ALMA: „Glamour ist nur Fake“

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Foto: L. Alic

Skandinavier gelten als nordisch-zurückhaltend. Alma-Sofia Miettinen, die sich als Musikerin schlicht Alma nennt, schlägt diesem Klischee ein Schnippchen. In jeder Hinsicht. Die Finnin wird nicht etwa als leise Stimme gefeiert.

Mit ihrem Debütalbum „Have You Seen Her?“ legt sie eine punkig-rotzige Attitüde an den Tag und scheut vor Kraftausdrücken nicht zurück. In dem Midtempo-Song „LA Money“ bezeichnet sie oberflächliche Hollywood-Tussis, die sich nicht wirklich für ihr Gegenüber interessieren, als „Bitches“. Sie schleudert ihnen hemmungslos F-Wörter entgegen.

Authentische Texte sind eben das Markenzeichen der 24-Jährigen. Auch beim Interview in einer Event-Location im Hamburger Karolinenviertel verstellt sie sich nicht. Mit ihren leuchtend grünen Haaren ist sie nicht zu übersehen. Sie trägt Jeans, T-Shirt, Turnschuhe. Während sie sich auf dem Sofa fläzt, hält sie einen Monolog über Instagram. „Dieser ganze Glamour ist nur Fake“, ereifert sie sich. „Ich habe jedenfalls keine Lust, dieses Spiel mitzuspielen und mir vorschreiben zu lassen, wie ich zu sein habe.“

So cool ist Alma wohl nicht immer, sonst hätte sie ja nicht den Song „Loser“ geschrieben. „Da war ich frustriert“, räumt sie ein. „Mich beschlich das Gefühl, ohne teure Klamotten und einen perfekten Körper würde mich keiner mögen.“ Diesen Durchhänger hat sie zum Glück ziemlich schnell überwunden. Inzwischen will sie nur eins – sich nicht mehr verbiegen: „Wenn mich das zu einer Verliererin macht, ist das in Ordnung. Ich ändere mich trotzdem nicht.“

Foto: M. Leton

Solche Botschaften verpackt Alma meist in griffigem Dance-Pop. In „My Girl“ lotet sie alle Facetten ihres kraftvollen Gesangs aus. Der Titelsong „Have You Seen Her?“ jongliert mit Punk-Elementen. „Bad News Baby“ strebt in Richtung Piano-House. „In diesem Stück spreche ich über mich selbst“, sagt Alma. „Ich ging durch eine Phase, in der ich mich schlecht fühlte und nichts dagegen tun konnte.“ Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Zugleich lässt die Sängerin aus Helsinki mit „Bad News Baby“ nicht den geringsten Zweifel daran, dass mit ihr nicht zu spaßen ist: „Ich warne die Leute davor, mich mies zu behandeln. Das kann nämlich ins Auge gehen.“

Dem Druck männlicher Plattenbosse, mehr wie eine Pop-Prinzessin zu sein, widersetzt sich Alma vehement – obwohl sie als Teenager an der finnischen Castingshow „Pop Idol“ teilnahm. „Das war ein Albtraum“, bilanziert sie. „Es ging allein ums Entertainment. Die Kandidaten wurden künstlerisch nicht unbedingt gefördert.“ Dabei wollte sich Alma weiterentwickeln. Statt sich allein auf den Gesang zu fokussieren, strebte sie danach, eigene Songs zu schreiben. Für sich und für andere. Dieses Ziel hat sie längst erreicht. Sie komponierte für Ariana Grande und Lana Del Rey. Auch an Miley Cyrus’ Hit „Mother’s Daughter“ war sie beteiligt. Parallel dazu schaffte sie an der Seite von Felix Jaehn mit „Bonfire“ den Sprung in die Top Drei.

Andere wären danach womöglich abgehoben, Alma blieb auf dem Boden. Sie bezeichnet ihre Schwester Anna-Livia, die bei ihren Konzerten Schlagzeug spielt, als ihre beste Freundin. Wie nah sie ihrer Mutter steht, belegt der Titel „Mama“. Ein Lied wie „My Girl“ verhehlt nicht, dass Alma lesbisch ist. Ihre Queerness sollte ursprünglich gar nicht publik werden, das fand Alma zu privat: „Heteros sprechen ja auch nicht über ihre sexuelle Orientierung.“

Andererseits ging es ihr gegen den Strich, die Fragen der Journalisten nach einem möglichen Freund stets mit einer Lüge zu beantworten. Also rückte sie irgendwann mit der Wahrheit heraus: „Ich hatte nie ein öffentliches Coming-out. Stattdessen habe ich einfach angefangen, in Interviews von meiner Partnerin zu erzählen.“ Inzwischen postet sie regelmäßig Fotos von sich und ihrer Freundin auf Social Media: „Ich verstecke meine Beziehung nicht. Allerdings würde ich in einer Talkshow keine intimen Details ausplaudern.“

So gelingt Alma der Spagat zwischen Offenheit und Schutz ihrer Privatsphäre. Im Gespräch gibt sie dennoch recht viel von sich preis. Sie verhehlt nicht, dass sie als Kind eher ein Tomboy war: „Ich bin nie der mädchenhafte Typ gewesen, sondern habe lieber Fußball gespielt.“ Bei ihren Klassenkameraden kam das nicht gut an, sie wurde gemobbt. War ihre Kindheit der Horror? „Nein. Ich habe zwar die Schule gehasst, doch meine Familie und meine Freunde standen hinter mir.“

Foto: Universal Music

Mit ihrer Hilfe entwickelte Alma ein gesundes Selbstbewusstsein. Zudem stärkt ihr ein Psychologe den Rücken: „Eine Therapie tut jedem gut. Ich finde es wichtig, über die eigenen Gefühle zu reden.“ Auf diese Weise lernte sie, ihre Prioritäten richtig zu setzen.

Heute kämpft Alma ganz bewusst für Gleichberechtigung: „Ich denke, gerade Prominente sollten gleiche Rechte für alle fordern – sei es für Frauen, für Schwarze oder für die Gay-Community.“ Ohne Zweifel gibt es auf diesem Gebiet noch einiges zu tun: „Obwohl wir im 21. Jahrhundert leben, steht in einigen Ländern auf Homosexualität eine Gefängnisstrafe, teilweise sogar die Todesstrafe. Das ist unfassbar!“ *Dagmar Leischow

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