Die Stadt als Partner

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Foto: Wiesbaden Congress & Marketing GmbH

Seit 2018 hat Wiesbaden eine Koordinierungsstelle für LSBT*IQ-Lebensweisen und mit Stefan Kräh einen kompetenten Leiter, der das Amt mit Leben füllt. Wie das aussieht erklärt Stefan im Interview.


Stefan, was sind deine Aufgaben?

Foto: wiesbaden.de

Zum einen den Oberbürgermeister und den Magistrat, die Stadtverordnetenversammlung und die Ämter, Behörden und Eigenbetriebe der Landeshautstadt Wiesbaden zum Thema LSBTIQ* zu beraten. Wenn dort Beratungsbedarf besteht, können die mich ansprechen. Konkret heißt das zum Beispiel wenn das Standesamt Fragen bezüglich drittem Personenstands oder der Anerkennung von Ehen gleichgeschlechtlicher Partner aus anderen Ländern haben, oder wenn die städtische Jugendarbeit beschließt, dass ihre Jugendhäuser in den Stadtteilen LSBTIQ*-freundlich gestaltet werden soll, finden wir dann gemeinsam Lösungen.

Ich mache auch Beratungsangebote für städtische Mitarbeiter, zum Beispiel zu deren Coming Out oder zu Fragen wie „Wie verhalte ich mich, wenn meine Kollegin aus dem Urlaub als Kollege zurückkommt?“.

Der andere Themenbereich ist Beratung und Unterstützung für die Community. Die Vereine arbeiten ja größtenteils ehrenamtlich und haben genug zu tun. Ich stehe mit ihnen in Kontakt, begleite deren Arbeit und unterstütze sie, mache sie gegenseitig bekannt, rege Zusammenarbeit an und vernetze sie.

Ich organisiere auch den Runden Tisch der Stadt Wiesbaden, an dem sich einmal im Quartal die Vertreter*innen der Wiesbadener LSBTIQ*-Gruppen und -Vereine mit Vertreter*innen der Stadtpolitik zusammensetzen. Der Runde Tisch war auch Initiator der Koordinierungsstelle.

Auch als Bürger kann man mit Fragen zum Thema zu mir kommen. Wir haben eine tolle Beratungsstruktur für LSBTIQ*-Themen in Wiesbaden, es gibt zum Beispiel die AIDS-Hilfe, es gibt ProFamilia und man kann sich auch an mich wenden.

Eigene Fachveranstaltungen wie Podiumsdiskussionen organisiere ich auch sehr gern. Einfach auch, damit das Thema alltäglich wird.

Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ist einfach Normalität. Und damit sich das für alle auch so anfühlt, muss man etwas dafür tun!

Dass sich auch Bürger bei der Koordinationsstelle melden können ist nicht üblich für diese Art von Stellen, oder?

Die Koordinationsstellen sind überall verschieden organisiert, bei einigen wird vor allem intern in die Stadtverwaltung hinein gearbeitet. Andere starten zum Beispiel öffentlichkeitswirksame Aktionen zur Akzeptanzförderung in der Stadtgesellschaft. Das mache ich auch sehr gerne, zusammen mit anderen Organisationen. Zum Beispiel habe ich mit der DGTI zum Transgender Day of Remembrance einen Film gezeigt und eine Ausstellung zum Thema organisiert, oder Auftritte beim CSD oder zum 17.5.. Da ist dann auch klar, dass an diesen Terminen die Regenbogenfahne am Rathaus hängt.

Die hängst du auf?

(Lacht) Ich frage die Zuständigen, ob sie die bitte aufhängen können. Und die machen das dann auch immer sehr gerne.

Foto: CSD Wiesbaden e.V.

Welche Rolle spielte der Runde Tisch bei der Einrichtung der Koordinierungsstelle?

Den Runden Tisch gibt es in Wiesbaden seit 2014. Er entstand aus einer Initiative des Vereins „Warmes Wiesbaden“ und der AIDS-Hilfe Wiesbaden und wurde noch unter dem damaligen Bürgermeister Sven Gerich eingerichtet. Die kommunale Frauenbeauftragte Saskia Veit-Pranghat ihn organisiert, zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern der Community. Dort entstand auch schnell die Forderung nach einer Person in der Stadtverwaltung, die ausschließlich für LSBTIQ*-Themen zuständig ist. Zunächst wurde diskutiert, ob diese Stelle bei der kommunalen Frauenbeauftragten ansiedelt wird, aber dann wurde schnell klar, dass es eine eigene Stabstelle im Büro des Oberbürgermeisters sein sollte. Das mache ich jetzt. In der Zukunft könnte eine Kollegin dazukommen, aber momentan baue ich das noch alleine auf. Eine paritätische Besetzung der Stelle fände ich gut, weil die Zielgruppe sehr bunt und gemischt ist, und da wäre es schön, wenn zum Beispiel eine lesbische Frau oder eine Trans*-Person mit dabei wäre.

Der Trugschluss ist ja oft, dass man davon ausgeht, dass es keine Probleme im Umgang mit der LSBTIQ*-Community gäbe ...

Ich weiß noch ziemlich genau, als die Pressemitteilung zur Einrichtung der Stelle rausgegeben wurde, gab es insbesondere in den sozialen Medien ziemlich viele Kommentare, die gezeigt haben, dass LSBTIQ* für viele gar nicht so normal ist. Da gab es ziemlich viel Hass, Homophobie, Vorurteile und Klischeevorstellungen. Und das war für mich der beste Beweis, dass wir für die Akzeptanz von Vielfalt noch viel tun müssen. Und da ist es schon richtig, dass es diese Stelle gibt.

Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass viele zwar keine Berührungsängste, aber auch keine Berührungspunkte mit LSBTIQ* haben. Sie haben Wissenslücken und möchten oft einfach mehr erfahren. Und da habe ich in meinen bisherigen Gesprächen immer gute Erfahrungen gemacht. Wiesbaden ist eine vielfältige Stadt die diese Vielfalt auch leben möchte!

Gibt es aktuelle Projekte, an denen du arbeitest?

Pandemiebedingt ist natürlich vieles ausgefallen. Ich hatte eine Ausstellung im Rathaus geplant, die nicht stattfinden konnte, der CSD ist ausgefallen. Der Runde Tisch wird online ausgeführt und ich habe einzelne Veranstaltungen und Gespräche online ausgeführt. Wiesbaden hat mit Breslau eine Partnerstadt in Polen, da halte ich auch Kontakt zur dortigen Community und auch Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende steht im Austausch mit dem Stadtpräsidenten in Breslau. Das läuft alles über meinen Tisch, weil sich natürlich auch die LSBTIQ*-Community dafür interessiert, was gerade in Breslau los ist. Das war ein Thema und hat mich beschäftigt.

Eine wichtige Sache steht derzeit an: Es gibt einen Arbeitskreis zur Frage, ob man ein Queeres Zentrum in Wiesbaden haben möchte und wie man das umsetzen kann.

Es wird eine digitale Beteiligungsmöglichkeit geben, die erklärt, wie so ein Zentrum aussehen soll und warum es so wichtig ist. Einen Ort, an dem die Leute zusammenkommen können und auch die Beratungsstellen ihren Platz finden. Damit queeres Leben in Wiesbaden einfach auch ein zu Hause hat. Die Community ist da sehr gewillt und möchte für den nächsten Doppelhaushalt das Konzept einreichen.

Du kommst aus Darmstadt und der dortigen Queerbewegung, unter anderem auch mit dem Verein vielbunt – wie siehst du deine Arbeit in Bezug dazu?

Also, wenn ich mir meinen Aktivismus der letzten 15 Jahre anschaue und meine jetzige Arbeitsstelle, dann würde ich – natürlich mit einem Augenzwinkern betrachtet – fast schon sagen, ich hätte die Seiten gewechselt. Der queere Aktivismus den ich praktiziere, richtet sich eigentlich immer gegen die Obrigkeit oder die Entscheidungsträger. Und jetzt sitze ich auf der anderen Seite.

Aber ich denke, dass das eine gute Entwicklung ist. Ich wusste was ich mache. Ich bringe auch eine Credibility, eine Authentizität mit, die vor allem für meine jetzige Arbeit mit den Organisationen gut ist. Viele kennen mich, weil wir vorher schon in Bündnissen zusammen gearbeitet haben. Die fanden auch gut, dass ich jetzt die Koordinierungsstelle mache. Ich verstehe ihre Arbeit und weiß, was man als LSBTIQ*-Organisationen von der Stadtverwaltung oder von der Politik auf kommunaler Ebene erwarten kann. Und deswegen finde ich, dass das eine ganz gute Fortführung meines bisherigen queeren Werdeganges ist.

Ich finde auch eine sehr schöne Entwicklung, dass es in immer mehr Städten die LSBTIQ*-Stellen gibt. Und ich glaube, dass LSBTIQ*-Politik auf kommunaler Ebene wichtig ist und auch funktioniert. Es gibt eben nicht nur die Bundesthemen wie „Ehe für alle“, das Transsexuellengesetz oder der dritte Personenstand, sondern es gibt auf kommunaler Ebene so viele Themen wie queere Zentren, Förderung von ortsansässigen Projekten, Förderung von Beratungsstrukturen, und alle brauchen die Stadt als Partner. Und die Stadt sollte da auch ein Partner sein.

Illustration: Stadt Wiesbaden

LSBT*IQ-Koordinationsstelle der Stadt Wiesbaden im Rathaus, Schlossplatz 6, Wiesbaden, Sprechzeiten: Montag bis Donnerstag 9 bis 16:30 Uhr, Beratung nach Vereinbarung, Kontakt über 0611 314048, stefan.kraeh@wiesbaden.de, www.wiesbaden.de

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