Vendetta gegen Sexclubs?

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Die Nachricht kam überraschend: Kurz nach seinem Umzug vom Mehringdamm nach Alt-Mariendorf musste der Verein Quälgeist Berlin e.V. seine Tore bis auf Weiteres wieder schließen. Der Grund: Ärger mit der Bauaufsicht.

Quälgeist Berlin e.V. ist ein nichtkommerzieller Verein von Fetischliebhabern, richtet sich hauptsächlich an schwule Männer. Für alle Spielarten des BDSM gibt es Veranstaltungen, es werden aber auch aufklärende Workshops zur sicheren Ausführung der Praktiken angeboten. Auf 300 Quadratmetern findet sich neben einer Bar vor allem eine große Auswahl an Spielgeräten (Andreaskreuz, Streckbank, Sling, und viele mehr), Austoben ist ausdrücklich erwünscht. Während der Verein sich selbst als Teil der Berliner Kultur empfindet, scheint er dem Stadtentwicklungsamt ein Dorn im Auge zu sein. Die Gentrifizierung und die steigenden Mieten machten ihm das Leben bereits schwer, drängten den Verein an den Stadtrand. Auch anderen Etablissements wie dem Spanking-Verein Böse Buben e.V. brennt der Hosenboden. Dessen Nutzungsgenehmigung läuft ab, für eine neue Erteilung müssen kostenintensive Auflagen umgesetzt werden. Im Frühjahr wurden die Darkrooms der Scheune und Tom's Bar geschlossen, weil sie die Auflagen der Bauaufsicht nicht erfüllen.

Ist es wahr, gibt es eine Vendetta gegen Berliner Sexklubs?

Auf unsere Anfrage hin wies Gerrit Reitmeyer, stellvertretender Leiter des Stadtentwicklungsamtes Tempelhof-Schöneberg, solche Vermutungen entschieden zurück. Die Bauaufsicht des Bezirksamtes handele nach gesetzlichen Vorschriften. Erst nach deren Intervention habe der Quälgeist e.V. Ende September den Antrag für eine Baugenehmigung eingereicht, obwohl sie bereits seit März die Räumlichkeiten genutzt hätten. Zudem sei der Antrag bislang unvollständig. In einer umfassenden bauaufsichtlichen Prüfung müsse geklärt werden, ob die Räumlichkeiten überhaupt als Versammlungsstätte freigegeben werden dürften. Dies beträfe besonders den Brandschutz und diene der Sicherheit der Besucher. „Ich erinnere nur ungern in diesem Zusammenhang an den Brand in einem Sauna-Club in der Kurfürstenstraße, wo ebenfalls ungenehmigt und leider unbemerkt erhebliche Umbauten vorgenommen worden waren“, so Reitmeyer. Bei dem Brand im Februar 2017 starben drei Menschen.

Die neuen Räumlichkeiten des Quälgeist e.V. liegen planungsrechtlich in einem festgesetzten Industriegebiet, in einem solchen seien zwar Gewerbebetriebe aller Art zulässig, aber keine Vergnügungsstätten. Der Vorstand des Quälgeist e.V. wünscht sich jedoch eine Einstufung nicht als reine Vergnügunsstätte, hofft auf Würdigung des Vereinscharakters. Bis zur zweifelsfreien Klärung dieser Aspekte und Vorlage der erforderlichen Unterlagen sei eine Nutzung als Versammlungsstätte unzulässig. Demnach ist unklar, wann Quälgeist Berlin den Betrieb wieder aufnehmen kann.

Jeder, der schon mal behördlichen Ärger hatte, musste sich wohl fragen: Wie ist es möglich, etwas so zu verkomplizieren? Man lässt sich leicht verführen, den Beamten böse Absicht zu unterstellen. Doch vielleicht sollte man es nicht persönlich nehmen, am Ende ist die deutsche Amtsseele tolerant: Es wird einfach jeder gepiesackt, der sich nicht an die Regeln hält.

Der Vorstand des Quälgeist e.V. appeliert derweil an die Stadtpolitik, damit diese sich stärker dafür einsetzt, Raum für Vereine wie ihren zu schaffen.

„Wenn wir weder in Mischgebieten in der Innenstadt willkommen sind, weil wir als BDSM-Verein die ‚bürgerliche Nachbarschaft' stören, noch in einem Industriegebiet, weil wir dort nicht in den Gebietscharakter passen, wo sollen wir dann hin?“

Update: Razzia im Ajpinia

Am 15. November „marschierten“ laut Mitarbeitern des Ajpnia e.V rund 25 Beamte bzw, Mitarbeiter*innen des Ordnungsamtes in die Vereinsräume ein, um die Konzession zu prüfen. Mitten im Betrieb. „Der Verein ist über die Art und Weise überrascht. Zumindest wurde die Veranstaltung nur gestört und nicht beendet," so der Vorstand in einer Meldung. Was ist da los?

Zwischenstand der Recherche Januar 2019

Nachfragen bei Polizei und zuständigem Bezirksstadtrat, sowie Mitarbeitenden und Geschäftsführern der betroffenen Lokale  haben die vermutete ernüchternde Sachlage bestätigt: Von den Vorwürfen einer gezielten Drangsalierung schwuler Sexbegegnungsstätten durch den Bezirk kann keine Rede sein: Die Razzia im Aipinja war Teil einer regelmäßig durchgeführten Überprüfung aller Gaststätten und Vergnügungsstätten. Diese werden von der Polizei mit dem Fokus auf Arbeitsrecht und Kriminalität geplant und nur von einer Fachkraft des Bezirksamtes begleitet, die baurechtliche Standards grob prüft. Hier wird es bei der Polizei zu internen Überprüfungen kommen, die hoffentlich zukünftig eine höhere Sensibilität für Schutzräume queerer Sexualität zeitigen. Gleichzeitig hat der über die teilweise schrllle Berichterstattung ins Kreuzfeuer geratenen Bezirksstadtrat Jörn Oltmann Betreibende zu einem runden Tisch geladen, um mögliche Szenarien zur Erhaltung der schwulen Sexklubs zu erörtern. Klar ist aber: Weigert sich ein Betreiber Auflagen zu erfüllen, muss die Politik diese ändern, das Bezirksamt und die Polizei können sie nicht einfach außer Kraft setzen.

Das Ajpnia hat sich vom ersten Schock erholt und versucht die festgestellten baulichen Mängel, von denen einige - ähnlich wie mutmaßlich bei der Steamworks-Sauna - schon Vorpächter ohne Genehmigung vornahmen,  zu beheben und will im Dialog mit den Behörden weiter für den Erhalt kämpfen. 

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