Das Zweite Coming-out des Jens Schubert

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Foto: Schubert

Der in Berlin lebende Künstler Jens Schubert zeigt mit „Pechblende“ seine dritte Ausstellung in der Frankfurter Galerie Leuenroth, die seine bislang vielleicht persönlichsten Arbeiten zeigt. Ob er sich wirklich komplett neu erfunden hat, wie er sein Fetisch-Coming-out erlebt hat und was sich hinter dem Titel „Pechblende“ verbringt, verrät er im Interview.


Bislang waren zwei Ausstellungen von dir in der Galerie Leuenroth zu sehen mit eher grafischen Arbeiten. Deine Motive sind immer mystisch oder rituell, zeigen tempelartige Gebäude und viel Symbolik. Geht es dir dabei eher um die Motive oder mehr um die Form, die Technik und das Zusammenspiel der Farben?

Es ist tatsächlich so, dass ich mich bei der Suche nach meinem künstlerischen Selbstverständnis schon seit Ende des Studiums für Symbole, Archetypen und Zeichen interessiere und wie sie sich in der menschlichen Kultur äußern. Ob sie vom Menschen gemacht sind oder aber die Dinge aus der Natur übernommen oder angepasst werden. Ich habe mich in verschiedenen Stufen mit dem Thema beschäftigt, und zumindest die letzte Ausstellung 2020 in Frankfurt ist dann schon sehr bildlich oder bildhaft geworden, eben auch mystisch im klassischen Sinne. Die Arbeiten, die danach kamen, sind im Gegensatz dazu schon recht abstrakt. Da wurde das Thema Zeichen, Symbole, Archetypen schon sehr auf Grundlegendes wie Farbe oder Grundform beschränkt. Ich habe geschaut, wie weit man damit spielen kann, um immer noch eine Assoziation zu bestimmten archetypischen Figuren zu haben. Also, die Sonne zum Beispiel oder der Berg. Das Dreieck ist dann halt der Berg, der Kreis die Sonne. Und genauso habe ich das mit Farben gemacht, also in unserer westlichen Welt steht Blau für den Himmel oder das Wasser und Rot für das Feuer, und so weiter, um das mal so ganz kurz anzureißen.

Und ja, das hast du richtig erkannt, dass sich diese Themen durch meine Arbeiten ziehen, immer unter verschiedenen Aspekten, die gerade für mich interessant sind. Die Ausformung, wie ich das jeweilige Thema beleuchte, hängt dann schon sehr an der Technik. Und je technischer es wird, desto abstrakter wird es. Meine allerletzten Arbeiten waren Siebdrucke, zwar Unikate, aber eben Siebdrucke, die ich mit einem Linienraster hergestellt habe, und das sind wirklich rein abstrakte Arbeiten. Das Technische oder das Handwerkliche wird dann zur Form oder zum Grundpfeiler, überdeckt aber nicht den Inhalt, sondern beides spielt immer miteinander. Unterbewusste oder emotionale Themen werden eher gestischer oder von der Technik her freier. In meinem Studium im Leipzig ist das Handwerk für die Kunst oder die Malerei ein großes Thema. Da verinnerlicht man wahrscheinlich auch, dass beides miteinander zusammenspielen kann oder dass sich beides gegenseitig helfen kann.

Aber das Mystische ist irgendwie immer Thema. Hat das einen Grund?

Ich glaube, da müsste man wahrscheinlich eine tiefenpsychologische Sitzung machen, wo das genau herkommt. Ob das wirklich Kindheitsprägungen sind, wenn man sich häufig mit solchen Themen beschäftigt, ich habe keine Ahnung, woher das kommt. Aber ja, das ist tatsächlich ein Faible. Ich mag auch Fantasyfilme wie „Herr der Ringe“ oder diese ganzen 80er-Jahre Märchen- und Fantasyfilme. Das ist schon ein Grundsatz, dem ich gerne nachgehe.

Und wenn man sich dafür interessiert, dann findet man ja auch Literatur, die das ganz gut beschreibt, also auch, warum sich immer wieder Sagen oder Legenden bilden. Das Standardwerk von Joseph Campbell heißt „Der Heros in tausend Gestalten“, da untersucht er Sagen und Legenden aus der ganzen Welt, vergleicht sie und entdeckt Konstanten. Und da ist es interessant zu sehen, warum der Mensch immer wieder ähnliche Dinge in seiner intellektuellen oder kulturellen Leistung bildet. Vielleicht ist das auch der Aufhänger, warum ich an dem Thema so dran bin. Es ist also nicht nur so, dass ich vor einem Fantasyfilm sitze, und das für echt halte (lacht) oder mir wünschte, ich würde in so einer Welt leben. Ich finde es eher interessant, wie das als System funktioniert. Also, wie ist ein geschaffenes System mit einer eigenen Logik gebaut? Und Fantasy ist eben auch fern einer Realität, die man schon kennt. Es werden imaginäre Welten geschaffen, die aber trotzdem – wenn auch versteckt – Bezug zur Realität haben. Das finde ich den spannenden Knackpunkt an der Sache.

Foto: Galerie Leuenroth

Foto: Galerie Leuenroth

Foto: Galerie Leuenroth

Und jetzt kommen die neuen Arbeiten in der Ausstellung „Pechblende“ – und das ist was vollkommen anderes! Es ist Malerei, es sind meistens Selbstportraits, es spielt mit Posen, Rollen und Klischees schwuler Männlichkeit und ist sexuell aufgeladen. Also ganz was anderes?!

Foto: Schubert

Jein (lacht). Also, fangen wir mal so an: Es ist jetzt Malerei, vorher war es tatsächlich selten Malerei sondern Druckgrafik. Bei der Druckgrafik war das Spannende für mich, dass ich, obwohl es ein grafisches Arbeiten war, trotzdem immer sehr ins Malerische ging. Und ganz banal gesagt hatte ich jetzt mal wieder Lust, wirklich malerisch zu arbeiten. Das habe ich seit dem Abschluss meines Studiums nicht mehr gemacht und wollte es vielleicht jetzt für mich nochmal wissen: Ist das vielleicht auch eine Technik, die mir liegt oder der ich etwas abgewinnen kann? Vielleicht auch, weil sich in meinem Leben viel verändert hat: Ich werde jetzt bald 40, ich habe Leipzig mehr oder weniger endgültig verlassen, bin jetzt hauptsächlich in Berlin und arbeite in Halle in meinem Job an der Kunsthochschule. Es gibt diese Momente, wo man eine Etappe geschafft hat und man mit einer Art Selbstreflexion beginnt. In der Kunst gibt es dann nichts Besseres als das Selbstportrait.

Fast alle Bilder sind Selbstportraits, es gibt zwei oder drei, da bin ich nicht drauf, da habe ich Stellvertreter genommen: Auf einem ist mein Partner drauf, das hat ja auch was mit mir zu tun, oder es sind Gegenstände, Phänomene und Dinge die mich interessieren. Ich bin auf diese archetypischen Männlichkeitsbilder gestoßen, die einen als schwulen Mann im besonderen Maße interessieren und wo man sich vielleicht selber auch wiederfindet, mit denen man selber spielt.

Und ich finde, das ist inhaltlich eine logische Fortsetzung meines vorhergehenden Arbeitens, bloß, dass ich diesmal mich selbst untersuche und beleuchte und nicht meine Umwelt oder irgendwelche Bauwerke.

Das macht deine Bilder gleichzeitig viel persönlicher, oder?

Ich finde es interessant, selbst noch mal tiefer zu gehen und nicht nur zu sagen, ich finde Leder irgendwie erotisch. Ja okay, aber warum? Ist es etwas ein rein Sexuelles? Ist es etwas Ästhetisches, was vielleicht auch mit meiner Kunst zu tun hat? Hat es auch eine soziale Komponente, die Wirkung, die man nach außen haben möchte? Oder ist es eine Art Schutzpanzer? Je härter man wirkt, desto mehr schützt man sich vor anderen? Die Identifikation mit dieser Hyper-Maskulinität, die gleichzeitig auch schon wieder als total schwul erkennbar ist? Das fand ich sehr interessant. Und auch, dass man beim Fetisch eine Art zweites Coming-out leisten muss, mit einer Art von Verständnis, das man anderen beibringen muss. Manche finden es seltsam, wenn man eine Lederhose trägt, selbst wenn sie schwul sind und die Szenen eigentlich kennen. Ich finde das spannend, wie tabuisiert das Thema offenbar ist, wie es wirklich nur auf eine sexuelle Schiene gebracht wird und wie wenig Freiheit da drin ist.

Deine Bilder sind aber schon sehr sexualisiert …

Aber es geht auf jeden Fall über das Sexuelle hinaus. Es war mir wichtig, dass es keine reinen Pornobilder werden, sondern dass da verschiedene Dinge Hand in Hand gehen. Wenn man in Leder gekleidet ist, heißt das ja nicht unbedingt, dass man mit dem Willen zum Sex durch die Gegend läuft.

Foto: Galerie Leuenroth

Foto: Galerie Leuenroth

Foto: Galerie Leuenroth

In Verbindung mit dem Titel der Ausstellung „Pechblende“ hatte ich die wüstesten Assoziationen. Aber „Pechblende“ ist eigentlich ein Erz, richtig?

Das ist das Uranerz. Früher hat man im Erzgebirge, also dort, wo ich herkomme, nach Silber und Zinn geschürft, und Uranerz eher nebenbei gefunden. Weil es so tiefschwarz ist und eine Blasenstruktur hat, dachte man, es sei eine Art Pech und es daher als „Pechblende“ bezeichnet, also „Blende“ im Sinne von „täuschen“. Wesentlich später hat man dann festgestellt, dass es ein eigenes Element ist, Uran-Erz, was später eine andere Verwendung gefunden hat. Man hat Pechblende oft unwissenderweise für viele Dinge verwendet, zum Beispiel auch als Grundstoff für Farben, wo man heute die Hände überm Kopf zusammenschlagen würde. Das ist jetzt nicht schön im eigentlichen Sinne, aber trotzdem hat es für mich eine morbide Schönheit. Ich fand das als Titel toll, schon als Wort an sich, weil es eben auch was Dunkles und was Mysteriöses hat, aber einfach auch als Metapher auf das, was man aufgrund der äußeren Erscheinung als etwas Bestimmtes annimmt, was sich dann aber als etwas anderes entpuppt. Dass passt auch auf meine eigene Geschichte, wenn man aus dem Erzgebirge kommt und erstmal ein bisschen verborgen hat, wie man ist und wer man ist und man sich dann entfalten kann und seine wahre Gestaltet findet. Oder auch beim eben besprochenen Thema Fetisch oder sexueller Identität, da ist es ja auch so, dass man vielleicht etwas vorspielt oder spielt. Wann eignet man sich diese Sachen an und reproduziert sie nur als Bild – und wann ist es ein inneres Bedürfnis? Da fand ich „Pechblende“ einen schönen Titel, der das alles umschließt und zugleich als abstrakte Metapher repräsentiert.


Jens Schubert „Pechblende“, Vernissage am 12.5. im Rahmen des „Spring View“ der Galerien Frankfurt Mitte, Galerie Leuenroth, Fahrgasse 15, 18 Uhr, die Ausstellung ist bis zum 24.6. zu sehen, www.galerieleuenroth.de

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