Rufus Wainwright: Wieder im Spiel

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Foto: T. Hauser

Ist Rufus Wainwright der letzte Mensch, dem wir für lange Zeit die Hand gegeben haben? Die Pandemie wirft ihre Schatten nicht nur voraus, sondern bereits in alle Winkel des Lebens, als wir den 46-Jährigen – im weit aufgeknöpften weißen Leinenhemd, blauer Stoffhose und mit braun gebranntem Gesicht – am Ende der ersten Märzwoche in Berlin treffen.

Wenige Tage später steigt Corona zum größten Menschheitsdrama seit dem Zweiten Weltkrieg auf, doch hier und jetzt in einem Büro am Berliner Gendarmenmarkt lässt sich noch unverfänglich und bei vorzüglichem Cappuccino plaudern, etwa über Wainwrights jüngsten Australienaufenthalt (daher die Farbe), die neunjährige Tochter Viva, deren Sorgerecht sich Rufus und sein aus Hamburg stammender Kunsthändler-Ehemann Jörn Weisbrodt mit Leonard Cohens Tochter Lorca teilen, aber auch natürlich über „Unfollow The Rules“. So heißt Wainwrights erstes Pop-Album seit „Out Of The Game“, das 2012 erschien. In der Zwischenzeit hat der umtriebige und vielseitige Sohn der 2010 verstorbenen kanadischen Folksängerin Kate McGarrigle und des US-amerikanischen Singe-Songwriters Loudon Wainwright unter anderem Shakespeare-Sonette vertont und seine zweite Oper „Hadrian“ vollendet. „Die Popmusik ist aber immer noch mein Hauptberuf“, betont Rufus, „und ich hatte nach all den Jahren den Drang, dorthin zurückzukehren, wo alles für mich anfing.“ Auch in ganz konkretem Sinne: „Unfollow The Rules“ entstand zusammen mit dem Produzenten Mitchell Froom überwiegend in jenen legendären Sound City Studios in Los Angeles, in denen er einst 1998 sein nach ihm betiteltes Debütalbum aufnahm.

Foto: T. Hauser

„Auch wenn ich nie die größte lebende Popsensation war, der die Leute scharenweise hinterherrannten, so habe ich doch immer eine Menge Wohlwollen und Respekt bekommen.“ Zudem, so Wainwright, sei das Popgeschehen heute näher an ihn herangerückt als in den Jahren zuvor. „Aktuell werden vermeintliche oder tatsächliche Außenseiter wie Billie Eilish oder Lizzo gefeiert. Der Pop hat sich definitiv geöffnet.“ Und da kommt „Unfollow The Rules“ gerade recht. In typischer Rufus-Manier sind die Songs wirklich üppig arrangiert und instrumentiert, über großen, teils hymnischen Harmonien schwelgt er mit seiner sonoren Stimme. Ein zeitloses und inhaltlich auffallend optimistisches Werk hat Rufus da geschaffen. „Das Leben als solches hat für mich etwas sehr Magisches und Zauberhaftes“, sagt Wainwright. „Es ist ein Gemälde, eine Sinfonie, ein großartiges Gedicht.“ Und so heißen die Lieder etwa „Peaceful Afternoon“, „Only The People That I Love“ oder „Romantical Man“, das von Wainwrights Wanderungen in London handelt. „Mein Vater lebte in den 80ern dort, ich besuchte ihn jeden Sommer. Damals war London noch eine andere, nicht mit dem heutigen London vergleichbare Welt. Mein Dad hatte immer zu tun, und ich war dieser kleine, verlorene Junge, der viel alleine war und auf ausgedehnte Streifzüge ging, vor allem durch den Hampstead Heath oder den Regent’s Park, es gab für mich immer irgendwas zu entdecken und zu erleben.“ Die grundlegende Zuversicht, die sich durch „Unfollow The Rules“ zieht, nimmt er nicht zuletzt aus der Gegenüberstellung von damals und heute. „Es ist doch eine tolle Zeit, um am Leben zu sein. Trotz Trump. Trotz allem. Auf einer persönlichen Ebene bin ich überrascht und positiv geschockt, dass ich schon seit fünfzehn Jahren mit meinem Mann glücklich bin. Allgemeiner gefasst denke ich zurück an die Zeit, als ich in die Pubertät kam und überzeugt war, dass ich einmal an Aids sterben müsste. Die Homosexuellen-Ehe war illegal damals, überhaupt war das Schwulsein als solches weit weniger akzeptiert und selbstverständlich als heute. Jetzt habe ich eine Tochter, einen Mann, bin gesund. Wenn ich auf 5.000 Jahre Zivilisation zurückblicke, dann leben wir doch jetzt in der besten Zeit, die wir Menschen je gesehen haben.“ *Steffen Rüth

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