Finger in der Wunde: American Son

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Foto: Zach Mendez / @thezachmendez

Aufgewühlt findet sich die schwarze Psychologie-Professorin Kendra Ellis-Connor nachts auf einer Polizeiwache wieder. Ihr 18-jähriger Sohn Jamal ist seit Stunden verschwunden, sie kann ihn nicht erreichen und möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben.

Auf der Polizeistation hält man die besorgte Mutter hin: Es habe eine Polizeikontrolle gegeben, in der Jamals Auto verwickelt gewesen sei, mehr Details könnte man derzeit nicht ermitteln. Erst als Jamals Vater, der FBI-Agent Scott Conner, eintrifft, und ein zweiter Polizeibeamter auftaucht, komplettieren sich in quälender Langsamkeit die schrecklichen Ereignisse der Nacht.

„American Son“ legt den Finger in die Wunde: Rassismus ist in Amerika an der Tagesordnung, und insbesondere im Rahmen von Polizeiermittlungen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen auf Menschen mit dunkler Hautfarbe, die im schlimmsten Fall tödlich enden. 

Auch Kendra wird mit diesem Alltagsrassismus konfrontiert: Schon beim Aufnehmen der Vermisstenanzeige muss sie ihren Sohn verteidigen, weil er allein wegen seiner dunklen Hautfarbe als Gang-Mitglied eingestuft wird.

Foto: Zach Mendez / @thezachmendez)

Im Streitgespräch zwischen den Eheleuten, die seit einiger Zeit getrennt leben, wird immer deutlicher, wie tief der Graben zwischen Menschen mit dunkler Hautfarbe (Kendra) und Menschen mit heller Hautfarbe (Scott) ist. Mit einfachen Schuldzuweisungen kommt man nicht weiter, zu verwoben sind Hass, Angst und Vorurteile. Wo liegt die Grenze zwischen Selbstbehauptung und Provokation? Was macht es selbst mit einem aufgeklärten, wohlbehüteten Jugendlichen der Mittelschicht, der – auf der Suche nach seiner Identität – immer wieder mit Diskriminierungen wegen seiner Hautfarbe konfrontiert wird? Das Stück lässt die verhärteten Fronten schonungslos aufeinanderprallen – können Weiße überhaupt verstehen, wie People of Colour Rassismus erleben?

Das Kammerstück „American Son“, das bereits erfolgreich am Broadway lief und auch schon für den TV-Kanal Netflix ebenso erfolgreich verfilmt wurde, setzt das Publikum unerbittlich diesen Fragen aus. Die erdrückende Last der Gewaltspirale, die sich über Generationen weiterdreht und aus der es keinen Ausweg zu geben scheint, wird im intensiven Spiel der vier Darsteller auch für das Publikum physisch spürbar. Harter Tobak, der eine eigene Stellungnahme zum Alltagsrassismus in jeglicher Form herausfordert.

Noch bis 3. Juni, „American Son“, The English Theatre, Gallusanlage 7, Frankfurt, Spieltage Dienstag bis Sonntag, www.english-theatre.de

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