Ramin Rachel: Regeln des Zusammenlebens

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Foto: SPD

Neukölln steht für viele Berliner für Party, Spaß und gelungene Integration. Für viele andere steht der Stadtteil für genau das Gegenteil. Wir sprachen mit einem, der es wissen muss: Ramin Rachel, stv. Vorsitzender der Schwusos Neukölln.

NEUKÖLLN IST EIN STADTTEIL, DER POLARISIERT: ES GIBT NEBEN ALL DEN NEUKÖLLN-FANS AUCH VIELE, DIE SICH HIER UNSICHER FÜHLEN. DASS ZWEI MÄNNER HAND IN HAND GEHEN, SCHEINT UNMÖGLICH ...

Ist es aber trotzdem nicht. Vieles, was Menschen über Neukölln denken, gehört der Vergangenheit an. Trotzdem ist noch nicht alles eitel Sonnenschein. Aber der Wandel ist schon atemberaubend: Die innovative Jeunesse dorée der Welt kommt inzwischen mit Vorliebe hierher, junge Israelis essen Falafel neben Französinnen und aufstrebenden Deutschen arabischer Herkunft. Das ist schon spannend. Neukölln ist Innovation pur, nicht mehr Problemkiez. Allerdings gibt es auch noch ein gewisses Potenzial an homophoben Personen, die aber immer mehr verunsichert sind. Das sind nicht immer MigrantInnen, aber doch häufig.

Was wirklich im Augenblick ein Problem zu sein scheint, ist, dass viele Schwule sich gar nicht mehr trauen, offen Zweifel oder auch Ängste zu äußern, die mit einem Zuwachs an Menschen aus anderen Kulturkreisen einhergehen, wo Homosexualität eben nicht normal ist oder im Zweifel gar mit dem Tod bedroht wird. Meine Mutter ist aus dem Iran das ist ein solches Land, leider. Refugees welcome versus Du bist doch Nazi ist aber einer demokratischen Diskussionskultur nicht würdig. Wir müssen offen reden dürfen, ohne zu hetzen. Wenn wir damit aufhören, verliert Demokratie die Legitimation und droht zu scheitern. Das darf nicht passieren.

Foto: M. Rädel

WIE GEHT ES DENN DIR MIT DEINEM FREUND?

Wir sind jetzt seit knapp vier Jahren hier unterwegs zusammen und hatten bisher einen Vorfall wenn man das so bezeichnen will. Wir wurden von drei jungen Männern nahe dem Hermannplatz bepöbelt. Aber: Es kamen andere, übrigens auch Migranten, hinzu, die die Situation entspannten. Schönes Beispiel. Nichtsdestotrotz ist man dann erst mal verunsichert.

AUCH DIE JÜDISCHE GEMEINDE SCHEINT ZUR VORSICHT ZU MAHNEN ...

Ja, Rabbiner Daniel Alter, der selbst zum Opfer eines antisemitischen Übergriffs in Mitte wurde, rät davon ab, mit Kippa durch Neukölln zu laufen.

Hier manifestiert sich ein Nahost-Problem, das wir als Gesamtgesellschaft einfach nicht akzeptieren dürfen. Es gibt klare Regeln des Zusammenlebens, die einzuhalten sind. Demonstrationen wie im letzten Jahr, in der sich eine unheilige Allianz aus Neonazis und gewaltbereiten MigrantInnen gebildet hat, werden wir nicht mehr akzeptieren. Übrigens gegen keine Volks- oder religiöse Gruppe. Darin ist sich nicht nur die SPD, sondern fast das gesamte demokratische Spektrum einig.

Foto: M. Rädel

WIE KÖNNTE MAN DAS MITEINANDER DER KULTUREN BESSER REGELN?

Wir machen uns hierzu schon sehr lange Gedanken. Bildung ist der Schlüssel, aber eben auch Konsequenz des Rechtsstaats.

In Schulen muss die Konfessionsfreiheit unbedingt erhalten bleiben, sonst tragen wir die Konflikte in den Schulalltag. Dazu gehört auch, dass Lehrerinnen mit Kopftuch SchülerInnen mindestens verunsichern können. Stellt euch vor, wie sich ein Heranwachsender fühlt, der weiß, dass er schwul ist und jeden Tag mit einer Lehrerin konfrontiert ist, der das Tragen des Hidschabs so wichtig ist, dass sie deswegen sogar einen Konflikt mit ihrem Dienstherren eingeht. Wie sehr kann dieser Schüler auf faire und gerechte Behandlung vertrauen? In erster Linie gilt: miteinander reden und klarstellen, welche Freiheitswerte diese Gesellschaft als Gemeingut ansieht. Wir Neuköllner Schwusos suchen schon seit 2011 das Gespräch mit den Gemeinden vor Ort und versuchen zu überzeugen.

Aber: Es ist auch eine Bringschuld dieser Gemeinden, ihren Mitgliedern zu verdeutlichen, dass Homosexualität ganz klar zu akzeptieren ist. Punkt. Kein Aber.

Foto: gemeinfrei / tyskfagetdk

WELCHE LÖSUNGSANSÄTZE HAT DENN DIE SPD VOR ORT?

Wir wollen noch konsequenter die Initiative Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt an den Schulen umsetzen, aufklären und mit allen gesellschaftlichen Gruppen, dazu gehören auch die Kirchen, reden. Kazim Erdogan mit seiner Vätergruppe ist ein solcher Multiplikator zum Beispiel. Wir können zum Beispiel von Kanada lernen, das gleich von Anfang an Integrationslotsen einsetzt, die Neuankömmlingen die Regeln des Zusammenlebens klar verdeutlichen. Das halte ich für einen guten Weg. Bildung und Prävention sind die Anker. Wir ermuntern jede und jeden Einzelnen, einzuschreiten. Schwule Sau darf nicht unwidersprochen bleiben. Und soziale Netzwerken dürfen nicht zu asozialen Hetzwerken verkommen. Hier geht Heiko Maaß schon einen guten Weg. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft in Berlin sind sensibilisiert beim Thema homophobe Übergriffe, genauso wie bei xenophoben oder rassistischen Taten. Aber hier man denke an die leider verstorbene Staatsanwältin Heisig könnten wir mit mehr Personal und Konsequenz noch erfolgreicher sein. Letztendlich müssen wir es schaffen, in die Köpfe der Menschen zu kommen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

DU HAST EINMAL ERWÄHNT, DASS SCHWULE AUCH IN DER FLÜCHTLINGS- UND ASYLFRAGE IN EINEM DILEMMA STECKEN. WELCHES IST ES DENN GENAU?

Das Dilemma ist, dass viele Schwule, Lesben und Transgender genau wissen, wie es ist, einer Randgruppe anzugehören. Die meisten sind deswegen auch linksliberal eingestellt. Nun aber wächst das Unbehagen, dass Gay Rights, die wir uns seit 1969 im wahrsten Sinne erkämpft haben, unter dem Deckmantel des interkulturellen Dialogs zur Disposition gestellt werden könnten. Was ist denn bereits geschehen: GLAADT e. V. kritisiert Maneo für ein Kiss-in in Kreuzberg und bezieht sich dabei auf die religiösen Gefühle der AnwohnerInnen. Stefan Kuschners Kunstfigur Hatice erhält aus ähnlichen Gründen Auftrittsverbot im SchwuZ. Ich möchte fast Je suis Hatice rufen. Bei Charlie Hebdo war die Satirefreiheit noch ein verteidigenswertes Gut. Die Community ist hin- und hergerissen zwischen Refugees welcome und der Unsicherheit, was noch kommen wird. Diese rosarote Zwickmühle führt auch dazu, dass viele sich nicht trauen, ihre Bedenken zu äußern, da sie befürchten, als besorgter Bürger zu gelten. Ein Dont ask, dont tell ist mir aber zuwider. Wir wollen ask! und tell!. Und diese Sprachlosigkeit, dieses Schwarz-Weiß-Denken, müssen wir auflösen.

*Interview: Michael Rädel

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