NEUE MUSIKALISCHE FREIHEIT – SCHILLER

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Foto: P. Glaser

Mit „Future“ erschien im Frühling 2016 das erste Schiller-Global-Pop-Album seit dem 2012er-Erfolgswerk „Sonne“ und überraschte mit vielen klubtauglichen Produktionen sowie mit poppigen Stücken und verschiedenen Gastmusikern – sogar Sharon Stone verfasste einen Liedtext. Wir sprachen mit dem Mann hinter den Melodien und Beats, Christopher von Deylen.

DU BIST NACH KALIFORNIEN GEZOGEN, INWIEFERN BEEINFLUSSTE DIESER SCHRITT DEINE MUSIK?

Mein Leben und meine Lebensweise haben sich grundlegend geändert – und auch mein musikalischer Ausdruck. Ich hatte das Gefühl, dass das SCHILLER-Konzentrat über die Jahre dünner wurde, als mir lieb war. Daher auch der zwischenzeitliche Ausflug in die Klassik mit „Opus“ und „Symphonia“. Ich wollte den Blick einmal in eine ganz andere musikalische Richtung lenken. Mir war klar, dass ich nicht mehr einfach da weitermachen konnte, wo das letzte „reguläre“ Album „Sonne“ aufgehört hat. Der Aufenthalt abseits von Berlin hat mir auf jeden Fall geholfen, Dinge zu tun, von denen ich noch vor ein paar Jahren gedacht hätte: „Nein, das kann man doch so nicht machen.“ Mehr als nötig und wahrscheinlich mehr, als es richtig war, habe ich mich zunehmend auf die „SCHILLER-Formel“ fokussiert. Es war an der Zeit, dass eine deutlichere Weiter- und Umentwicklung zu hören ist.

Foto: Sleepingroom Music

„FUTURE“ KLINGT WIE EIN OPTIMISTISCHER BLICK IN DIE ZUKUNFT ...

Ja, das liegt vermutlich auch daran, dass ich das Glück habe, zurzeit sehr frei leben zu können. Nach einer ausgedehnten Tour, ohnehin immer ein ganz spezielles Paralleluniversum, kam ich zurück nach Berlin und dachte mir: „So geht das nicht mehr weiter.“ Also habe ich 2013 meinen gesamten Besitz abgegeben und lebe seitdem bei Freunden oder nutze Airbnb. Mir gibt keine feste Wohnung vor, wo ich wann zu sein habe. Dort ist die Küche, weil da der Kühlschrank steht, dort das Sofa, was einen beschuldigend ansieht: „Benutz mich!“ Es klingt zwar ein wenig nach einem Kalenderspruch, aber „Besitz besitzt“. Erstaunlicherweise vermisse ich überhaupt nichts. Die wunderbare Möglichkeit, ans andere Ende der Welt zu ziehen, um dort neue Menschen und Stimmen zu treffen, ohne zu grübeln, wer zu Hause die Blumen gießt – ein Traum. Ich habe mein „Zuhause“ sozusagen immer dabei. Das hat vermutlich zu einer für mich neuen musikalischen Freiheit geführt. Mein eigenes kleines „Ich bin dann mal weg“.

DIE MUSIK DEINES NEUEN ALBUMS ERSCHEINT MIR WIEDER ETWAS KLUBBIGER UND AUCH POPPIGER. IRRE ICH, ODER LÄDT SCHILLER DIESMAL NICHT NUR ZUR ENTSPANNUNG, SONDERN AUCH ZUM TANZ EIN?

Das Verhältnis zwischen Songs mit Gesang und instrumentalen Stücken war über die Jahre immer variabel. Ich hatte aber einen gewissen Argwohn entwickelt, wenn es um die Bass Drum ging. SCHILLER startete Ende der 1990er mit „Das Glockenspiel“, und fortan war es mir stets wichtig, die Elemente des Dance-Genres zu erweitern und einen eigenen Sound zu erschaffen. Auf „Future“ gibt es viele atmosphärische Stücke zu hören, aber eben auch ganz andere, frischere Songs, wie man sie vorher vielleicht nicht bei SCHILLER vermutet hätte. Und eben auch etwas öfter eine Bass Drum – zum Glück.

KOMMT MAN IN DEN USA LEICHTER AN MUSIKER, DIE MIT EINEM ARBEITEN WOLLEN? IN DEUTSCHLAND SCHEINEN VIELE SO VOR SICH HIN ZU TÜFTELN ...

Ja, genau. Ich habe mich über die letzten Jahre zunehmend zurückgezogen und fast nur noch mit mir selber Musik gemacht. Dabei wurde ich wohl mehr und mehr zum Einsiedler. Unbefangen und mit freiem Blick komponieren zu können, das wäre mir nach über zehn Jahren in Berlin vermutlich nicht so einfach passiert. Mit Kéta habe ich beispielsweise ein paar Tage lang im Studio Songs geschrieben, und als wir die Aufnahmen beendet hatten, fragte sie mich neugierig: „Was machst du eigentlich sonst so?“ Das war ein Traum. In Berlin ist es oft sehr wichtig, vorher zu erfahren, was man vorhat, das Ziel muss benannt, die Frage nach dem Nutzen beantwortet werden. In Amerika war es im wahrsten Sinne etwas „leichter“. „Warum nicht?“ ist dort wichtiger als „Wozu denn?“ Ich hätte mich in Berlin wohl noch drei weitere Jahre einschließen können und wäre sicherlich nicht zum gleichen Ergebnis gekommen. Auch hätte ich viele meiner wunderbaren „Future“-Gäste nie kennengelernt. Die Neugier und Offenheit meines Umfeldes hat mir sehr dabei geholfen, die eigene Neugier zu kultivieren. Und das hat sich sicherlich auch auf die neuen Instrumentalstücke ausgewirkt, die sehr intensive und emotionale Reisen geworden sind.

Foto: Universal Music

EIN LIED HAT SHARON STONE MITGESCHRIEBEN.

Das war eine sehr, sehr seltsame Zusammenarbeit. Sharon Stone kannte überraschenderweise meine Musik. Ihr Agent meldete sich bei mir und fragte mich, ob ich zu ihrem Text nicht einen Song produzieren wolle. Wir haben uns nie gesprochen, aber das Ergebnis gefällt ihr offenbar sehr. Sharon Stone hat ja schon immer die Aura des Unnahbaren umweht, vielleicht musste das so sein. Ein profanes Treffen bei Kaffee und Kuchen passt da irgendwie nicht hinein. Surreal und spannend!

DU HAST MAL GESAGT, DASS DIR VOR ALLEM DER PROZESS, WENN DU AN EINEM LIED ARBEITEST, SPASS MACHT. WANN MERKST DU: JETZT IST DAS LIED FERTIG, GENAU SO SOLL ES KLINGEN?

Das sind zwei unterschiedliche Phasen. Die erste Phase des zeitgleichen gemeinsamen Songwritings und Komponierens in ein und demselben Raum war wirklich neu für mich. Sehr nah, emotional und spannend. Dann beginnt Phase zwei, die eigentliche VerSCHILLERisierung. Ich experimentiere ausgiebig mit Sounds und Sequenzen, was Tage oder auch Monate dauern kann. Dazu habe ich mich an den Rand der Mojave-Wüste zurückgezogen, um mich der archaischen Kraft der Natur auszusetzen. Ich habe da sogar für ein paar Tage in der Wüste im Zelt gelebt. Die karge Landschaft entspricht einem unbeschriebenen weißen Blatt Papier. Ohne Ablenkung konnte ich mich vollkommen der Musik hingeben. Dazu habe ich mir diesmal den „Luxus“ genommen, mir so lange Zeit zu lassen, bis alles wirklich fertig ist. Auch mal schön.

DU KOMMST JETZT AUF TOUR UND SPIELST AUCH IN GROSSEN HALLEN, OBWOHL DEIN TIPP JA IST, DEINE MUSIK MIT KOPFHÖRERN ZU HÖREN.

Genau, damit man alles entdeckt, was ich da versteckt habe. Für mich ist das Komponieren von Musik wie das Erschaffen einer Filmszene. Ich würde mir wünschen, dass man immer wieder etwas Neues entdecken kann. Auf Tour möchte ich das konsequent weiterführen. Durch die Inszenierung mit einer aufwendigen Lichttechnik und unserem speziellen Surround-Sound möchte ich die Arena sozusagen in einen großen Kopfhörer verwandeln. Als bekennender Lampenfieber-Mensch ist das durchaus spannend. Große Arenen, laute Musik, viele Menschen, die epische Breitwand, möglichst energetisch und mit einem großen visuellen Zauberkasten.

•Interview: Michael Rädel


 Update: Schiller spielte 2017 fünf Konzerte in Teheran

Der Elektronikkünstler Schiller hat als erster westlicher Musiker seit der islamischen Revolution mehrere Konzerte im Iran gegeben. In dem streng muslimischen Land ist westliche Popmusik seit 1979 so gut wie verboten.

„Ich bin vollkommen überwältigt von der Begeisterung und dem herzlichen Empfang im Iran. Ich habe erst nach meiner Ankunft in Tehran erfahren, daß ich tatsächlich der erste Künstler bin, der hier seit 39 Jahren auftreten kann. Es ist ein unbescheibliches Gefühl zu erleben, wie Musik Grenzen überwinden und Herzen erobern kann.“

www.schillermusik.de  

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