Der Blick der Außenseiter

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Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2021, Norbert Miguletz

Religion, Sex, Moral, Gewalt, Tod: Gilbert & George, das skurrile britische Künstlerpaar, thematisiert die zentralen Impulse des menschlichen Lebens. In der Rolle der Beobachter kommentieren die Künstler, was ihnen auf- und auch missfällt.

Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2021, Norbert Miguletz

Die Haltung der kritischen Distanz pflegen die beiden seit Beginn ihrer gemeinsamen Tätigkeit als Studenten am Londoner Central St. Martins College: Den damals gängigen Kanon der Bildhauerei lehnten sie ab – zu formalistisch, ohne Inhalt und Emotionen. Mit dieser Haltung wurden sie zu Außenseitern – doch anstatt daran zu verzweifeln, pflegten sie diese Rolle und bauten sie aus: Sie beschlossen, zukünftig als Künstler in Personalunion aufzutreten – ein Novum – , sich selbst in den Mittelpunkt ihrer Kunst zu stellen und als „Living Sculpture“ zu inszenieren – als lebendes Kunstwerk. Dazu gehören bis heute ihre Outfits – mittelmäßige Maßanzüge, nicht zu modisch, als Referenz einer „lower class“, der sie sich zugehörig fühlten. Sie wollen nicht nur adrett aussehen, sondern sich damit auch abheben vom gängigen Bild der middle class Künstler, die gewöhnlich eher lässige Kleidung tragen.


Eine ihrer ersten Arbeiten – eine Art Tanz-Performance zu einem altmodischen Song – erntete im Künstlerkreisen Spott und Ablehnung. Sie kommentierten das mit einem Foto, auf dem sie sich fröhlich lachend selbst als „George, the Cunt and Gilbert, the Shit“ titulierten und damit ihren Kritikern den Wind aus den Segeln nahmen.

Als schwule Männer waren sie ebenfalls Außenseiter. Zwar wurde Ende der 60er das britische Strafrecht für homosexuelle Handlungen gelockert, aber gesellschaftlich waren Homosexuelle nicht anerkannt. Trotzdem – oder gerade deswegen – thematisieren sie Homosexualität in ihren Werken: Sexuelle Praktiken, Penisse und kecke Jungs sind oft verwendete Symbole, die sie im Übrigen selbst lieber als „Botschaften“ bezeichnen. Sexualität, unabhängig von ihrer Orientierung, ist eines der wichtigsten Lebensimpulse. Dass sie als homosexuelle Männer in ihrer Kunst einen explizit schwulen Blick auf die Welt haben, ist kein Widerspruch. Der Impuls ist derselbe.

Gilbert & George wollen das Leben zeigen wie es ist, mit allen angenehmen wie unangenehmen Seiten. Dabei möchten sie durchaus provozieren und festgefahrene Denkschemata durchbrechen – oder wie sie es selbst formulieren: „Unsere Kunst soll das Bigotte aus den Liberalen herauslocken – und das Liberale aus dem Bigotten“.

Noch eindeutiger äußern sich Gilbert & George vor allem in ihren neueren Werken zu Religion und Nationalismus: Letzteren finden sie regelrecht „zum Kotzen“ („Vomit“ aus 2014), und auch für die Doppelmoral der Kirche haben sie kein Verständnis.

Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2021, Norbert Miguletz

Die Ausstellung „The Great Exhibition“ zeigt das humanistische Weltbild von Gilbert & George mit Werken von 1971 bis 2019. Sie wurde bereits in Arles, Stockholm, Oslo, Reykjavik und Zürich gezeigt. Für ihre Botschaft an die Welt haben Gilbert & George die gezeigten Werke nicht nur persönlich ausgewählt, sondern auch für jeden Ausstellungsort neu zusammengestellt. Es ist spannend zu beobachten, wie die Werke in verschiedenen Konstellationen miteinander kommunizieren und immer wieder neue, wechselseitige Assoziationen wecken.

Die Plakat-Edition

Die Schirn hat fünf Motive der aktuellen Ausstellung „Gilbert & George – The Great Exhibition“ als Kunstdrucke herausgebracht: Neben „Red Morning Attack“, „City Drop“ (als Quer- und Ausschnitt-Hochformat), „Beard Toast“ und „Christs“ gibt es auch die bunten „Sperm Eaters“ in DIN-A-1-Format für’s heimische Wohnzimmer. Mit knalligen Farben und provozierenden Motiven ein echter Hingucker!

Schirn, Römerberg, Frankfurt, www.schirn.de

Die Ausstellung wurde bis Anfang September verlängert, dazu gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm, das auch online zur Verfügung steht. Empfehlenswert ist auch der große Ausstellungskatalog.

Am 1. Mai und ab dann jeden Donnerstag präsentiert die Schirn jeweils um 19 Uhr ein digitales Zoom-Webinar mit Highlights der Ausstellung und interaktiven Elementen; Infos über die Schirn-Website.

Die Kunstdrucke gibt’s über den Schirn-Shop


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