Everything but the Girl: kompliziert echt

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Foto: Edward Bishop / Virgin

Fast ein Vierteljahrhundert seit dem letzten Album sind Tracey Thorn und Ben Watt recht überraschend wieder da. „Fuse“ heißt die neue, wundervolle Pop-Kollektion von Everything but the Girl, die nichts macht außer Freude.

Sie sind da jetzt so reingeschlittert. Es ist nicht so, dass die zwei niemals über die Möglichkeit gesprochen hätten oder dass es auf der Straße nicht hin und wieder zu Begegnungen mit Menschen kam, die sinngemäß wissen wollten, wie es denn nun aussähe mit neuen Songs. „Aber die Rückkehr von Everything but the Girl stand nie besonders weit vorne auf dem Zettel mit unseren Plänen“, wie Ben Watt es ausdrückt. Bis zum März 2022. Irgendwie seien Watt und Tracey Thorn – die beiden lernten sich an der Uni kennen und sind seit 42 Jahren ununterbrochen ein Paar – in einen kleinen Strudel der gemeinsamen Kreativität geraten. So erzählen sie es im Videointerview, eng beieinander auf einem Sofa in ihrem Heimstudio in London sitzend. Sie teilten ein paar Songideen miteinander, man sei in entspannter Stimmung ohne jeden Druck gewesen. Sie hatten zugleich Lust auf die gemeinsame Arbeit und doch auch sehr niedrige Erwartungen, und selbst enge Freunde hätten monatelang keinen Schimmer gehabt, dass Tracey und Ben zum ersten Mal seit 1999 wieder an einem Everything-but-the-Girl-Album arbeiteten. Im November kündigte das Duo schließlich an, dass die Platte fertig sei und „Fuse“ heiße. Die freudige Verblüffung des Publikums hätte kaum größer sein können. „Wir sind einfach keine sehr laute Band“, sagt Thorn. „Wir lieben es, unter dem Radar zu fliegen, und es widerstrebt uns, jetzt wirklich von einem Comeback zu sprechen.“  Schließlich hätten sie ja nie aufgehört, Kunst zu produzieren, beide veröffentlichten Soloalben und autobiographische Bücher, bloß halt einzeln. Aber als dann die drei Kinder, mittlerweile in den Zwanzigern, das Haus verlassen hatten und Corona eh die ganzen Lebensabläufe durcheinandergewirbelt hatte, hätten sie einfach auch wieder angefangen, sich mehr miteinander zu beschäftigen. Thorn: „Als Ende der Neunziger die Kinder kamen und wir nicht mehr nur Paar und Band, sondern auch Eltern waren, knirschtes es zunehmend zwischen uns, und wir entschieden uns, nicht auch noch bei der Arbeit aufeinander zu hocken.“ 

Foto: Edward Bishop

Das Schöne an „Fuse“ mit seinen zehn hinreißenden, dezent elektronischen, aber immer extrem melodieorientierten Stücken ist die Tatsache, dass es quasi bruchlos an das vorherige Album „Temperamental“ anschließt – bloß, dass diese Platte 1999 erschien. Immer noch steht Thorns tiefe, betörend sinnliche Stimme im Zentrum, immer noch schwenken die Kompositionen mal in Richtung Melancholie, mal in Richtung Euphorie aus, um dann doch stets die Spur zwischen beiden zu halten. Immer noch sind Lieder von Everything but the Girl einfach diesen Tick weiser, umarmender und popmusikalisch vollwertiger als so gut wie alles andere da draußen. Songs wie das atmosphärische „No One Knows We’re Dancing“ (inklusive der vielleicht ersten Erwähnung eines Fiat 500 in der Historie des Pop) oder das zur Ausschweifung aufrufende „Caution to the Wind“ haben einfach gefehlt. Neu erfunden haben die beiden 60-Jährigen („Kümmert uns nicht, außer, dass wir in England jetzt umsonst mit dem Zug fahren können“) nicht, dezent renoviert haben sie ihren Sound schon, er klingt jetzt noch wärmer als in den Neunzigern, wieder etwas mehr so wie zu Anfang der gemeinsamen Karriere. In den 1980ern und frühen 1990ern waren Thorn und Watts auf jazzig angehauchten Folk-Pop („Driving“) spezialisiert, bevor sie durch den eher beiläufig fabrizierten House-Remix des Downtempo-Songs „Missing“ 1995 einen unvorhersehbaren Welthit hatten und bis zur großen Pause mit weiteren Klub-Hits („Walking Wounded“, „Before Today“) ganz weit oben mitspielten. „Das Popstarding war uns damals nie so richtig geheuer, wir fanden das Leben aber auch ganz lustig“, so Tracey rückblickend. „Wir waren komplizierte, aber echte und ganz normale Menschen, die Songs schrieben, von denen manche zu massiven Hits wurden“. Daran, so Ben lächelnd, habe sich bis zum heutigen Tag nicht viel geändert. *Steffen Rüth

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