Energie und Bewegung: Junge Choreograf*innen

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Foto: Dominik Mentzos

Unter dem Titel „Junge Choreograf*innen“ präsentieren Anfang Juni fünf Tänzerinnen und Tänzer der Dresden Frankfurt Dance Company unter der Leitung von Jacopo Godani fünf eigene Choreografien. Wir haben einen der fünf Jung-Choreografierenden, den Tänzer David Leonidas Thiel, zum Interview getroffen – ein Gespräch über Perspektivwechsel, über die Faszination der Zahl Pi und des Theaters an sich.

David, mit dem Abend „Junge Choreograf*innen“ wechselt ihr die Rollen, vom Tänzer oder Tänzerin zum Choreografen. Das ist ja eine vollkommen andere Arbeit – als Tänzer führt man ja eher das aus, was der Choreograf vorgibt. Oder ist das bei euch anders?

Das hat sich in den letzten Jahren ein bisschen geändert. Am Anfang hat Jacopo wirklich extrem akribisch und persönlich mit jedem einzelnen gearbeitet, um seine Idee rüberzubringen. Jede Bewegung, die durch den Körper geht, muss von derselben Idee kommen, ansonsten funktioniert die Gruppendynamik nicht. Das ist seine Kunst!

Was sich im Laufe der vier Jahre, seitdem ich dabei bin, verändert hat, ist, dass Jacopo uns Tänzern an bestimmten Stellen die Detailarbeit überlässt. Er gibt den Weg, die Schritte vor, und wir arbeiten dann alleine an der Bewegung und können Intensität und Dynamik entscheiden. Zum Beispiel bei einem Pas de Deux, wo man sich mit dem anderen abstimmen muss. Da ist dann unsere Kreativität gefragt, unser Wissen über Jacopos Arbeitsweise. Er macht auf jeden Fall immer noch die Choreografie, das steht außer Frage!

Aber man ist als Tänzer also nicht nur eine Marionette!

Nein!

Und jetzt präsentiert ihr eigene Stücke?

Ja. Der Abend wird von fünf Tänzerinnen und Tänzern gestaltet, jeweils ein Stück. Für mich ist es tatsächlich nicht meine erste Choreografie, ich habe vor zwei Jahren für „Open Grounds“, dem ersten Abend mit jungen Choreograf*innen, mein Stück „Chemical Creatures“ gezeigt. Damals lies Jacopo uns komplett freie Bahn. Wir hatten vorher alle sehr intensiv mit ihm gearbeitet, und da tat es irgendwie gut, mal etwas ganz anders machen zu können. Wir möchten dieses Mal natürlich auch eine Vielfalt zeigen, aber der Fokus unserer Arbeiten liegt definitiv auf dem Tanz. Denn ich glaube, bei keiner anderen Company wird so akribisch und detailliert mit dem Körper an Details und Effekten gearbeitet, wie bei uns. Und das wollen wir auch dem Publikum vermitteln.

Bislang habe ich mich nur an Duette gewagt, diesmal wird es ein Quartett werden, zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer. Natürlich bin ich glücklich und dankbar, dass ich erneut die Möglichkeit bekomme, ein Stück unter Jacopos Schirmherrschaft selbst zu entwickeln.

Wie gehst du dabei vor?

Ich weiß schon recht lange, dass ich für diesen Abend choreografieren werde. Und wenn man dann Momente hat, wie morgens in der Bahn, schaue ich mir freie Künstler an, ich höre Musik, schließe die Augen und überlege, ob das was sein könnte. Dann beginnt das Ganze sich zu materialisieren. Für mich persönlich geht da viel über die Musik. Für „Chemical Creatures“ war die Idee, die Gesichtslosigkeit von Social-Media zu zeigen. Diesmal liegt die Grundidee in der Faszination der Zahl Pi, der Kreiszahl, und der Möglichkeit, wie weit man das energetisch und bewegungsmäßig auf der Bühne mit vier Personen ausreizen kann.

Foto: Raffaele Irace

Das klingt jetzt sehr technisch ...

Na, ich lasse sie nicht die ganze Zeit im Kreis laufen (lacht), aber der mathematische Ansatz, der experimentelle Ansatz, wie man Shapes auf der Bühne umformen kann, interessiert mich mehr als ein storymäßiges Grundkonzept zu zeigen. Da bin ich vielleicht auch vom Hip-Hop inspiriert. Ich möchte auf jeden Fall Tanz zeigen! Wenn ich dann mit den Tänzern arbeite, entsteht meist noch etwas Neues, vielleicht auch so etwas wie eine Story. Für mich sind diese Momente interessant, wie bei den Stücken von Jacopo, denen eine Idee zu Grunde liegt, die aber niemals frontal ausgespielt wird, sondern das Publikum eher dazu animiert, darüber nachzudenken. Es geht letztendlich darum, unser Handwerk, unsere „craft“ zu zeigen. Mir kommt es darauf an, die Bewegung, die Physik, die Dynamik und Intensität der Bewegung von vier verschiedenen Körpern zusammen zu zeigen.

Wie lange braucht es eigentlich, bis eine solche Company ein Stück erarbeitet hat?

So einen kompletten Abend zu gestalten, dafür braucht es schon eineinhalb bis zwei Monate. Zeitdruck spielt auch eine Rolle: Ab dem Moment, wo die Premiere näher rückt, ist da eine ganz andere Energie, dann werden die Entscheidungen leichter und schneller getroffen. Aber meistens haben wir genug Zeit.

Als Jacopo mit der Company startete, hatten wir drei Monate Zeit. Nach eineinhalb Monaten hatten wir das komplette Material für die erste Produktion zusammen, dann ging es einen Monat lang nur noch um die Feinarbeit. Jeden Tag einen Durchlauf, jeden Tag Korrekturen und drüber reden, wie wir den Ausdruck und die Bewegungsqualität noch verstärken können.

Da wir mit 17 oder 18 Tänzerinnen und Tänzern eine relativ kleine Company sind, haben wir auch die Möglichkeit, dass jeder auf der Bühne seine Zeit bekommt. Das ist anders als in klassischen Companys, wo es zwei, drei oder vier Tänzerinnen und Tänzer für die Soloparts gibt und die anderen eher im Hintergrund bleiben.

Die Rollen in euren Stücken werden also untereinander getauscht?

Ja, das wechselt!

Das bedeutet, dass jeder alles tanzen kann?

Ja, im Prinzip kann jeder fast alles tanzen. Ich glaube, für ein Solo gab es mal fünf Besetzungen, für ein Duett sind es mindestens drei Besetzungen. Gerade die Repertoirestücke, die wir auf Gastspielen zeigen und die im System verankert sind, sind mehrfach besetzt.

Ist das eine rein praktische Sache oder ist das eher die Idee, dass es keinen Solostar geben soll und ihr als geschlossene Gruppe auftretet?

Letzteres ist auf jeden Fall ein Hauptmerkmal der Dresden Frankfurt Dance Company und Jacopos Arbeit: Die Gruppenenergie steht im Vordergrund. Natürlich gibt es Tänzerinnen und Tänzer, die herausstechen, aber für ihn ist es besonders wichtig, die geballte Energie von allen rüberzubringen. Auf der Bühne kommunizieren wir konstant miteinander, das hat auch etwas mit dieser Energie zu tun, denn so ein Abend kann schon echt anstrengend sein, und da braucht man das.

Jacopo mag diese futuristische Gesellschaft, die derart fantastisch miteinander arbeitet, dass eine nonverbale Kommunikation möglich ist. Deshalb ist es immer spannend, wenn neue Tänzerinnen und Tänzer in die Company kommen; wir nehmen dann die Challenge an, dass wir sie in der Gruppe aufnehmen, einarbeiten und ein Teil des Ganzen werden lassen.

Ist selbst zu choreografieren eine logische Weiterentwicklung eines Tänzers?

Wenn man das möchte, ja. Von meiner Seite aus hatte ich nie den Traum, Choreograf zu werden. Aber ich bin auf jeden Fall daran interessiert, mich im kompletten Tanz-Spektrum auszuprobieren und selbst zu sehen, wie das läuft mit einer Choreografie, die wie ein Legohaus zusammengebaut wird.

Die Arbeit ist in der Tat eine andere. Als Tänzer konzentriert man sich auf den Körper, gesund zu bleiben, sich nicht zu überarbeiten und zu Trainieren, damit die Bewegungen alle möglich sind, und so weiter. Als Choreograf muss man ganz andere Dinge bedenken, sich ganz neu organisieren, sich auch um das Bühnendesign, die Kostüme, die Technik und so weiter kümmern.

Für mich ist das eine Challenge, an der ich mich gerne ausprobiere. Und ich vertraue da jetzt einfach mal meinem eigenen Geschmack, der sich im Laufe der Jahre durch die Erfahrungen entwickelt hat; in Mainz, wo ich Stücke von Forsythe, Ohad Naharin, Douglas Lee oder Johann Inger getanzt habe, und natürlich mit der Dresden Frankfurt Dance Company unter Jacopo Godani.

Und ich schaue, was ich aus dem Nichts erschaffen kann. Ich versuche nicht, auf Biegen und Brechen Choreograf zu werden, aber wenn ich merke, dass es mir leicht fällt, das, was mir vorschwebt, auf der Bühne zu materialisieren, dann könnte ich mir vorstellen, das in Zukunft zu machen.

Foto: Dominik Mentzos

Deine Familie hat dich auf deinem Weg, ein Tänzer zu werden, sehr unterstützt. Das ist eher ungewöhnlich, oder?

In Deutschland ist das eher ungewöhnlich, das stimmt!

Meine Mutter hat selbst viel getanzt und Tanz unterrichtet. Meine drei Schwestern waren sehr musicalbegeistert. „Cats“ war damals das Thema, das haben sie auch selbst im Wohnzimmer nachgespielt. Aber hey, als 10-jähriger weiß man noch gar nicht, wo das alles hinführt. Also, ich war nicht derjenige, der gesagt hat, ich möchte unbedingt Tänzer werden. Meine Mutter hat mir den Weg eröffnet, da ich ihren extrem flexiblen Körper geerbt habe, und mich gefragt, ob ich Tanz nicht mal ausprobieren möchte. Ich habe dann an der Staatlichen Ballettschule in Berlin angefangen, dort zwei Jahre extrem klassische Ausbildung gemacht. Das hat für mich allerdings nicht wirklich funktioniert.

Meine Familie hat mir im Gegensatz dazu eher zu verstehen gegeben, dass dies mein Leben ist, meine Freiheit.

Ich habe dann die Möglichkeit bekommen, nach Dresden auf die Palucca Hochschule für Tanz Dresden zu wechseln. Das war das Beste, was mir passieren konnte: weg von der klassischen Ausbildung, hin zu allem Möglichen wie Improvisation, moderner und zeitgenössischer Tanz, neoklassischer Tanz. Das war hat mir eine neue Welt eröffnet, im Gegensatz zur rein klassischen Ausbildung in Berlin. Natürlich weiß ich um die Wichtigkeit des klassischen Balletts, natürlich auch für unsere Arbeit hier. Wir starten zum Beispiel jeden Tag mit klassischem Training.

Bei vielen Kollegen, die damals mit mir in Dresden angefangen haben, also, da waren wir 14 Jahre oder so, deren Familie haben oft gesagt, dass das mit dem Tanz nichts wird, man wird niemals auf eigenen Beinen stehen können und so weiter. Und da kam dann oft auch dieser typische deutsche, konservative Über-Kalkuliermodus raus, dass man sich eben genau überlegen solle, das Richtige zu tun, um den richtigen Job zu bekommen oder an die richtigen Stellen zu kommen.

Meine Familie hat mir im Gegensatz dazu eher zu verstehen gegeben, dass dies mein Leben ist, meine Freiheit. Und ich denke, das ist eher unüblich.

Und ich habe diese Freiheit genutzt. Aber erst als ich in den Bachelor-Studiengang gekommen bin, wurde mir klar, dass ich den Beruf als Tänzer richtig geil finde. Damals kam ich mit vielen neuen Kommilitonen zusammen, die es einfach drauf hatten. Da kam bei mir zum ersten Mal so ein Company-Feeling auf: ich sah, was diese angehenden Tänzerinnen und Tänzer machten, und dachte, das möchte ich auch. Eine Gruppe junger Leute, die zusammenarbeitet, um sich zu entwickeln.

Das war der Punkt, an dem sich für mich alles änderte. Aber das kann dir halt keiner sagen, da musst du selbst drauf kommen. Das muss man für sich selbst entscheiden.

Und ich habe nichts bereut, bin seit sieben Jahren auf der Bühne, und wir sind momentan mit der Dresden Frankfurt Dance Company extrem erfolgreich. Und alles, was hier energetisch und bewegungstechnisch entsteht, ist abgefahren. Wir sind eine sehr junge Company, die Newcomer kommen ganz frisch wie ein unbeschriebenes Buch her, entwickeln sich innerhalb kürzester Zeit, und das ist toll!

Die Dresden Frankfurt Dance Company pendelt nicht nur zwischen Dresden und Frankfurt, ihr seid auch viel auf Tour; wie ist das für dich?

Dresden ist für mich durch mein Studium wie ein zweites Zuhause. Aber es ist natürlich auch super, unterwegs zu sein, wir feiern dabei ja auch große Erfolge. Aber auf Tour zu sein ist auch immer ein bisschen stressig.

Was mir im Ausland immer wieder auffällt: die Kultursituation in Deutschland ist anders. In Deutschland gibt es so viele Möglichkeiten als Tänzer zu arbeiten, deswegen kommen die Leute auch von überall her nach Deutschland, um hier auf der Bühne zu stehen. Weil es interessant ist, und weil Tanz hier gefördert wird.

Ich finde es wichtig, die gesamte Theatergesellschaft zu erhalten. Es ist eben etwas Besonderes, wenn jemand direkt vor dir auf der Bühne spielt oder tanzt. Da stehen echte Menschen vor dir! Ich weiß nicht, was es ist, vielleicht der Geruch des Theaters, irgendeine Energie, aber dieses unmittelbare Gefühl kann niemals über einen Videobildschirm transportiert oder übermittelt werden! Theater ist einfach qualitatives One-to-One Entertainment!

Steckbrief

David Leonidas Thiel hat nach einer klassischen Ballettausbildung an der Staatlichen Ballettschule Berlin und seinem Bachelor of Arts an der Palucca Hochschule für Tanz Dresden am Staatstheater Mainz und der Delattre Dance Company als Tänzer gearbeitet; seit 2015 ist er Mitglied der Dresden Frankfurt Dance Company.

4.6., Premiere „Junge Choreograf*innen“, mit Arbeiten von Anne Jung, Michael Ostenrath, Vincenzo De Rosa, David Leonidas Thiel und Sam Young-Wright mit Tänzerinnen und Tänzern der Dresden Frankfurt Dance Company, LAB, Schmidtstr. 12, Frankfurt, 20 Uhr, weitere Vorstellungen vom 5. bis 9.6., www.dresdenfrankfurtdancecompany.com

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