„Es ist ein politisches Experiment“

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Foto: Sergio Vitale

Der Berliner Querverlag, Deutschlands erster und laut eigenen Angaben auch einziger explizit lesbisch-schwuler Buchverlag, feiert sein 25-jähriges Bestehen.

Ausgerechnet in seinem Jubiläumsjahr wird der Querverlag nicht bei der Frankfurter Buchmesse vertreten sein. Wieso sich die Querverleger Jim Baker und Ilona Bubeck schon vor der Absage der physischen Buchmesse dagegen entschieden haben, sowie über die Geschichte des Verlags und über die Neuerscheinungen im Herbst erzählt Jim Baker im Interview.


Erst mal herzlichen Glückwunsch zum 25-jährigen Jubiläum! Ist der Querverlag wirklich Deutschlands einziger lesbisch-schwuler Buchverlag?

Ja, es gibt viele schwule Verlage oder lesbische Verlage, aber wir sind wirklich ein Verlag, der beide Bereiche abdeckt und inzwischen auch um trans*-Themen ergänzt wird. Wir wachsen ja auch mit der Zeit.

Lesbisch-schwul spiegelt sich beim Querverlag auch schon in der Verlagsleitung wieder, die seit Anbeginn paritätisch besetzt ist. Habt ihr eine Art Arbeitsteilung?

Die meisten denken immer, ich mache die schwulen Titel und Ilona die lesbischen Titel, aber das ist ganz und gar nicht so. Die Entscheidungen, welche Titel wir machen wollen und was das Programm angeht, treffen wir zusammen. Ich bin mit der Betreuung der Titel bis zur Drucklegung verantwortlich, und sobald das Buch auf dem Markt ist, übernimmt Ilona und kümmert sich um den Verkauf, das Marketing und die Finanzen.

Eure Bandbreite reicht von der leichten Sommerlektüre bis hin zum Ratgeber für Regenbogenfamilien – bekommt ihr Themen angeboten oder geht ihr dabei auch selbst auf Suche?

Ich unterscheide da zwischen Belletristik und Sachbüchern. Bei der Belletristik haben wir mit der Vielfalt gar keine Probleme, da werden uns immer Themen angeboten. Bei den Sachbüchern ist das ein bisschen anders. Ich weiß noch, wie ich händeringend nach Autorinnen oder Autoren für eine leichtverständliche Einführung in „Queer Theory“ gesucht habe: Damals ist es uns nicht gelungen, in Deutschland jemanden zu finden, der oder die bereit gewesen wäre, für wenig Geld – das muss man immer dazusagen – dieses Buch für uns zu schreiben. Letztendlich wurde das Buch dann eine der wenigen Übersetzungen in unseren 25 Jahren.

Wir haben aber zum Beispiel auch ein Handbuch für Regenbogenfamilien, das aus einer Zusammenarbeit aus einem anderen Buch mit Stephanie Gerlach entstanden ist. Das ist jetzt bereits in der dritten Auflage erschienen. Im Sachbuchbereich ist es also so, dass viele Themen im Gespräch mit Autorinnen und Autoren entstehen, manche finden den Weg zu uns, manche geben wir in Auftrag.

Wieviele Bücher erscheinen bei euch pro Jahr?

Sechs im Frühjahr und sechs im Herbst. Das ist die Idealbesetzung, manchmal gibt es da auch Verschiebungen. In diesem Frühjahr mussten wir ein Buch verschieben, weil es aus gesundheitlichen Gründen nicht fertig geworden ist. Insgesamt haben wir bis jetzt fast 300 Bücher gemacht.

Die jetzige Buchmesse wäre deine 33. gewesen – wie kommt das bei 25 Jahren Querverlag?

Meine erste Buchmesse war 1988, da war ich noch als Buchhändler unterwegs. Ich habe damals im schwul-lesbisch-feministischen Buchladen gearbeitet und war in deren Auftrag auf der Buchmesse. Danach war ich einmal mit dem Bruno Gmünder Verlag dort, dann drei Jahre mit dem Verlag Rosa Winkel, bei dem ich meine Ausbildung zum Verlagskaufmann gemacht habe. Anschließend war ich mit dem Verlag Magnus auf der Buchmesse. Danach ging es dann gleich mit Ilona und dem Querverlag weiter, das war dann 1996.

Ihr bezeichnet euren Verlag als politisches Experiment – wie kann man das verstehen?

Das war es und ist es nach wie vor. Wir haben uns auf der Frankfurter Buchmesse kennen gelernt, Ilona war damals beim Orlanda Frauenbuchverlag tätig und ich bei Magnus. Bei einer Lesung im LSKH hat sich dann herausgestellt, dass ihr Verlag in Berlin um die Ecke von meinem Verlag war, so ist dann erst mal eine professionelle Freundschaft entstanden. Wir haben uns einmal im Monat zum gegenseitigen Austausch getroffen. Sie hat sich über Frauenkollektive beschwert: Ich habe mich über schwule Kollektive beschwert (lacht), und daraus ist dann die Idee der eigenen Existenzgründung entstanden.

Wir sind damals ganz leichtgläubig und blauäugig mit dieser Idee zur Sparkasse gegangen und haben den Verlag ohne Eigenkapital gegründet, was im Nachhinein betrachtet ein Riesenfehler war. Aber vielleicht muss man so naiv sein, um so etwas zu probieren. Ich frage mich heute noch, wieso die Sparkasse uns den Kredit gegeben hat ... Meinen Anteil an der GmbH habe ich mir von meinem ehemaligen Chef aus dem Buchladen geliehen, Ilona hat sich ihre Einlage von drei ihr bekannten Verlagsvertreter*innen geben lassen. Dafür haben wir die ersten sieben Jahre aber auch nur für die Abzahlung gearbeitet, gar nichts aus dem Unternehmen heraus genommen und unser Geld woanders verdient.

Naja, ich bin von Hause aus sehr optimistisch veranlagt und, um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Für mich war das ein Experiment! Ich habe mich darauf gerne eingelassen. Und ich bereue es nicht.Man verdient natürlich nicht allzu viel Geld, aber ich sage immer, ich mache es freiwillig, niemand zwingt mich dazu und ich mache es nach wie vor gerne. Wenn man aber richtig Geld verdienen möchte, ist die Buchbranche vielleicht nicht der richtige Ort.

Dafür arbeitest du für etwas, wovon du überzeugt bist und was dir Spaß macht!

Ja. Ich glaube, ich wäre selber gerne Schriftsteller geworden, habe aber einfach nicht das Talent dazu. Mit meiner Arbeit bin ich zumindest am kreativen Prozess beteiligt und es macht mir einfach Spaß mit den kreativen Menschen in jeder Phase der Entstehung an Projekten zu arbeiten. Und Ilona und ich begreifen unsere Arbeit durchaus als politisch. Wir versuchen, wie du auch schon gesagt hast, unser Programm von der Standlektüre bis zum akademischen Sammelband zusammenzustellen und eine Vielfalt zu haben, aber unterm Strich betrachten wir uns beide und diese Arbeit als durchaus politisch. Natürlich ist da immer diese Gratwanderung zwischen kommerzieller Notwendigkeit, weil wir ja auch Rechnungen zahlen müssen, und einem politischen Anspruch, der sich trotzdem verkaufen lassen muss. Und manchmal liegen wir auch voll daneben! Das ist dann das Experiment und auch das verlegerische Risiko, das wir eingehen. Und daher stehe ich auch zu der Wortwahl „Experiment“, weil es für uns nach wie vor ein Experiment ist. Es macht Spaß, aber es ist nie einfach gewesen und es ist heutzutage immer noch nicht einfach.

Zur Buchmesse habt ihr jedes Jahr zum queeren Sektempfang an eurem Messestand geladen – dieser Empfang gehört auch zum Konzept des Querverlags, Menschen zusammen zu bringen, mit dem Verlag als Ort der Zusammenkunft?

Ja, das war mir immer wichtig. Den Empfang gibt es auch schon seit 25 Jahren und ja, ich bergreife den Verlag da auch ein bisschen als Netzwerk, und das macht mir Spaß. Das Treffen mit Kolleginnen und Kollegen ist schon manchmal wie ein Klassentreffen. Nach so vielen Jahren kenne ich so viele Leute, und viele Berlinerinnen und Berliner treffe ich teilweise nur in Frankfurt beim Empfang. In einer Stunde geben wir da rund 18 Flaschen Sekt raus ...

Foto: bjö

In diesem Jahr fällt das alles aus: Die physische Buchmesse wurde abgesagt, ihr hattet euch schon vorher dagegen entscheiden. Was sind die Gründe?

Ich hatte bis zuletzt am Messebesuch festgehalten, ich hatte den Verlag ja schon im vergangenen Jahr angemeldet. Ich bin wie gesagt von Natur aus sehr optimistisch und denke immer „ja, das klappt schon, das klappt schon“. Aber nach den Gesprächen mit so vielen Kolleginnen und Kollegen habe ich niemanden gesprochen, der zur Buchmesse wollte. Und mit diesem Hygienekonzept, wo unter anderen auch alle Bücher eingeschweißt bleiben müssen, ist das dann keine Messe, wie ich sie mir vorstelle. Ich möchte mit den Menschen ins Gespräch kommen, aber wie soll das gehen mit den Abstandsregeln? Und da sehe ich dann den Sinn der Sache nicht mehr. Wir sind ja sonst auch bei den Berliner, Kölner oder Frankfurter queeren Straßenfesten dabei, das konnte dieses Jahr alles auch nicht stattfinden. Und die Leipziger Buchmesse im Frühjahr ist auch schon ausgefallen.

Da geht uns nicht nur der Umsatz verloren, sondern wir wollen als Szeneverlag auch ansprechbar sein für die Szene. Die Leute kommen vorbei, sagen, was ihnen nicht gefällt und was ihnen gefällt, und genau aus diesem Grund machen wir das ja. Wir werden sehen und in dieser Hinsicht kreativer werden müssen, wie wir mit diesem Virus leben und trotzdem einigermaßen effektiv arbeiten können.

Die Buchmessen haben für euch generell schon einen hohen Stellenwert?

Auf jeden Fall, ich habe da immer viel Wert drauf gelegt. Das kostet auch Geld, aber das ist mir wichtig, auch – und das klingt jetzt vielleicht ein bisschen pathetisch – um Flagge zu zeigen. Wir sind inzwischen der einzig lesbisch-schwule Regenbogen tragende Verlag und viele Besucherinnen und Besucher freuen sich immer, wenn sie uns sehen. Die Heteroverlage haben natürlich auch viel zu bieten, aber in diesem großen Meer an Neuerscheinungen sind wir halt spezialisiert auf LGBTIQ*-Themen, und das bedeutet für viele etwas. Und aus diesem Grund mag ich die Messe und bin immer gerne nach Frankfurt gefahren, es hat mir immer Spaß gemacht und ich habe mich immer darauf gefreut. Ich finde es jetzt wirklich schade, weil ich gerne dabei gewesen wäre.

Die Frankfurter Buchmesse ist übrigens der einzige Termin im Jahr, zu dem ich Anzug trage. Anzug und Krawatte trage ich nur bei der Buchmesse, das hat folgenden Hintergrund: Als ich angefangen habe vor 33 Jahren, wollte ich, dass man mich ernst nimmt. Und damals – ich war ich ja auch noch 33 Jahre jünger – dachte ich, dass ich da Anzug und Krawatte anziehen muss, um ernst genommen zu werden. Und bis heute bedeutet Buchmesse für mich Anzug. Ich mache es inzwischen sogar gerne. In Berlin würde ich das natürlich niemals machen, aber für Frankfurt gehört das dazu.

Sag’ noch etwas zu den Neuerscheinungen im Herbst

Wir haben in diesem Jahr ein etwas kleineres Programm mit vier Neuerscheinungen, was auch coronabedingt ist. Wir hatten das Frühjahrsprogramm fertig gemacht und in der ersten Märzwoche zur Leipziger Buchmesse ausgeliefert, und dann mussten ja die Läden schließen. Wie viele andere Verlage auch haben wir Bücher ausgeliefert, die dann erst mal in den Kisten geblieben sind. Daher haben wir die ursprünglich geplante Belletristik für den Herbst erst mal ins kommende Jahr verschoben, damit zumindest die vier Romane, die wir im Frühjahr gemacht haben, ein bisschen weniger Konkurrenz haben. Wir hatten ja gehofft, mit Lesungen für diese Titel im zweiten Halbjahr noch etwas tun zu können, aber auch das ist ja nicht wirklich einfacher geworden ...

Was wir im Herbst neu haben, und da bin ich total stolz, ist eine polnisch-deutsche Zusammenarbeit, ein Buch über Auschwitz, „Erinnern in Auschwitz“ herausgegeben von Lutz van Dijk. Die Archive in Auschwitz haben es endlich erlaubt, dass man zum Thema sexueller Minderheiten in Auschwitz forscht. Und es ist das erste Buch, das der Frage der Verbrechen der Nazis gegen sexuelle Minderheiten nachgeht. Es gibt viele Beiträge von Aktivist*innen bis Akademiker*innen, und es ist wirklich ein spannendes Buch geworden.

Dann haben wir den vermutlich ersten Lesbenroman aus dem Jahre 1901 wiederentdeckt, Aimé Duc „Sind es Frauen?“. Der ist den 70er Jahren schon mal wiederentdeckt worden, aber viele wissen nicht von diesem Buch. Zwei Akademikerinnen aus den USA haben mich darauf hingewiesen, die auch ein wunderbares Vorwort geschrieben haben. „Sind es Frauen?“ ist auch eine positive Lesbengeschichte, die nicht wie damals so häufig mit Selbstmord oder heterosexueller Ehe arbeitet, sondern sehr selbstbewusst mit dem Thema umgeht. Für viele bestimmt eine schöne Neuentdeckung.

Und dann haben wir noch ein Buch gemacht über lesbische Vorbilder. Das heißt „Lesbisch, feministisch, sichtbar“ von Susanne Kalka und Helene Traxler, die die Illustrationen gemacht hat. Sie stellen 40 deutschsprachige Frauen aus unterschiedlichsten Bereichen vor, die als Vorbilder gelten. Sie werden auf drei bis fünf Seiten kurz vorgestellt und es gibt dann immer eine Zeichnung dazu. Nach wie vor ist es so, dass Schwule in den Medien weit vorne stehen, und so viele andere Identitäten müssen dann immer in den Hintergrund rücken, und das finden wir einfach nicht richtig. Deswegen haben wir dieses Buch gemacht.

Das vierte Buch ist aus der „Debatten“-Reihe. Es heißt „Zugzwänge“ und da geht es um Flucht, Asyl und Geflüchtete. Es ist das erste Mal, dass wir dieses Thema in dieser Reihe gemacht haben; es ist ein Sammelband vonVojin Saša Vukadinović als Herausgeber und enthält viele biografische Texte.

Ich finde es wirklich schade, dass wir in diesem Jahr nicht in Frankfurt sind.

Foto: Querverlag

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Zum Schluss eine positive Botschaft an die Leser*innen?

Unterstützt eure Kiezbuchandlungen und bestellt die Büchner nicht bei der bekannten Online-Buchhandlung! Das ist meine Botschaft! Kleine Buchhandlungen brauchen Kundinnen und Kunden! Die meisten Menschen im Ausland beneiden uns um die Vielfalt die wir im deutschsprachigen Buchhandel haben, und dafür ist nicht nur die Buchpreisbindung wichtig, sondern auch die Unterstützung der Kundinnen und Kunden. Das ist das A und O. Das wäre mein Wunsch!

www.querverlag.de

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