Mr. Leather Ba-Wü Marcus Kapp

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Foto: Marcus Kapp

Marcus Kapp ist seit gut neun Monaten der amtierende Mr. Leather Baden-Württemberg und hat sich einen Namen gemacht als unprätentiöser Vertreter der Leder- und Fetischszene. Wir haben den sympathischen Lederkerl zum Halbzeit-Interview getroffen.


Als Mr. Leather Baden-Württemberg 2019/2020 bist du nun gut neun Monate im Amt. Welche Erfahrungen hast du gesammelt, welche deiner Vorsätze konntest du verwirklichen und welche sind noch in Arbeit?

Ich kann es kaum glauben, dass seit meiner Wahl schon neun Monate vergangen sind. Das Erlebnis dieses Events kommt mir vor wie gestern, was auch daran liegt, dass so viele Dinge passiert sind.

Dass natürlich ein gewisses Interesse an einem Mister besteht war mir schon klar, aber was es für eine „Welle“ mit sich bringt, war für mich nicht so ganz absehbar. Fangen wir mit den ganzen CSDs an, die ich gelaufen bin. Auf einen CSD zu gehen ist das eine, aber ihn ganz vorne in der Gruppe zu laufen was anderes: Menschen die dich ständig fotografieren, sich vor einem aufbauen um mit dir Arm in Arm ein Foto zu bekommen, Leute die hinter der Absperrung rufen damit du kommst um dir einfach nur zu sagen, dass sie es geil finden, so offen mit dem Fetisch durch die Stadt zu ziehen. Wenn du das nicht kennst bist, du erst mal vollkommen überfordert. Und das geht ja über Stunden. Aber irgendwann bist du nur noch stolz, das für deine Community tun zu dürfen.

Und ich bin ja auch bekannt dafür, mich gerne über „Regeln“ hinwegzusetzen, so wie es in Mannheim passierte auf dem CSD. Als die Idee in mir aufkam, in Mannheim für „Vielfalt“ die Fahne zu heben und Lesben und auch Transsexuelle mit in der Fetischgruppe laufen zu lassen. Ich glaube, diese Form gab es in unserer Region noch nie.

Mein Club LUGMAN war von der Idee begeistert, also wurde sie umgesetzt. Was mir natürlich mal wieder Kritik speziell aus der schwulen Szene einbrachte. Auch, dass ich als Mister Leather diesen CSD in Rubber gemischt mit Leder lief ... ein Skandal! Ich bekam Mails, bei denen ich echt dachte, wo ist denn hier die Gemeinschaft, von der alle reden? Aber das war es mir Wert, in jeder Hinsicht. Der Rückhalt war andererseits so groß, dass ich das Gemotze gut kompensieren konnte.

Auch ist es mir wichtig zu versuchen, zu jedem hin zu kommen, der mich sprechen will oder mir einfach nur die Hand schütteln möchte. Das gleicht einem Marathon von rechts nach links. Aber wenn du Gesichter siehst, die sich wie nochwas freuen ... das ist mein Gewinn! Auch die Offenheit der Jugend auf den CSDs ist enorm. Von Vorurteilen gar keine Spur.

Was ich schade finde ist, dass es Amtskollegen gibt, die auf den Paraden stur hinter ihrem Banner kleben und das Ding durchrennen, als wenn am Ende der Parade der heilige Gral steht. Meine „Ausbrüche“ auf solchen Paraden endeten oft mit einem Anpfiff des führenden Kollegen und kleineren Reibereien. Aber mal ehrlich, ich bin für die Community da, nicht für die Mister!

Und die ständige Selbstbeweihräucherung ist auch nicht mein Ding. Und dass dem ein oder anderen sein Amt zu Kopf steigt, liegt auf der Hand.

Also, von den Vorhaben, die ich mir gesetzt hatte, konnte ich schon einiges umsetzen: Die Offenheit zum Fetisch zu fördern und auch das Interesse am Fetisch zu wecken.

Was bis jetzt noch in Arbeit ist, wäre mein Thema „Homosexuell und Krebs“. Die Idee vor meiner Wahl war, Männer zu unterstützen, die an Krebs erkrankt sind, zum Beispiel sie zu Behandlungen begleiten, auffangen alleine nur durch Zuhören oder im Alltag zu unterstützen. Aber dazu benötigt man natürlich Geld und Helferlein die ehrenamtlich mitmachen. Die Helfer sind geblieben, aber die drei Sponsoren die ich hatte, sind irgendwie nach der Wahl nicht mehr so ganz präsent gewesen. Aber ich bin dran, ein neuer Sponsor scheint gefunden. Ich versprach etwas zu tun, und das tue ich auch. Und dass man so etwas nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampft, ist klar.

Gibt es einen Unterschied in den Reaktionen, wenn du dich in der schwulen Nicht-Fetisch-Community und im Hetero-Umfeld bewegst? Ist die Community toleranter?

Diese Frage ist für mich schnell beantwortet, denn ich persönlich finde, dass es kaum Unterschiede für mich gibt, ob ich jetzt in der schwulen Gemeinschaft unterwegs bin oder der Heterosexuellen. Ich denke, dass es auch am eigenen Auftreten liegt. Da ich sehr selbstbewusst bin, biete ich da kaum Angriffsfläche. Die Heten sind da sehr neugierig und offen, bei der schwulen Szene haben wir eher mal so ein bisschen „Stutenbissgkeit“ und einen kleinen Neidfaktor. Aber im Prinzip herrscht Gleichstand in den Reaktionen. Und solange man sich normal benimmt und es einem nicht zur Nase reinregnet, ist alles gut!

Und ich habe nicht umsonst den Beititel des „Mister zum Anfassen“ bekommen. Als ich das zum ersten Mal hörte, wusste ich, dass ich wohl noch der bin, der ich immer war und es scheinbar richtig mache.

Du gehst sehr selbstbewusst mit deiner Homosexualität und mit deinem Fetisch um – war das schon immer so? Gab es eine Art „Schlüsselerlebnis“, das dich „stark“ gemacht hat?

Dieses Selbstbewusstsein hatte ich definitiv nicht immer. Der Knackpunkt lag in einer miesen Trennung, wie wir sie alle schon einmal hatten. Nur, dass mein damaliger Partner, mit dem ich einige Jahre verbracht habe, mit einem anderen Kerl durchbrannte und ich abends nach Hause gekommen bin und eine leere Wohnung hatte, in der nur noch mein damaliger Hund saß. Alles weg. Ich schnorrte mir damals von der gesamten Nachbarschaft Möbel zusammen um einigermaßen wieder etwas Wohnliches zu haben. Und da schwor ich mir, dass mich nie wieder jemand anpisst. Und dann ging mir das Geld aus. Und die ganzen „Freunde“ die immer da waren, wenn Party war, waren weg. Der Klassiker. Aber ich bin gestolpert und wieder aufgestanden. Daher kommen die Stärke und mein Selbstbewusstsein. Und ich gebe es auch gerne zu, dass ich damals auch Pfandflaschen gesammelt habe. Man muss sich einfach immer wieder bewusst sein, wie schnell die geregelten Bahnen außer Kraft gesetzt werden.

Sind dein Fetisch Coming-out und dein schwules Coming-out zusammengefallen, oder waren das zwei Entwicklungen?

Mein schwules Coming-out und mein Fetisch Coming-out liegen etwas auseinander. Überlegen wir uns einfach mal über welche Zeit wir hier sprechen: Ich bin jetzt 47, mein Coming-out hatte ich mit 18. Zu dieser Zeit dachten viele noch, dass die Welt eine Scheibe ist. Damals war die schwule Szene oder Fetisch noch nicht so offen wie heute. Viele haben damals nur den Motorradführerschein gemacht, damit sie öffentlich ihr Leder tragen können. Mein Fetisch Coming-out hatte ich wohl so mit 25, würde ich sagen. Da hatte man dann auch das Geld, um sich auszustatten. Die Fetish-Stores, die wir heute haben, gab es damals nicht. Und meine Fetische haben sich ja über Jahre entwickelt. Los ging es mit Leder, Rubber kam dazu, Handwerker-, Skin-, Cowboy- und seit neustem auch der Business-Fetisch. Für jede Lebenssituation der richtige Fetisch sozusagen!

Und da ich mich schon recht früh von meinen Eltern trennte, haben die meine Entwicklung gar nicht mitbekommen. Vermutlich würden die sich im Grab rumdrehen wenn die jetzt wüssten, dass ihr Sohn Mister Leather ist!

Du fungierst als Vorbild – hattest du selber auch Vorbilder, an denen du dich orientieren konntest?

Ich finde es total geil, wenn ich höre, eine Vorbildfunktion zu haben, Kerle zu animieren, sich mehr zu trauen. Ich bekomme sehr viele Mails aus der Community zu diesem Thema. Aber denkt dran: Auch ich wurde nicht in Lederwindeln geboren. Es ist ein langer Prozess dahin zu kommen, wo ich heute bin, die Gratwanderung zu perfektionieren, dass der Alltag nicht überfordert wird. Ich trage den Fetisch ja offen, aber immer so, dass sich niemand belästigt fühlt. Kombiniere den Fetisch mit Alltagsklamotten und dir steht echt nichts im Weg. Beispiel: Rangers, Rubberdomestos und oben drauf einfach ein normales Hemd mit Weste – so renn’ ich tagsüber zum shoppen durch Stuttgart. Und was passiert? Nix! Ich hab’ noch nie negative Erfahrungen gemacht oder dumme Sprüche gehört. Und meine Vorbilder kennt bestimmt keiner mehr. Das war die Serie „Western von gestern“, diese Kerle in Cowboygear, Chaps und Cowboyboots, die mit einem Faustschlag die holde Maid vor dem sicheren Skalpieren durch die bösen Indianer retteten. Also, ich fand das erregend. Bis ich von meinen Helden irgendwann mal die Originalstimmen gehört habe (lacht)!

Foto: Marcus Kapp

Fetisch-Bekleidung ist heute auch ein großer Teil der allgemeinen Club-Wear; Partygänger tragen Neopren-Harnesse usw. Gehen insbesondere junge Menschen heute viel spielerischer und unbefangener mit dem Thema Fetisch um? Oder hast du das Gefühl, Fetisch wird dadurch „verwässert“?

Verwässert der Fetisch? Ich würde sagen nein. Im Gegenteil! Dadurch dass der Fetisch ja auch zum Beispiel in der Oper bei der Kostümwahl auftaucht, es Revues gibt, bei denen die Damen im Vollgummioutfit die Beine schwingen – dadurch hat sich uns doch das Tor geöffnet, den Fetisch offener zu tragen. Das Ganze wurde „salonfähiger“ und hat nicht mehr das Anstößige wie früher. Und dass es in der Mode auftaucht, ist doch wunderbar!

Die Welt sieht das Ganze nicht mehr so engstirnig wie früher. Und das macht es den Jüngeren auch einfacher mit dem Fetisch umzugehen, ihn selber zu tragen. Und ob man es jetzt spielerisch sieht oder nicht, ist doch so was von egal! Spaß soll es machen! Also, ich bin ehrlich gesagt dankbar für diese Entwicklung. Ist doch schön, dass die Hete auf der Straße jetzt nicht mehr denkt „Gott, wie krank“, sondern „Gott, diese Mode von heute“! Er ist glücklich, ich auch, und laufe weiter. Wer sich mit dem Fetisch tiefgründiger beschäftigen will, wird das tun. Und dazu sind die Mister da!

Was würdest du jemandem empfehlen, der auf der Suche nach seiner sexuellen Orientierung und seinen Vorlieben ist und dabei mit Ängsten und Unsicherheiten zu kämpfen hat?

Um sich selber zu finden, was die eigene sexuelle Orientierung betrifft: ausprobieren! Geht in die Clubs, schaut euch das Treiben an. Auf diese Art weiß man schon mal, wohin die Reise gehen wird. Man merkt immer schnell auf welchen Zug man aufspringen möchte, was einen sexuell reizt. Die Ängste sind am Anfang natürlich da, zum einen überhaupt dort hinzugehen, aber auch wie die Familie reagieren wird, wenn man feststellt, dass man sich zum Beispiel zur S/M-Szene zugehörig fühlt. Am Besten ist es, einen „Verbündeten“ zu haben, der sich in der Szene auskennt und einen Fuß in der Türe hat. Das nimmt die Angst und schafft Vertrauen.

Glaubt ihr etwa, ich wäre damals ohne Anstandsdame nach Mannheim ins Jail’s gegangen? Große Klappe damals und nix dahinter! Fünf Meter vor der Türe wich die große Klappe dem sterbenden Schwan! 

Also, immer in Begleitung diese Erfahrungen machen, am besten mit Kerlen, die selbst Erfahrung in der Fetischszene haben. 

Oder wendet euch an die Mister wie mich. Wir helfen, wir sind dafür da, die Community zu unterstützen und Kerle, die sich für die Fetischszene interessieren, zu informieren. 

Natürlich muss man auch sagen, dass in der Szene nicht alles rosarot ist. Es gibt eine Menge Oberflächlichkeit, Arroganz und ein unendliches Meer von Intrigen und Hetze. Sehen und gesehen werden. Und bei vielen Fetischveranstaltungen geht es nur um den Sex, nicht um die Person! Abgespritzt, abgehakt! Damit muss man umgehen können. Ist für Fetischanfänger etwas befremdlich. Wenn ich von mir damals ausgehe, wollte ich jeden sofort heiraten, mit dem ich Sex hatte, treudoof halt. Und dass dieser Gott, der heute Abend nur für mich vom Olymp herabstieg ... Bullshit! Aber das lernt man, auch wenn es am Anfang ganz schön weh tut.

Kontakt über Facebook unter Marcus Kapp, Instagram: mr.leather_badenwuerttemberg19.

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