NEIL CURTIS: DER MENSCH BEPINSELT

© FOTO: NEIL CURTIS

Der Wiener Künstler macht aus dem Ausziehen Kunst: Jedes Kleidungsstück wird durch Farbe ersetzt. „Replace Clothes With Paint“ heißt sein aktuelles Projekt. Neil plant, 100 Menschen bei dieser besonderen Art der Transformation zu filmen, zu fotografieren, ihre Metamorphose zu dokumentieren. Wie weit seine Modelle gehen, bleibt ihnen überlassen. Lassen sie nur ihre Arme und Beine bepinseln oder stehen sie am Ende ganz nackt da?! •yo

JEMANDEM BEIM AUSZIEHEN ZUZUSEHEN UND IHN DANN NOCH ZU BEMALEN ... WIE VOYEURISTISCH IST DAS?

Hier geht es nicht um das Ausziehen, sondern um die Transformation des Models, in der der Körper nicht mit Kleidung, sondern mit Farbe bedeckt ist. Das ist natürlich komplett entgegen den Regeln der Welt, in der wir leben, denn in „unserer“ Welt wird der Mensch und sein Status durch die Kleidung und seine Hautfarbe definiert, und er zeigt sich auch nicht nackt. Aber das ist das Faszinierende an dem Projekt: Die bemalten Menschen sind letztendlich alle gleich und sie sind durch die Bemalung des kompletten Körpers nicht mehr nackt.

WIE STEHEN FARBE UND MODELL MITEINANDER IN BEZIEHUNG?

Die meisten „Replace Clothes With Paint“-Sessions sind in Schwarz-Weiß gefilmt. Insofern sind die verwendeten Farben meist schwarz, manchmal aber auch weiß. In einer Session mit einem Dieb (The Thief) wird das schwarz angezogene Model zum Beispiel weiß bemalt, weil das gleichzeitig die Umkehr vom Bösen zum Guten zeigt. Schwarz ist halt eine sehr intensive Farbe, sie ist meist die größtmögliche Umkehrung der Hautfarbe. Es wird in Zukunft aber die eine oder andere farbige Session geben, immerhin sind 100 Videos geplant.

WARUM BEMALST DU NUR MÄNNER? WIE VERÄNDERT DEINE KUNST DIE WAHRNEHMUNG DES MÄNNLICHEN KÖRPERS?

Als ich mit dem Bodypainten begonnen habe, habe ich vor allem auf meinem eigenen Körper gearbeitet. Irgendwann hat sich das aber umgedreht und ich habe begonnen, auch andere zu bemalen. Der Bezug zum männlichen Körper passt in meinen Augen sehr gut zu meiner Ästhetik, denn meine Arbeiten sind oft sehr rau, hart und kantig – wie eben ein Männerkörper. Mir geht es ja nicht darum, Motive oder Bilder auf den Körper zu malen, sondern den Körper in einem fast schon industriellen Prozess als Ganzes zu verändern. Oft sind sogar die Zwischenschritte – etwa wenn ein Körper nur zur Hälfte schwarz bemalt ist – interessanter als das Endergebnis. Nachdem etwa 99 Prozent der Bodypainting-Arbeiten mit Frauenmodels gemacht werden, habe ich echt kein Problem damit, nur mit Männern zu arbeiten. Ich finde es interessant zu sehen, wie dann beispielsweise Männer auf meine Arbeiten reagieren. Viele würden sich nie mit einem nackten Männerkörper befassen, aber durch die Bemalung ist ihre Wahrnehmung so verändert, dass sie es tun und vielleicht so Vorurteile abbauen. Manche sind von den Ergebnissen dermaßen fasziniert, dass sie selbst spüren wollen, wie das ist, komplett bemalt zu sein. Diese Überwindung macht manche nicht nur für diesen Augenblick der Session glücklich, sondern verändert sie als Menschen.

Internet: WWW.NEILCURTIS.COM

Back to topbutton