Mobbing in Netz: Ohne PrEP kein Date

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Foto: StockSnap, pixabay.com, gemeinfrei

Jedes Jahr veröffentlicht das Robert-Koch-Institut RKI die Zahlen zu HIV-Neuinfektionen in Deutschland, die wie in den Jahren zuvor weiter gesunken sind: von 3.100 Neuinfektionen in 2016 auf 2.700 in 2017. Gleichzeitig ist ein leichter Anstieg der Infektionen mit anderen Geschlechtskrankheiten, insbesondere Syphilis, erkennbar. Beides eine Folgeerscheinung von PrEP, die das Safer-Sex-Verhalten nachhaltig zu prägen scheint.

Ein Gespräch mit Carsten Gehrig vom Fachbereich Psychosoziales und Prävention der AIDS-Hilfe Frankfurt über Safer-Sex-Strategien im Jahr 2019.

Gilt der bundesweite Trend der sinkenden Infektionszahlen auch für Hessen?

Ja, den Trend können wir bestätigen. Die Zahlen stammen von Ende 2017, noch vor Einführung der bezahlbaren PrEP.

Ich denke, dass die Neuinfektionszahlen in Zukunft noch einmal sinken werden, ähnlich wie in England oder Frankreich nach Einführung der PrEP.

Gibt es Untersuchungen darüber, wie sich das Safer-Sex Verhalten entwickelt?

Das erfasst die Untersuchung des RKI nicht, aber wir bekommen über unseren MainTest zumindest eine Idee davon.

Es gibt zwei Schienen: Die einen bleiben beim Kondom, die anderen entscheiden sich für die PrEP und empfinden das als ein Wiedererlangen von sexueller Freiheit, die ihnen über die Jahre verloren gegangen ist.

Die PrEP ist eine Safer-Sex-Strategie, um sich nicht mit HIV zu infizieren. Und ich betone HIV, weil die PrEP vor den anderen Infektionskrankheiten wie Tripper, Hepatitis oder Syphillis nicht schützt. Aber das nehmen viele in Kauf um ohne Kondom Sex zu haben.

Was gerade auch sehr aktuell ist: Über die Dating-Apps findet fast ein Mobbing statt, nach dem Motto, wenn du keine PrEP nimmst, gibt’s halt keinen Sex. Da fühlen sich viele unter Druck gesetzt. Das ist jetzt nicht evaluiert, das sind aber Schwingungen, die da sind. Und da müssen wir in der Beratung natürlich gegensteuern.

Deswegen sagen wir, man muss sich selber schützen und herausfinden, welche Strategie für einen passt. Unsere Strategie ist es, jeden zu bestärken, aus dem Portfolio von Safer-Sex-Strategien auszuwählen. Es ist gut, dass es Kondome gibt, es ist gut, dass es die PrEP gibt und es ist gut, dass es Schutz durch Therapie gibt. Diese Auswahl hatte man vor ein paar Jahren ja noch überhaupt nicht.

Die Infektionszahlen von Syphilis sind ja angestiegen ...

Ja, das sind sie aber auch schon in den Jahren zuvor, in den letzten 10 Jahren gehen die Zahlen kontinuierlich hoch.

... weil die Leute sich häufiger testen lassen?

Naja, wenn man zum Beispiel die PrEP benutzt, wird man ja regelmäßig alle drei Monate vom Arzt auf Infektionskrankheiten untersucht, von daher ist die Frequentierung der Tests höher. Es ist gut, alle Infektionen früh zu erkennen um diese auch gleich zu behandeln, damit kein Jo-Jo-Effekt entsteht.

Foto: Michael Gottschalk

Wie steht die AIDS-Hilfe Frankfurt zum HIV-Selbsttest?

Wir begrüßen den Schnelltest, weil es ein niedrigschwelliges Testangebot ist und vielen die Möglichkeit bietet, sich zu testen. Besonders in Regionen, wo es eben nicht wie in Frankfurt ein Netzwerk von AIDS-Hilfe, Gesundheitsamt oder Arztpraxen gibt. Den Schnelltest bekommt man in der Apotheke oder er kann online bestellt werden. Schwierig finden wir es, dass die Tests auch in Drogerien verkauft werden sollen, weil das Personal zu wenig qualifiziert und geschult dafür ist. Manche Ketten haben aus diesem Grund auch bisher abgelehnt, die Tests anzubieten.

Und natürlich ist da auch immer die Frage, was passiert, wenn eine HIV-Infektion nachgewiesen wird. Das steht nämlich nicht in der Bedienungsanleitung!

Deswegen haben wir gesagt, wir verkaufen diese Tests auch bei uns, allerdings immer in Verbindung mit einem Beratungsgespräch. Der Selbsttest kostet bei uns 20 Euro, die Beratung gibt’s gratis dazu.

... dann könnte man sich aber auch gleich in der AIDS-Hilfe testen lassen, oder?

Ja, aber wir bieten die Selbsttests auch im Rahmen unserer Sprechstunde an, und der MainTest ist nur montags und mittwochs. Die Beratung kann man die ganze Woche haben. Dabei wird der Test detailliert erklärt, aber auch gefragt, wieso man einen Test machen möchte, ob es überhaupt ein Infektionsrisiko gab und wie lange das zurück liegt. Denn zwischen Infektionsrisiko und Test müssen 12 Wochen liegen. Das ist eine Riesenspanne!

Oft rufen Leute an und sagen, dass sie gestern einen Risikokontakt hatten, da können wir nichts machen, sondern dann muss man zu einem Schwerpunktarzt und dann kann eventuell die PeP zum Einsatz kommen. Viele rufen nach drei Wochen an, weil dann das schlechte Gewissen zu nagen beginnt. Aber denen müssen wir leider auch sagen, dass sie für den Schnelltest noch ein paar Wochen warten müssen.

Die Tests sind zwar einfach, aber sich in den Finger zu stechen und das Blut herauszudrücken, ist auch nicht jedermanns Sache. Es gibt außerdem verschiedene Anbieter mit verschiedenen Ausführungen und man sollte auf jeden Fall darauf achten, dass die Sensitivität bei über 99 Prozent liegen muss. Es gibt auch Anbieter, die Selbsttests mit weniger Sensitivität verkaufen, die sind dann meist etwas billiger, dafür nicht so verlässlich.

Wegen dieser Punkte ergänzen wir ein kleines „aber“ beim Selbsttest, denn einfach zu sagen, so, das gibt es jetzt, reicht nicht. Es gibt ja auch immer wieder Stimmen, die sagen, „die AIDS-Hilfe braucht es nicht mehr“, aber ich bin der Meinung, man braucht sie mehr denn je, allerdings mit einem anderen Schwerpunkt. Egal welches Medikament auf den Markt kommt, das ganze Zwischenmenschliche bleibt, die psychosozialen Aspekte interessieren nach wie vor, und die anderen Infektionskrankheiten bleiben, das geht ja nicht weg. Und da bieten wir Hilfe zur Selbsthilfe.

Foto: F1Digitals, pixabay.com, gemeinfrei

Beratung scheint also wichtiger denn je?

Ja, Ich habe aber zum Beispiel gerade kürzlich gelesen, dass nur 10% der Leute wissen, dass Sex mit einer positiven Person, die unter der Nachweisgrenze liegt, safe ist. Selbst Ärzte wissen häufig nicht darüber Bescheid, Zahnärzte zum Beispiel.

Die Präventionsarbeit ist schwierig geworden, weil viele einfach abwinken und meinen, sie seien informiert und wüssten schon alles. Das merkt man auch in den Beratungen zur PrEP. Natürlich haben die meisten ein Vorwissen, das lautet, ich nehme die PrEP und dann ist alles gut. Aber die Details, dass man die Medikamente laut Zulassung jeden Tag einnehmen muss, alle drei Monate beim Arzt Tests machen muss, dass man auch vor Beginn der PrEP negativ getestet sein muss, das wissen die meisten dann nicht mehr so genau. Dann überlegen viele, ob die PrEP trotzdem zu einem passt. Außerdem weiß ja auch niemand, wie die Langzeitfolgen des Medikaments aussehen.

Und wir versuchen unser Beratungsangebot noch weiter ausbauen, nicht nur in Bezug auf HIV und Aids, sondern auch Sexualität allgemein.

Eine HIV und Aids-Beratung war schon immer gekoppelt mit Fragen zur Sexualität, zu Partnerschaft oder Beziehungsproblemen. Und das möchten wir weiter ausbauen und nach außen kommunizieren. Viele wissen ja auch nicht, dass man damit zur AIDS-Hilfe gehen kann. Von daher soll das neue Beratungszentrum auch den Namen „MainCheck“ tragen, weil man sich da beraten lassen kann zu Sexualität, Identität, Beziehung und Partnerschaft, also all die Sachen, die das Leben eben bewegen.

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Infoabend zum HIV-Selbsttest

Im Rahmen der Reihe „Frankfurter Vorträge“ der AIDS-Hilfe Frankfurt gibt es am 29.1. unter dem Titel „Mach’s dir selbst“ eine ausführliche Infoveranstaltung rund um die neuen HIV-Selbsttest.

29.1., bASIS, Lenaustr. 38, Frankfurt, 19:30 Uhr, www.frankfurt-aidshilfe.de

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