Liedern war besonders in Deutschland ein Erfolg. Obwohl es in Frankreich nicht so viel Anklang fand. Lustigerweise war die Kritik, dass es kein CountertenorRepertoire sei. Das ist eigentlich paradox, denn eigentlich alle Werke, die ich auf CD eingespielt habe, sind ursprünglich nicht für Countertenöre komponiert worden. Und auch das FarinelliRepertoire ist nicht für Counter komponiert. Warum sollte ich also nicht ein breites Repertoire singen und die Poesie der Musik durch meine eigene Stimme ausdrücken? Ich liebe die Musik von Hahn, Fauré und Debussy. Ich wollte immer dieses Repertoire singen. In Deutschland gibt es Sänger wie Diana Damrau und Jonas Kaufmann. Sie singen Oper aber gleichermaßen geben sie nach deutscher Tradition Liederabende. An einem Tag singen sie also dramatische Oper und am Tag danach die Winterreise. Das ist in Deutschland eine Traditionssache. Ich bin zwar Barocksänger, aber vor allen Dingen bin ich ein französischer Sänger. Also sollte es doch klar sein, dass ich französische Lieder singe. Doch in Frankreich war man zunächst ein bisschen skeptisch, dieses Repertoire in den hohen Registern zu hören, noch dazu in der eigenen Sprache. Man war das nicht gewohnt, weil ich so viel italienisch singe.

WIE KOMMST DU MIT DEM VIELEN REISEN ZURECHT?

In einem Monat reise ich viel mehr rum. Du bist zwei Tage in einer Stadt, dann steigst du ins Flugzeug und bist ganz wo anders. Man macht natürlich immer noch nicht jeden Tag ein Konzert, sondern vielleicht alle zwei. Aber das ist für uns heute immer noch viel. Man achtet sehr auf sich, man geht in dein Hotel, schläft viel, spricht nicht zu viel, um die Stimme zu pflegen und zu schonen. Ich liebe es zu reisen und an vielen Orten zu singen. Klassische Musik ist eine der wenigen Musikrichtungen, die man überall auf der Welt singen kann. Aber manchmal braucht man natürlich auch eine Pause von dem ganzen. Dann reise ich auf eine andere Art. Mehr als der privatePhilippe und nicht als der Künstler Philippe Jaroussky. Du bist nie alleine, wenn du beruflich unterwegs bist. Du wirst zum Flugzeug gebracht, am nächsten Flughafen wirst du wieder abgeholt, dann zum Hotel gebracht. Fast wie ein Kind. Das ist nett, man kümmert sich um dich, jeder ist nett zu dir, man behandelt dich wie einen König. Aber das ist ja nicht normal. Deshalb brauche ich manchmal eine andere Art zu reisen. Gerne bleibe ich dann auch mal länger in einer Stadt. Das ist zum Beispiel auch so, wenn du eine Opernproduktion machst, Berlin kenne ich eigentlich ganz gut, weil ich hier schon Produktionen am Theater gemacht habe. Manchmal ist das berufliche Reisen ein bisschen frustrierend. Man ist so viel unterwegs und doch trifft man so wenig auf Menschen. Es sei denn, ich gebe Autogrammstunden. Da merke ich, dass Menschen nicht nur wegen des Autogramms kommen, sondern auch, um sich kurz mit mir zu unterhalten. Das ist wirklich nett. Jedoch kennen sie mich nicht als Person sondern nur als Künstler. Da musste ich für mich auch unterscheiden lernen, wer ist Philippe und wer ist Philippe Jaroussky. Man darf nicht zur Maschine werden, sondern sich auch das menschliche und private bewahren.

 WWW.KONZERTHAUS.DE

Back to topbutton