25 Jahre PLUS: Eine ganz andere Dimension

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Die Mannheimer Psychologische Lesben- und Schwulenberatung PLUS feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum. Für die Mannheimer Community war PLUS schon immer mehr als bloß eine Beratungsstelle – PLUS entwickelte sich vielmehr zu einer der zentralen Schaltstellen im Rhein-Neckar-Delta für Communityarbeit, war und ist Motor für vielfältige Communityangebote. Im Interview erzählen die Diplom-Psycholog*innen Dr. Ulli Biechele und Margret Göth, zwei der vier Gründungsmitglieder von PLUS, aus den Entstehungsjahren des Vereins.

Margret und Uli – stellt euch und eure Tätigkeit bitte kurz vor; welche „Beziehung“ habt beziehungsweise hattet ihr zu PLUS?

Margret: Ich bin seit 2021 Teil der LSBTI-Beauftragung der Stadt Mannheim. Mitglied bei PLUS bin ich seit Sommer 1999, bin Teil des Gründungsteams und bin irgendwie schon in allen Bereichen tätig gewesen, von Jugendberatung über die Leitung verschiedener Projekte wie KOSI.MA, dem Bereich für sexuelle Gesundheit oder im Bereich Queer Refugees, und natürlich auch in der Finanzverantwortung und Geschäftsführung. Seit Ende 2020 bin ich allerdings nur noch hin und wieder ehrenamtlich für PLUS aktiv.

Ulli: Ich bin schwuler Diplom-Psychologe und gebe psychologische Beratung für queere Menschen in Mannheim, Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis. Als einer der Gründungsväter von PLUS habe ich außer der Einzel- und Paarberatung sowie der Gruppenarbeit im engen Sinn schon fast alles gemacht, was PLUS zu bieten hat: Über 20 Jahre Geschäftsführung, Leitung der Bereiche sexuelle Gesundheit, Jugendberatung, Finanzsteuerung, Eventmanagement …

Zudem bin ich derjenige aus dem Gründungsquartett, der heute noch hauptamtlich bei PLUS tätig ist.

Wie hat sich PLUS 1999 gegründet? Was hat euch motiviert, eine psychologische Beratungsstelle für (damals noch) Lesben und Schwule zu eröffnen?

Ulli: Der Verein ist 1998 entstanden. Andrea (Lang), Thomas (Heinrich) und ich aus Mannheim, sowie Margret, die damals in Osnabrück lebte und nach ein paar Monaten für PLUS nach Mannheim zog, kannten uns aus dem VLSP, damals (Bundes-)Verband Lesbischer Psychologinnen und schwuler Psychologen – das erste Netzwerk, in dem wir unser Community-Wissen und unsere Fachlichkeit zusammenführen konnten.

Das hat uns enorm empowered, auch in unserer Region aktiv zu werden und die psychosoziale Landschaft vielfältiger zu machen. Wir hatten damals einen kleinen Eintrag im Stadtmagazin, über den uns immer wieder Anfragen von Menschen erreichten, die schlechte Erfahrungen als queere Psychotherapie-Klient*innen gemacht hatten. Eine große Umfrage unter Beratungsstellen und Psychotherapiepraxen ergab einerseits viel Unwissen und andererseits auch, dass es Kolleg*innen gab, die offen und erfahren waren in der Arbeit mit queeren Menschen – wobei man sagen muss, in dieser Zeit bedeutete das hauptsächlich lesbisch, schwul, bisexuell. Das Thema Vielfalt von Geschlecht wurde dann in der zweiten Dekade von PLUS immer wichtiger.

Jedenfalls waren wir 1998 an einem Punkt, wo die kritische Masse an motivierten Fachmenschen und an Bedarf nach affirmativer Beratung erreicht wurde, und dann haben wir zu acht den Verein gegründet und am 3. März 1999 mit tatkräftiger Unterstützung unserer Mentor-Organisation, dem Gesundheitstreffpunkt Mannheim, im Paritätischen Zentrum in der Mannheimer Neckarstadt die Beratungsstelle eröffnet.

PLUS hat sich und seine Angebote schnell weiterentwickelt und ist in Laufe der Jahre zu einer der wichtigsten Schaltstellen der Mannheimer Community geworden – ihr habt weitaus mehr organisiert als reine Beratung; welche Aufgaben / Angebote hat PLUS übernommen, die mehr als „Beratung“ waren und wie hat sich das entwickelt?

Margret: Die grundlegende Idee war schon, Beratung anzubieten, und zwar mit einem dezidiert queerfreundlichen und queeraffirmativen Ansatz, auch wenn es dazu wenig Vorbilder und Literatur gab. Aber gerade mit Blick auf die damals schon bestehenden Beratungsstellen, wie Rubicon in Köln, LIBS in Frankfurt und das sub in München – die waren auch zu der Zeit die nächstgelegenen Beratungsangebote – haben wir gesehen, dass es mehr braucht. Wir wollten auf keinen Fall nur individuelle Angebote zu Fragen machen, die immer auch aus den gesellschaftlichen Erfahrungen, sprich Homo-, Trans- und Queerfeindlichkeit resultieren. Wir wollten Gruppen zusammenbringen und Vernetzung stärken. Ganz früh hat eine wöchentliche Selbsterfahrungsgruppe für schwule Männer begonnen.

Außerdem konnten wir die Beratung nicht kostenfrei anbieten, deshalb brauchte es Angebote für diejenigen Menschen, die über wenig finanzielle Mittel verfügen. So gab es dann früh eine Gruppe für junge Lesben und dann die Planungen für das Angebot für schwule Männer mit Psychiatrieerfahrung – hier mit der klaren Perspektive, baldmöglichst auch ein Angebot für Frauen mit Psychiatrieerfahrung zu machen, was da allerdings nie umgesetzt werden konnte.

Schon 2000 haben wir mit den Veranstaltungen der Reihe KulturPLUSLust gestartet. Hier ging es ums Fundraising, gerade beim Queer Bingo, aber auch darum, nicht-kommerzielle Veranstaltungen zu ermöglichen. Relativ schnell waren hauptsächlich Frauen im Orga-Team ehrenamtlich aktiv, und die KulturPLUSLust wurde zu einem lesbisch dominierten Angebot. Das lief bis 2017, vielleicht auch noch länger, und hat mit den Filmnächten echten Kult-Status erreicht.

Auch Information und Aufklärung gehört zur Arbeit von Beratungsstellen. Hier war der Einstieg ein erster gemeinsamer Informationsabend für Eltern mit der städtischen Psychologischen Beratungsstelle. Später sprachen wir dann halb im Scherz, halb im Ernst von PLUS als der „Volkshochschule für Lesben und Schwule“.

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Wie sah die Community(-arbeit) im Jahr 1999 in Mannheim aus?

Margret: Communityarbeit war für uns ganz zentral – wir wollten unsere Angebote für die Community zur Verfügung stellen und wir brauchten die Unterstützung der Community und die Vernetzung. Mannheim war aus unserer Sicht allerdings sehr geprägt durch die große und starke kommerzielle Szene: Neben dem Connexion, den Partys, Kneipen und Bars gab es die SchAM (Schwule Aktion Mannheim), die sich dann nach circa zwei Jahren in SchLAM (Schwul-lesbische Aktion Mannheim) umbenannt hatte, sowie den damals schwulen Sportverein Volleydolls (heute MVD). Viele Lesben waren im Sportverein „Xanthippe springt im Quadrat“ aktiv und der Frauenbuchladen hatte eine monatliche Partyreihe, außerdem gab es die Push-up-Partys. Für die jüngeren Menschen gab es die Quietschboys and –girls, bei denen allerdings wenig Frauen vernetzt waren.

Eine politisch orientierte Vernetzung wie das heutige „Offene Netzwerk LSBTTIQ+ Mannheim“ gab es nicht, und wir sind schon auch stolz, dass wir von PLUS aus zur Entstehung dieser Strukturen über ViMa (Vielfalt für Mannheim), den ersten Runden Tisch und der SchLIMm (Schwul-lesbische Initiative Mannheim) als Vorläuferin des Offenes Netzwerks LSBTTIQ beitragen konnten.

Später kam die Zusammenarbeit im Mannheimer Bündnis für ein Zusammenleben in Vielfalt dazu; hier geht es darum, gemeinsam mit anderen Organisationen für Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit einzutreten. Gleichzeitig mussten wir im Blick auf intersektionale Positionierungen und Erfahrungen dazu lernen – PLUS war anfangs sehr weiß, cis und vom akademischen Blick geprägt. Hier war insbesondere auch die Erarbeitung der Broschüre „Homosexualität und Islam“, die 2017 veröffentlicht wurde, ein wichtiger Meilenstein.

An welchen Punkt war euch klar, dass es größere Strukturen braucht, um eure Community-Arbeit weiterzuführen? Wie kam es dann also zum Beispiel zu KOSI.MA oder dem QZM?

Margret: Die Verantwortung für KOSI.MA und damit die Angebote der Prävention und Beratung zu HIV und anderen STIs war eine Ehre, die wir nicht unbedingt wollten. Mit der Insolvenz der Aidshilfe Mannheim-Ludwigshafen im Jahr 2010 fiel ein sehr wichtiges Angebot in der Region weg. PLUS hat gemeinsam mit anderen Aktiven und Vereinen sehr deutlich darauf hingewiesen, dass Mannheim ein entsprechendes Angebot braucht. Daraufhin wurde PLUS beauftragt, bei den unterschiedlichen Akteuren wie Selbsthilfegruppen und Schwerpunktpraxen, aber auch der queeren Community, die Bedarfe zu ermitteln und ein Konzept für eine zeitgemäße Präventions- und Beratungsarbeit zum Thema sexuelle Gesundheit zu erstellen.

Wir favorisierten die Bildung eines neuen Trägervereins, der die Arbeit übernimmt und mit dem wir kooperieren können. Da sich hierfür niemand fand, entschieden die beteiligten Gruppen und Institutionen gemeinsam, PLUS mit dem Aufbau von KOSI.MA zu beauftragen – leider mit weniger Förderung als zur Umsetzung des Konzepts notwendig gewesen wäre.

Ulli: Das Queere Zentrum QZM geht tatsächlich nicht auf eine Initiative von PLUS zurück, aber es ist ein tolle und wichtige Ergänzung der Angebote. Es zeigt, wie aktiv, engagiert und erfolgreich die Community ist. PLUS kann sich jetzt stärker auf die Beratungsarbeit konzentrieren und zielgerichtet mit dem QZM kooperieren.

Welche Angebote für queere Menschen in Mannheim und dem Rhein-Neckar-Delta bietet PLUS heute?

Ulli: Unser Kerngeschäft ist nach wie vor die Beratung: für Jugendliche, Erwachsene, cis, trans, nicht-binäre, queere Menschen, sowie für ihre Angehörigen und für Fachpersonen im Einzel- wie auch im Zweier- oder Familiensetting.

Ein wichtiger empowernder Baustein sind Gruppen, zum Beispiel die drei Coming-out-Gruppen für die verschiedenen Zielgruppen, die wir jedes Jahr zum Coming-out-Day im Oktober anbieten, oder seit über 20 Jahren die RISPE für psychiatrieerfahrene schwule Männer.

Immer wichtiger, gerade in Zeiten zunehmender Queerfeindlichkeit an den Schulen: unser Aufklärungsprojekt POWER UP – auch für Fachfortbildungen. KOSI.MA haben wir schon erwähnt.

Von Anfang an war klar, dass Jugendarbeit elementar und zentral dafür ist, damit queere Menschen sich entfalten können und die Gesellschaft insgesamt vielfältiger und humaner wird – zurzeit bietet PLUS fünf Jugendgruppen, das queere Jugendzentrum „gut.so“, sowie die „JUGEND von PLUS“ als große Jugendorganisation innerhalb unseres Trägervereins, die diese Angebote mitgestaltet und für politische Sichtbarkeit junger queerer Menschen sorgt, zum Beispiel im Stadtjugendring und im Jugendbeirat der Stadt Mannheim.

Ein Bereich, dessen Bedeutung weiterwächst, ist „PLUS for Refugees“. Der Bedarf queerer geflüchteter Menschen in einem weitgehend ignoranten oder auch feindlichen gesellschaftlichen Umfeld ist riesengroß. Nach Jahren fast schon grotesker Unterfinanzierung ist es PLUS hier im letzten Jahr gelungen, endlich eine verlässliche Finanzierung zu erreichen – zumindest für die überschaubare Gegenwart.

Ein Schwerpunkt der Arbeit in Heidelberg ist beziehungsweise wird ein ganzheitliches Angebot zur Anti-Gewalt-Arbeit sein, mit den Elementen strukturelle und personale Gewaltprävention, Beratung, Bildung, Vernetzung. Von den Fachtagungen, Veröffentlichungen, Fachveranstaltungen sowie der Expertise, die wir in die unterschiedlichsten Gremien, fachlich und politisch, einbringen, mal gar nicht zu reden …

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Was hat sich in euer Beratungsarbeit in den letzten 25 Jahren verändert?

Margret: In mancher Hinsicht hat sich wenig verändert: Es geht darum, Menschen dabei zu stärken, ihren Weg zu gehen und einen Entfaltungsraum für sich zu nutzen. Aber der Blick auf die Menschen und ihre Bedürfnisse ist stärker ausdifferenziert. PLUS macht heute viel spezifischere Angebote, erreicht viel mehr Menschen und hat sich in einem Maß vergrößert, das wir noch vor kurzem nicht erwartet hätten. Wir hatten mal den Traum von vier halben Stellen, jetzt hat PLUS mehr als 18 Mitarbeitende an drei Standorten, dem Stammsitz in der Neckarstadt, dem Jugendtreff gut.so in den Quadraten und den Standort Heidelberg für die Stadt und den Rhein-Neckar-Kreis. Zwar arbeiten fast alle in Teilzeit – aber es ist dennoch eine ganz andere Dimension.

Ulli: Besonders stolz sind wir darauf, dass uns der Generationenwechsel gut gelungen ist: Alle, die heute in der geschäftsführenden Verantwortung bei PLUS stehen, stehen in ihren Dreißigern oder bewegen sich noch darauf zu.

Welche Projekte sind neu bei PLUS in Planung? Wo seht ihr Bedarfe, die Unterstützung brauchen?

Ulli: Unser nächstes großes Projekt ist der Aufbau der Anti-Gewalt-Arbeit in Heidelberg, was dann hoffentlich auch auf Mannheim und den Rhein-Neckar-Kreis ausstrahlen wird.

Was mir besonders am Herzen liegt, ist unser „Fachkreis trans*“ zur Vernetzung und Qualitätssicherung bei der Versorgung von trans* Menschen in der Region, der schon sehr gut angelaufen ist. Wir wünschen uns, dass noch mehr Psychotherapeut*innen sich beteiligen und vor allem sich dafür öffnen, psychotherapeutisch mit trans* Menschen zu arbeiten.

Ein Thema, das uns sehr bewegt, ist der Einsatz für eine offene und tolerante Gesellschaft. Als queere Menschen möchten wir dazu einen dezidierten Beitrag leisten und wünschen uns, dass unsere Verbündeten in der Zivilgesellschaft stark bleiben, und dass etwa auch Eltern und andere Erziehende – mit queeren Kindern oder nicht – Rückenwind erleben für die Erziehung freier und mündiger junger Menschen.

Zu guter Letzt: die Stabilisierung der Geschäftsführung – vor allem in finanzieller Hinsicht. Viel zu lang haben wir strukturell unterfinanziert gearbeitet – öffentliche Förderung fließt fast immer ausschließlich in fachliche Arbeit, die Leitung soll quasi nebenher funktionieren. Bei aller Freude am Aktivismus haben wir alle lernen müssen, dass das persönliche Engagement nicht unbegrenzt ausbeutbar ist.

www.plus-rheinneckar.de

Anlässlich des PLUS-Jubiläum findet am 28. Februar ab 18 Uhr eine Festveranstaltung im MARCHIVUM, Archivplatz 1, Mannheim statt.

Mit dabei sind das Gründungsteam der vier Diplom-Psycholog*innen Andrea Lang, Margret Göth, Thomas Heinrich und Ulli Biechele, die über die Arbeit, Entwicklung und Bedeutung von PLUS sprechen.

Die Veranstaltung wird auch als Live-Übertragung über die Website des MARCHIVUM gestreamt: www.marchivum.de

Interview: Björn Berndt

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