Austra: „Der ewige Kreis“

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Foto: V. Khateeb

Als wir das letzte Mal mit Austra sprachen, stellte sie sich mit ihrem Album „Future Politics“ als Visionärin heraus, die die Entwicklungen und Wahlen von 2016 vorhergespürt und in Musik gepackt hat. Man darf sich also nicht wundern, dass sie danach von solchen Themen die Nase voll hatte, doch auf „HiRUDiN“ wirft sie nicht nur deswegen einen tiefen Blick ins Innere, in ihr Selbst – sie hatte keine andere Wahl.

Denn in den letzten Jahren lernte sie, wie wichtig es ist, sich genau um dieses Selbst zu kümmern, es zu heilen, wenn es leidet, toxische Beziehungen zu beenden und die Kraft zum Neuanfang zu finden. „Es war nichts, was ich mir ausgesucht habe, die Songs sind so aus mir gekommen“, beschreibt sie diese Zeit dann auch. „Bei ,All I Wanted‘ habe ich am Piano gejammt, wie so oft, und die Worte kamen einfach … und erst, als ich die Aufnahme anhörte, merkte ich, wie intensiv das Lied geworden ist. Das kam direkt aus dem Unterbewussten, und ich war mir auch lange nicht sicher, ob ich es veröffentlichen kann.“ Doch dann spielte sie es ihren Freunden vor und die überzeugten sie schnell, dass genau solche Stücke auf das Album müssen.

Als sich abzeichnete, dass sich diese Intensität durch alle Lieder ziehen würde, begann sie, diese auch als Konzept zu umarmen. „Menschen hören aus so vielen Gründen Musik: Sie hören, um zu entspannen oder um zu flüchten oder um sich mit anderen Menschen zu verbinden. Indem ich etwas sehr Verwundbares gemacht habe, wollte ich mit anderen eine emotionale Verbindung herstellen, um sie an ihre eigene Menschlichkeit zu erinnern. Damit wir Kontakte herstellen, die nicht auf dem Internet basieren.“ Erst mithilfe dieser Kontakte kann man sich so verwundbar zeigen wie Astra. So spricht sie zum Beispiel auch über etwas, das sie noch immer nicht loslässt und das sie mit „Queer Shame“ umschreibt. „Ich glaube, viele queere Menschen haben dieses tief verwurzelte Gefühl, das sie nie verlässt. Ich bin zum Beispiel im liberalsten Haus aufgewachsen, das man sich vorstellen kann, in einer sehr offenen Stadt und Community, aber trotzdem sind so viele Dinge für mich beängstigend, vor allem im alltäglichen Leben. Letztlich hat man ständig neue Coming-outs vor neuen Menschen, immer und immer wieder. ,Hast du einen Freund?‘ – ,Nein, ich bin lesbisch!‘ Und diese tiefen Gefühle spielen auch in unsere Beziehungen hinein und verursachen Probleme, wenn man all diese kleinen wiederkehrenden Momente erlebt, sie mit nach Hause nimmt und es vielleicht nicht einmal merkt, dass sich da etwas anstaut. Das bleibt schwierig, immer.“

Ihre Heilung findet Austra dabei nicht einmal zwangsläufig beim Schreiben von Songs, es geht vielmehr um den schon angesprochenen Kontakt mit anderen Menschen – man muss sich mit Leuten umgeben, die einen unterstützen wollen und können. „Und um das zu erreichen, habe ich jetzt viele Veränderungen umgesetzt. Ich habe mich von meinen alten Kollaborateuren getrennt, meiner damaligen Partnerin, meinem Management. Mein Leben war auf einmal wie eine leere Leinwand, was sehr beängstigend war. Aber ich beschloss, diese Leere jetzt mit Menschen zu füllen, mit denen mein Verhältnis viel ausgeglichener ist.“ Künstler hin oder her, am Ende sind wir alle nur Menschen, die diesen Zusammenhalt brauchen, erklärt sie. „Dann kannst du auch die Kunst machen, die du machen möchtest.“ Aber sie weiß, dass auch mit den neuen Beziehungen kein Endpunkt erreicht ist. „Es wird immer wieder enden und neu anfangen. Es ist ein Kreis und es wird immer einer sein.“ *fis

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