Harry Styles im Ballkleid – oder „Wann ist ein Mann ein Mann?“

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Harry Styles posierte in einem Kleid für das Cover der Vogue. Engstirnige regten sich auf und Twitter antwortete – auch mit prominenter Unterstützung, darunter Elijah Wood und Zach Braff. Wir haben die schönsten Antworten für euch – inklusive Futter für die eigenen Gedanken. 

Ein Mann in einem Gucci-Ballkleid kann schon mal das Feindbild der Männlichkeit selbst sein – zumindest wenn es nach einigen Erzkonservativen geht, die die Welt via Twitter mit ihrer Meinung belästigen. Der simple Anlass dazu: Der britische Sänger Harry Styles („Sign of the Times”) wurde in der 128-jährigen Geschichte der amerikanischen Vogue der erste Mann, der die Titelseite des Magazins ziert – und er trägt dabei, natürlich, ein Kleid von Gucci.


Vorbilder: Prince, Elton John und Freddie

Der ehemalige One Direction-Star fällt nun wahrlich nicht zum ersten Mal durch extravaganten Modegeschmack auf. Auf dem roten Teppich trug er in der Vergangenheit auch schon mal einen schwarzen Chiffon-Einteiler mit Rüschen, dazu einen Perlenohrring. Im Dezember 2019 erklärte er, angesprochen auf seinen Kleidungsstil, er würde ein Kleidungsstück einfach danach auswählen, ob er es cool fände – ganz gleich, ob es möglicherweise mit einem bestimmten Geschlecht oder einer sexuellen Orientierung assoziiert würde. 

In der Titelstory der Dezemberausgabe der Vogue wird der 26-Jährige nicht nur kunstvoll von Starfotograf Tyler Mitchell in Szene gesetzt – er kommt darin auch zu Wort. Styles erzählt, dass seine Vorbilder Prince, Freddie Mercury und Elton John sind – und dass er das Tragen von Kleidung außerhalb der spießigen Geschlechterrollen als befreiend empfindet. 

„Ich gehe manchmal in Geschäfte und finde mich einfach bei der Frauenkleidung wieder, schaue sie an und denke, dass sie wunderbar ist. Es ist wie bei allem anderen auch – immer, wenn man in seinem eigenen Leben Barrieren errichtet, schränkt man sich nur selbst ein. Es macht so viel Freude, mit Kleidung zu spielen. Ich habe nie wirklich viel darüber nachgedacht, was es bedeutet – es wird einfach zu diesem erweiterten Teil des Schaffensprozesses.”

Foto: Larry Williams

Nun könnte man sowohl Styles als auch der Vogue sicher vorwerfen, der PR wegen provozieren zu wollen – aber man muss es auch nicht. Fakt ist: Toxische Männlichkeit, das Festhalten an einem binären Geschlechtsmodell sowie Homo- und Transphobie sind große gesellschaftliche Herausforderungen unserer Zeit und es ist wichtig und begrüßenswert, sich in dieser Diskussion deutlich zu positionieren. 

Natürlich taten dies nicht nur Styles und die Vogue, sondern zugleich auch die Menschen, die auf der anderen Seite stehen – der erzkonservativen Seite, auf der es keinen Glitzer, keine Einhörner und keine Regenbögen gibt.


„Die Linken sind schuld“ und andere Fabeln

Auf Twitter positionierten sich unter anderem die US-amerikanischen politischen Kommentatoren Benjamin Aaron Shapiro und Candace Owens klar gegen das Covershooting und dessen angeblichen Beitrag zu einer 'Verweichlichung der Männlichkeit'. Shapiro ist unter anderem Rechtsanwalt, Autor sowie Gründer und Chefredakteur von „The Daily Wire“ – er gilt als sehr konservativ und als Gegner der Queercommunity.

In mehreren Twitterposts schenkte er Styles und seinem Ballkleid viel Zeit und Aufmerksamkeit. Shapiro warf den Linken eine „Feminisierung der Männlichkeit“ vor – und nutzte die Gelegenheit, um noch einmal auf die Trans*-Community einzudreschen: 

„Die Linken wissen das; sie sagen offen, dass das Geschlecht sowohl unwichtig als auch gesellschaftlich konstruiert ist (deshalb sagt man Ihnen auch, dass ein Mann z.B. eine Frau sein kann, obwohl das keine biologische Grundlage hat).“

Oh, Boy: 

„Männlichkeit und Weiblichkeit existieren. Äußerliche Indikatoren für Männlichkeit und Weiblichkeit gibt es in fast jeder menschlichen Kultur. Jungen wird in praktisch jeder menschlichen Kultur beigebracht, männlicher zu sein, weil die Rolle der Männer nicht immer die gleiche ist wie die der Frauen.“

„Die Linken wissen das natürlich. Styles Absicht bei diesem Fotoshooting ist die Feminisierung der Männlichkeit. Warum sollte es sonst eine Schlagzeile wert sein, wenn Styles ein Kleid anzieht?“

In dieselbe Kerbe schlug auch Candace Owens. Die 31-Jährige Aktivistin und politische Kommentatorin wird dem rechtskonservativen Spektrum zugeordnet. Sie ist eine Unterstützerin von Donald Trump und wurde für ihre Kritik an der 'Black Lives Matter'-Bewegung bekannt. Für die einen fand sie zu Harry Styles Shooting deutliche Worte auf Twitter – für die anderen verbreitete sie rechtspopulistisches Geschwurbel:

„Es gibt keine Gesellschaft, die ohne starke Männer überleben kann. Der Osten weiß das. Im Westen ist die stetige Feminisierung unserer Männer zur gleichen Zeit, zu der unseren Kindern der Marxismus beigebracht wird, kein Zufall. Sie ist ein regelrechter Angriff. Bringt männliche Männer zurück.“


Twitter kämpft gegen toxische Männlichkeit

So weit, so gut. Wenn ein berühmter, sich selbst nicht als homosexuell bezeichnender1 Mann ein Kleid anzieht, waren solche Reaktionen ja leider zu erwarten – die Antwort, die Twitter lieferte, war jedoch eine schöne Überraschung. Owens und Shapiros Behauptungen wurden entlarvt, Männer posteten Bilder in Kleidern, andere Promis mischten sich ein – und alle machten deutlich: Eine Jeans macht noch lange keinen Mann.

Scrubs-Schauspieler Zach Braff (45) schrieb beispielsweise:

„Unser ganzes Leben lang wird Jungen und Männern gesagt, dass wir männlich sein müssen.  Das Leben ist kurz. Seid, was immer ihr sein wollt, verdammt.“

Schauspielerin Olivia Wilde betitelte Candace Owens einfach nur als „armselig“.

Elijah Wood erklärte: Männlichkeit allein macht noch lange keinen Mann. 

Die britische Fernsehmoderatorin Jameela Jamil gab Owens, Shapiro und ihren Unterstützern kurzerhand Geschichtsnachhilfe – schließlich waren vor einigen Jahrhunderten große Perücken, Make-Up und Absätze ein Zeichen von männlichem Wohlstand und Macht. 

Wer wie Shapiro jemanden so deutlich auf Twitter angreift, muss sich im Gegenzug einen Vergleich gefallen lassen: Ein User fragte daher, ob Shapiro denn nun wirklich das ideale Beispiel für Männlichkeit sei –verglichen mit Harry Styles.

Andere Nutzer ließen zur Unterstützung sogar die Hosen fallen. Sie posteten Bilder von sich in Schottenröcken oder Kronen auf dem Kopf. Bravo!


1 Gerüchte, dass Styles, der in der Öffentlichkeit nur Beziehungen mit Frauen hatte, bisexuell ist, halten sich praktisch seit Beginn seiner Karriere. Styles schmetterte Fragen zu seiner Sexualität in den letzten Jahren zunehmend damit ab, dass er sich kein 'Label' verpassen lassen wolle.

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