Interview: Martin Walde ist Sunny

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Wenn man Martin Walde vom Erscheinungsbild her beschreiben sollte, würde man die Worte sportlich, muskulös und maskulin wählen. Er ist der Typ Mann, nach dem sich die Frauen auf der Straße umdrehen. Sieht man Martin Walde jedoch in der ARD-Kultserie LINDENSTRASSE, bietet sich ein ganz anderes Bild: Hier hat er langes blondes Haar, trägt Highheels und Röcke mit floralem Design.

Foto: Steven Mahner/WDR

Marcel Schenk: Du hast bereits im Kindergarten auf der Bühne gestanden und Sketche gespielt, dann folgte die Theater AG an der Schule. Eigentlich der klassische Weg, so sagen zumindest viele Schauspieler rückblickend, die Anfänge ihrer Karriere betrachtend. Bei Dir kam es aber erst einmal anders. Du wolltest zur Bundeswehr und Dich verpflichten lassen. War der Traum, Schauspieler zu werden, so schnell ausgeträumt für Dich?

Martin Walde: Noch während der Theater AG war ich überzeugt davon, in die Schauspielerei zu gehen. Meine Mutter hatte dies, im Gegensatz zu meinem Vater, der da eher konservativ dachte, immer unterstützt. Irgendwann mit achtzehn kam dann aber der Punkt, an dem ich nicht mehr daran glaubte, diesen Wunsch auch realisieren zu können. Nach dem Abitur wusste ich überhaupt nicht, wie es für mich weitergehen sollte. Als ich bei der Musterung dann die Bundeswehr kennenlernte und hörte, dass man bei Auslandseinsätzen gutes Geld verdienen könne, schien meine Berufswahl entschieden:  Ich lasse mich verpflichten, sagte ich mir, spare Geld und überlege dann in ein paar Jahren nochmal genau, was ich beruflich machen möchte.

Marcel Schenk: Aus diesem Plan wurde aber nichts ...

Martin Walde: Richtig. Ich lernte meine damalige Freundin kennen und konnte mir vom einen auf den anderen Tag nicht mehr vorstellen, auch nur den Grundwehrdienst abzuleisten und von ihr getrennt zu sein. Ich habe daraufhin den Kriegsdienst verweigert. Mit Unterstützung meiner Mutter habe ich danach drei Jahre eine Schauspielschule besucht. Bei der Abschlussprüfung sang ich ein Lied und wurde für eine Band entdeckt. Nachdem ich ein Jahr mit den Jungs durch die Klubs und Festivals gezogen war, bekamen wir das Angebot, für die Bundeswehr in Afghanistan zu spielen. Meine Familie war davon nicht begeistert, aber ich fand es damals eine spannende Sache. Heute sehe ich das differenzierter. Es war nicht ungefährlich dort.

Marcel Schenk: Ab wann stand für Dich fest, endgültig in der Schauspielerei angekommen zu sein?

Martin Walde: Die ersten Jahre als Schauspieler liefen mau bis gar nicht. Es gab immer viel Leerlauf, und ich habe mir selbst Deadlines gesetzt: Wenn ich mit dreißig nicht von der Schauspielerei leben kann, höre ich auf und ergreife einen anderen Beruf, dachte ich mir. Plötzlich kam dann eine Anfrage der RTL-Dailysoap „Alles was zählt“. Ich habe in dieser Serie über ein Jahr lang einen recht unsympathischen, homophoben Fußballer gespielt. Und danach folgten weitere Rollenangebote. Mein Gesicht war inzwischen präsent, die Zuschauer lernten mich kennen. Mit Kunst hat die Arbeit bei einer Dailysoap jedoch wenig zu tun. Richtig lernen und mich entfalten, auch wachsen, konnte ich als Schauspieler dann erstmals bei der LINDENSTRASSE. Daher kann ich sagen: Richtig angekommen bin ich hier.

Foto: Martin Menke/WDR

Marcel Schenk: Du bist als Marek in die LINDENSTRASSE eingestiegen, Deine Rolle erlebte jedoch sehr schnell die Wandlung in Sunny. War Dir die Transgender-Storyline schon beim Vorsprechen bekannt, oder hast Du Dich anfangs nur auf Marek vorbereitet?

Martin Walde: Die Transgender-Storyline war mir von Anfang an bekannt. Ich sollte als Mann einsteigen und im Laufe der Serie zur Frau werden. Dass ich diese Geschichte spielen darf, habe ich für mich als Geschenk angesehen, denn dadurch kann ich zeigen, dass ich Künstler bin. Hana Geißendörfer und Hans W. Geißendörfer haben mir mit dieser Rolle auch eine gewisse Verantwortung übertragen, denn wir sprechen natürlich auch Menschen an, die in genau derselben Lebenssituation stecken, wie Sunny. Menschen, die oftmals nicht wissen, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll.

„Es gibt nichts, was es nicht gibt“

Marcel Schenk: Wie hast Du Dich in die Rolle eingearbeitet? Um sich als Schauspieler auf die realistische Darstellung einer Transfrau vorzubereiten, reicht es doch sicher nicht, nur das Drehbuch zu lesen.

Martin Walde: Ich habe sehr viel Fachliteratur gelesen, war im Internet unterwegs und arbeitete mich durch Begriffe wie Cross-Dressing und Cisgender. Letztlich hat mir aber am meisten geholfen, dass mir die Produktion ermöglichte, mich am Set der LINDENSTRASSE mit echten Transfrauen zu treffen. Hier durfte ich wirklich alle Fragen stellen und erfuhr sehr schnell, dass es nichts gibt, was es nicht gibt. Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als um ein glückliches und selbstbestimmtes Leben. Das klingt so selbstverständlich, ist es aber für viele betroffene Transgender leider noch nicht. Es gibt alle Formen von Selbstakzeptanz und Nicht-Akzeptanz.

Marcel Schenk: Welche Reaktionen von Transfrauen kamen auf Dich zu, als das Thema von der LINDENSTRASSE auf den Bildschirm gebracht wurde?

Martin Walde: Sie waren sehr dankbar. Sie fühlten, dass unsere Geschichte ohne Klischees erzählt wird, und sie sprachen mir von Anfang an ihr Lob für meine Darstellung aus. Dies bedeutet mir wirklich viel.

Marcel Schenk: Was war Dein erster Gedanke, als Du in Frauenkleidern vor der Kamera standest?

Martin Walde: Ich muss nicht versuchen, eine Transfrau zu spielen, sondern ich muss mich in eine Frau hineinversetzen. Transfrauen sind von Geburt an Frau, nur im falschen Körper. Sie denken auch nicht wie ein Mann. Es soll natürlich aussehen, auch wenn es nicht von Anfang an perfekt sein kann.

Marcel Schenk: Deine Rolle hat, nachdem die Transgender-Geschichte in der LINDENSTRASSE deutlich wurde, sehr stark polarisiert. Wie bist Du mit dem Feedback der Zuschauer umgegangen? Hättest Du gedacht, dass eine solche Storyline auch 2016 noch derart für Aufregung sorgt?

Martin Walde: Ich habe nicht damit gerechnet, dass Sunny so viele Zuschauerreaktionen auslösen würde. Es kamen von Anfang an jede Menge positive Nachrichten über die sozialen Netzwerke, auch speziell das Feedback von Transgendern. Mir wurde dadurch bewusst, dass ich mit meiner schauspielerischen Arbeit in der LINDENSTRASSE anderen Menschen die Augen öffnen kann, ihnen Kraft gebe und sie indirekt vielleicht darin unterstütze, für ihr eigenes Leben Entscheidungen zu treffen. Das erfüllt mich schon mit Stolz, das darf ich sagen. Natürlich gibt es aber auch negative Kommentare und Nachrichten im Internet, von Leuten, die es abscheulich und widerlich finden, einen Mann in Frauenkleidern zu sehen. Ich hoffe, dass Sunny dazu beitragen kann, den Zuschauern das Transidentitätsthema näherzubringen, und es der LINDENSTRASSE damit gelingt, für mehr Toleranz und Akzeptanz zu werben. Alle Nörgler wird man nie zufriedenstellen können.

„Ich brauche den Sport“

Marcel Schenk: Du hast einen muskulös definierten Körper. Viele Männer werden da neidisch sein – aber ist nicht speziell Dein Körper dann auch ein Problem für die Darstellung von Sunny?

Martin Walde: Ich kann zum Glück relativ schnell Muskelmasse antrainieren. Für viele Filme werde ich auf eher männlich-sportive Rollen besetzt, wofür mein Aussehen dann natürlich gut passt. Ich versuche aber, diese Projekte nach Möglichkeit so zu terminieren, dass immer auch noch Zeit bleibt, um vor den nächsten Drehs für die LINDENSTRASSE dann wieder Muskelmasse zu verlieren. Sunny ist als Rolle nicht androgyn ausgelegt. Das erleichtert vieles. Aber ich brauche den Sport, er gehört zu meinem Leben dazu und macht mir Spaß. Ich mag meinen Körper, so wie er ist.

Marcel Schenk: Wie sicher bist Du inzwischen auf Highheels?

Martin Walde: Sehr sicher! Ich muss nicht mehr trainieren, schlüpfe in Sunnys Stöckelschuhe und lege los. ...

*Interview: Marcel Schenk

Marcel Schenk moderiert seit 2009 für diverse Radio- und Fernsehstationen. Aktuell sieht man ihn bei 1-2-3.tv (Deutschlands drittgrößtem Shoppingsender). Marcel liebt die Popmusik der 1980er Jahre und Kultserien wie „Falcon Crest“ und „Lindenstraße“. www.marcel-schenk.de

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