Rag 'n' Bone Man: Kaum Raum für Selbstmitleid

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Foto: Columbia Records / Sony Music

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Wer an Rag 'n' Bone Man denkt, der hat sofort „Human“ im Ohr. Diesen phänomenalen Monsterhit aus dem Herbst 2016, mit dem der Engländer – wie auch mit dem Debütalbum gleichen Namens – auf der ganzen Welt unbeschreiblich abräumte und zu einem Weltstar wurde. Wenn auch zu einem, der dem Rummel skeptisch gegenübersteht. „Ich bin ein normaler Typ, der gerne singt und ein ruhiges Leben hatte“, sagt er. „Ich liebe die Bühne, aber es gibt selbstbewusstere Künstler als mich.“ Nach einigen Jahren der privaten Zurückgezogenheit heißt es jetzt allerdings: Willkommen zurück im Rampenlicht.

Eine Sache möchte Rory Graham, wie der Rag 'n' Bone Man bürgerlich heißt, gleich klarstellen: „Für mich ist ‚Life by Misadventure‘ nicht wirklich ein Trennungsalbum. Ich habe mich sehr darum bemüht, den Anteil an Herzschmerz in Grenzen zu halten. Okay, vielleicht gibt es den einen oder anderen Song, an dem der Liebeskummer so ein wenig emporkriecht, aber insgesamt sind die Stücke nicht sehr weinerlich.“ Was auch damit zusammenhängt, dass der Rag 'n' Bone Man den überwiegenden Anteil der neuen Lieder schon geschrieben hatte, als sich der Liebesmist in seinem Leben Bahn brach. „Die meisten Songs sind entstanden, als es mir richtig, richtig gut ging. Ich war angekommen im Leben, Vater geworden, frisch verheiratet. Alles war gut.“ Rory und seine langjährige Partnerin begrüßten im September 2017 ihren Sohnemann Reuben, sie zogen in ein stattliches Anwesen in seiner Heimatstadt Brighton, heirateten im Mai 2019 – und trennten sich am Ende desselben Jahres. „Ich fühlte mich verdammt traurig und allein“, so der Sänger mit der beeindruckenden Statur und der noch beeindruckenderen Stimme. „Zu allem Überfluss ging es dann auch noch mit der Pandemie los. Ich war und bin der festen Überzeugung, dass die Welt gerade nichts weniger dringend braucht als weitere deprimierende Lieder über eine kaputtgegangene Liebe. Ich finde, die Menschen müssen gerade nicht noch weiter runtergezogen, sondern aufgerichtet werden.“ Freilich badet der im Januar 36 Jahre alt gewordene Graham im Album auch schon mal im Selbstmitleid, im intensiv-traurigen „Talking to Myself“ zum Beispiel. Einmal mussten diese Gefühle einfach raus. „Oh yeah, was für ein selbstsüchtiger Song. Was für ein ‚Ich-armer-Kerl‘-Song. Wenn ich den jetzt höre, denke ich ‚Was für ein pathetisches Geheule‘. Aber der Song ist gut. Und er ist wahr. Ein Schnappschuss meines Lebens.“ Er habe kein selbstmitleidiges, sondern ein geradezu schmerzhaft ehrliches Album machen wollen, sagt Rory.

Foto: Marcus Wolff Performance

Sehr freundlich und aufgeräumt guckt Rory Graham beim Gespräch in die Computerkamera. Es ist Montagvormittag, Sohn Reuben hat er gerade im Kindergarten abgeliefert („Er geht da drei Mal die Woche hin. Es ist gut für ihn, eine Struktur zu haben“). Jetzt noch ein paar Zoom-Interviews und „danach werde ich zu einem kleinen Spaziergang antreten.“ Das Leben hat sich wieder beruhigt in Brighton. Nach einer ersten fehlgeschlagenen Romanze, die Rory im Lied „Fall in Love Again“ thematisiert, ist er seit mehreren Monaten wieder liiert, und zwar mit einer Mitarbeiterin jenes Cafés um die Ecke, in dem er morgens gerne seinen Latte trinkt. Die Erleichterung und Freude, dass „Life by Misadventure“ endlich das Licht der Welt erblickt, steht dem Sänger, der einst in der Kneipenszene von Brighton seine ersten scheuen und zaghaften, vom jovial-kommunikativen Vater sowie ein paar Pints Lager forcierten, gesanglichen Gehversuche machte, ins Gesicht geschrieben. Intensiv genug daran gearbeitet hat er. Aufgenommen hat Rory das Album in Nashville, im Studio des Top-Produzenten Mike Elizondo (Eminem, Alanis Morissette). Dabei zeichnete sich mehr und mehr ab, „dass wir die Kurve in Richtung eines Gitarrenalbums nehmen“. Der auf dem Debüt „Human“ noch prägende Blues-Anteil fällt jetzt deutlich geringer aus. Dafür gesellen sich Funk, ein wenig Gospel („Somewhere Along the Way“) und eine gute Ladung Pop (wie im hinreißenden Piano-Song „Anywhere Away from Here“) stilistisch hinzu. „Mit den extrem großartigen Musikern in Nashville haben wir das Album schließlich komplett live eingespielt“, erzählt der Rag'n'Bone Man stolz. „Ich wollte, dass es so roh und so ehrlich, notfalls auch so unbequem ist wie nur möglich.“ Roter Faden der Songs, so Rory, seien seine „Sorgen und Zukunftsängste, insbesondere jetzt als Vater“. Dass „Life by Misadventure“ trotzdem insgesamt fröhlicher und heiterer klingt als das „Human“-Album, hat sogar schon Grahams Mum festgestellt. „Sie hat mich gelobt und gesagt, dass sie beim neuen Album weniger geweint hat als beim ersten.“ *Steffen Rüth


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