Das Haus von Harry Styles

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Foto: Lloyd Wakefield

Dass Mr. Harry Styles eine große Vergangenheit hat, in der er noch nicht als Solokünstler, sondern als Teil einer gewissen Gruppe bekannt war, spielt mittlerweile wirklich keine Rolle mehr. Wo andere sich gerade noch so als Popstars etablieren können, bevor sie mit den alten Hits und noch älteren Bandmitgliedern wieder auf Tour müssen, hat er es geschafft als eigenständiger Künstler verstanden zu werden. Sein bisher letztes, zweites Album „Fine Line“ war daher nicht nur wieder Nummer eins in den USA, auch die Kritiker waren völlig verzaubert – und das bestimmt nicht, weil sie schon immer heimlich One-Direction-Fans gewesen sind. Es war ein selbstbewusstes Statement mit mehr kreative Ideen als irgendjemand von ihm erwartete hatte. So wurde 2019 das Jahr von Harry Styles – und es scheint, als würde er auch 2022 alles überstrahlen wollen.

Foto: Sony Music

Schon „As It Was“, die erste Single, beweist das. Er will zurecht ernst genommen werden. Und auch mit einem Indie-Dance-Track auf einem 1980er-Fundament wie diesem, gelingt ihm das. Ganz nebenbei kann er die Welt damit auch noch zum Tanzen bringen und das, obwohl es sich um einen eher traurig-melancholischen Blick auf eine Beziehung handelt. Genauer gesagt auf ein Ende, das man jetzt vielleicht endlich akzeptieren kann – einfach weil man muss. So wurde „As It Was“ mit seiner Mischung aus mitreißendem Sound und emotionalem Text in kürzester Zeit zur meistgestreamten Single des Jahres 2022.

Während es beim letzten Album „Fine Line“ vor allem um das Leben und das Erleben alles Körperlichen ging, weißt die Richtung dieses Mal also auf Introspektive und all die ungewollten und gewollten Veränderungen, die jede Seele seit 2019 durchgemacht haben muss. Obwohl er auch auf „As It Was“ wieder mit seinen treuen Kollaborateuren Kid Harpoon und Tyler Johnson zusammengearbeitet hat, scheint nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch ein neuer Horizont erobert zu werden. Und ja, selbst wenn ein alter Boomer wie Noel Gallagher in seiner typischen Art gegen Harry austeilt und behauptet, dass dieser seine Songs nicht schreibt, ist Mr. Styles natürlich trotzdem an allem was erscheint mindestens als Songwriter beteiligt. Auch wenn Noel sich nie den Grund seiner Frustration eingestehen wird: Klar ist sein Neid auf den jungen Mann völlig berechtigt. Was Harry ebenfalls bewusst sein wird, denn er hat sich nicht zu einer Antwort herabgelassen. Doch natürlich hegen nicht alle solch einen Alt-Herren-Groll gegen ihn. Die legendäre Joni Mitchell fühlte sich schon allein von Titel seines kommenden Albums angesprochen: „Harry‘s House“ wird das neue Werk nämlich heißen. Kein Wunder, dass es ihr gefällt, denn vielleicht bezieht er sich ja wirklich auf ihren Song „Harry's House / Centerpiece“. Auch sonst sammelt Harry Styles nur guten Willen. Ob mit seiner genderneutralen Beauty-Linie oder der Selbstverständlichkeit mit der er Geschlechterregeln und -grenzen ignoriert. Dass er allerdings auch noch so aufgeräumt ist, und es ihm gelingt, gleich zweimal täglich zu meditieren, geht dann schon fast zu weit. Doch bloß, weil wir nicht sehr viel von seinen Abgründen und kleinen Macken mitbekommen, heißt das nicht, dass wir sie nicht doch finden können – und wenn es nur als Ausdruck in seiner Musik ist. Dafür ist sie ja letztlich da: Dass wir mit ihm erleben, was er uns über sein Inneres mitteilt. Genau deshalb lädt er uns in sein „House“ ein. Schön, willkommen zu sein. *Christian K. L. Fischer


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