Lil Nas X: auf dem Thron der Hölle

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Foto: Filip Custic @filipcustic1

Alle Welt war sich einig: Lil Nas X ist ein One-Hit-Wonder. Was sollte man auch anderes glauben, als „Old Town Road“ die amerikanischen Charts zu erobern und auf eine Art zu dominieren begann, wie keine andere Single jemals zuvor. Denn auch wenn alle Rekorde gebrochen wurden – es war doch nur ein kleiner, kurzer Song über einen Ritt mit einem Pferd. Ein albernes Lied. Doch auch schon dieser Erfolg war kein Zufall, denn es zeigte sich, dass dieser damals 19-jährige Junge das Spiel mit den Medien – ob klassische oder soziale Medien – besser beherrschte als viele, die es zum ihrem Beruf gemacht haben. Zum Beispiel: Das erste Video zum Hit aus Szenen des Videospiels „Red Dead Redemption 2“ zu basteln, dem damals gehyptesten Spiel überhaupt, stellte sich als genialer Schachzug heraus. Dass er gleichzeitig dafür sorgen konnte, dass sein Song und der dazugehörige Tanz auf TikTok trendeten, wurde zum entscheidenden Schritt. Doch als er ausgerechnet Billy Ray Cyrus, den Vater von Miley, für einen Remix gewinnen konnte, zeigte Lil Nas auch, dass er nicht nur etwas vom Internet verstand, sondern die moderne Musikwelt besser begriffen hatte als Labelmanager oder Journalisten – die immer noch darüber diskutierten, ob das nun auch Country ist oder doch Hip-Hop sei. Nicht, dass diese Kontroverse nicht ebenfalls ihren Anteil am Erfolg hatte. Am Ende wurde „Old Town Road“ zur am längsten laufenden Nummer-eins-Single in der Geschichte der Billboard Hot 100. Zwei Grammys gab es noch obendrauf. Und hier hätte die Geschichte des Lil Nas X im Rampenlicht nach Meinung aller auch enden sollen. Tat sie aber nicht.

Foto: Filip Custic @filipcustic1

Denn Lil Nas haute einfach die EP „7“ raus , die die 5x Platin-Single „Panini" und den Platin-Song „Rodeo" enthält, und Ende letzten Jahres kam der Track „Holiday“ – allesamt erfolgreich, aber alle nicht mit der Reichweite von „Old Town Road“ zu vergleichen. Was die Hater weiterhin glauben ließ, das wären nur Ausrutscher, und ihre One-Hit-Wonder-These hätte weiter Bestand. Was diese Menschen nicht bemerkt hatten, ist, dass der Künstler hinter diesen Tracks mittlerweile eine Anerkennung und Liebe erfahren hat, die weit über seine Lieder hinausreichte. Schon allein, weil er von Anfang an wie der netteste Mensch auf Erden erschien, der auf allen Plattformen weiterhin aktiv kreativ war und in engem Kontakt mit seinen Fans blieb. Und als er sich auf der Höhe des ersten Erfolges outete, war das nicht nur ein Zeichen in den noch immer von Homophoben dominierten Country- und Hip-Hop-Welten, sondern schrieb in vielerlei Hinsicht Geschichte. So hatte er nicht nur den Gewinn des „Song of the Year“-Awards der Grammys zu feiern, er war nun auch automatisch der erste LGTBIQ*-Künstler, dem das gelungen ist. So hat er fast nebenbei Mauern eingerissen.

All diese Entwicklungen kulminierten vor einigen Wochen in der Veröffentlichung von „Montero (Say My Name)“. Ein perfektes Social-Media-Game traf auf ein großartiges, provokantes Video, der Song selbst ist ein Ohrwurm und der Inhalt eine ehrliche Auseinandersetzung nicht nur mit seiner Sexualität, sondern mit einer sehr persönlichen Beziehungserfahrung. Es ist eine Nachricht an sein jüngeres Selbst, denn „Montero“ ist sein eigener Vorname. Und bei all dem plante er wie selbstverständlich den hysterischen Aufschrei gewisser Medien und Menschen mit ein, die gar nicht merkten, wie sehr er mit ihnen spielte und sie für seine Zwecke nutzte. Er war bei diesem Projekt allen mindestens drei Schritte voraus. Spätestens jetzt mussten auch die größten Skeptiker zugeben, dass Lil Nas X die moderne Medien- und Musikwelt auf eine Art beherrscht, die völlig neu ist.

Bestes Beispiel: In dem wunderschön inszenierten „Montero“-Video dem Teufel einen Lapdance geben, um ihn danach umzubringen und seinen Platz auf dem Thron der Hölle einzunehmen, als wäre dieser schon immer für ihn bestimmt gewesen. Das brachte natürlich diverse christliche Konservative in den USA auf die Palme. Dass er dann aber noch passend zu diesem Video Limited-Edition-Schuhe verkaufte, in denen ein echter Tropfen Blut eingearbeitet war, hat einige Gehirne zum Schmelzen gebracht. Dass er für jede Kritik dann auch schon lange den passenden Twitter-Kommentar vorbereitet hatte, bewies endgültig, dass er auf einem neuen Level operiert. 

Dieser Junge ist nicht einfach ein kleiner Rapper, der Glück hatte – Lil Nas X ist ein multimedial arbeitender Künstler. Er scheint für alles einen Masterplan zu haben und dabei weiter und umfassender zu denken als Generationen an Musikern vor ihm. Er hat die Gegenwart verstanden und er definiert, was ein Kreativer in der Zukunft sein kann. Deshalb ist ihm auch etwas gelungen, das seit Lady Gaga – und vor allem seit Madonna – wohl niemand mehr geschafft hat: Das man sich schon jetzt fragt, was zur Hölle er als Nächstes mit uns vor hat. Das kann ja was werden, wenn in diesem Sommer sein erstes Album „MONTERO“ erscheint. Wir können es kaum erwarten, dass die Show losgeht. *fis

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