„Nur Dulden heißt Beleidigen”

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Illustration: Mohamed_Hassan, pixabay.com, gemeinfrei

LSBT*IQ im Alters- und Pflegeheimen: Ein Thema, das in einer Gesellschaft, in der immer mehr ältere Menschen leben, zunehmend wichtiger wird. In Frankfurt sind die Einrichtungen Julie-Roger-Haus und das Sozial- und Rehazentrum West des Frankfurter Verbandes die ersten Alten- und Pflegeheime der Stadt, die mit dem Regenbogenschlüssel zertifiziert wurden. Die aus den Niederlanden als „Roze Loper“ bekannte Zertifizierung formuliert erstmals Qualitätsstandards in der Pflege von LSBT*IQ-Menschen.

Der Frankfurter Verband entschloss sich 2014 zur Zertifizierung der beiden genannten Einrichtungen und unterstützt andere interessierte Einrichtungen, die sich auf das Zertifizierungsverfahren vorbereiten. Ein Gespräch mit Peter Gehweiler vom Frankfurter Verband.

Die beiden Häuser haben sich bereits vor rund 5 Jahren zum Regenbogenschlüssel entschieden. Was hat sich in den Häusern seitdem verändert? Kommen Menschen deswegen gezielt auf den Frankfurter Verband zu?

Zur Vorbereitung auf die Zertifizierung und danach werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig zum Thema „Vielfalt“ und zu Lebenswelten von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen geschult. Durch die dabei erworbene Sensibilisierung nehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die unterschiedlichen Lebensentwürfe und daraus resultierenden unterschiedlichen Bedürfnisse und Bedarfe viel deutlicher wahr und sie können hierauf – sofern möglich – individuell eingehen. Das führt bei allen Beschäftigten zu einer akzeptierenden Haltung, die die Atmosphäre in den Einrichtungen nachhaltig prägt.

Dementsprechend fand und finden sich in den Programmen der Einrichtungen Angebote, die die unterschiedlichen Lebensweisen zum Thema haben. Die ehrenamtlich Aktiven der Initiative Regenbogenpflege bereiten zum Beispiel Veranstaltungen vor und bieten sie auch selbst an. Sie beleuchten das Thema Homosexualität von unterschiedlichen Aspekten und lassen Homosexualität in den Einrichtungen sichtbar werden.

Zur Frage, ob Menschen gezielt auf die beiden Einrichtungen zukommen, das kann ich nur bestätigen. Zum Teil sind dies die Kinder, die einen Pflegeplatz für ihre Eltern suchen, die sagen, wenn ihr so akzeptierend mit den Bedürfnissen der Bewohner umgeht, dann kann das auch nur gut für meine Eltern sein. Zum anderen Teil sind es HIV infizierte Menschen, die gezielt nach dem entsprechenden Wohnbereich im Sozial- und Rehazentrum West fragen.

Wie wird die Zertifizierung nach außen getragen? Wie erfährt man als Pflegeheimsuchender, dass es sich um ein LSBT*IQ-freundliches Haus handelt?

Wir haben bei den beiden Einrichtungen jeweils die Regenbogenflagge direkt an der Eingangstür der Einrichtungen für jedermann und jedefrau deutlich sichtbar angebracht und machen mit unseren Flyern und Hausprospekten darauf aufmerksam.

Auch wurden die Sozialdienste der Krankenhäuser über die Regenbogenpflege sowie Multiplikatoren wie die PflegebegleiterInitiative, das Netzwerk Neue Nachbarschaft, 40 plus und andere Gruppen über die Regenbogenpflege informiert. Aber wie das immer so ist, bringen wir uns immer wieder in Erinnerung. Daneben gibt es die Internetpräsenz mit den beiden Homepages und unser Facebook-Account der Schwulen Senioren Frankfurt.

Und wir sind sehr froh, dass die GAB regelmäßig über die Regenbogenpflege informiert.

Was sind die größten Herausforderungen im Bereich der Altenpflege und LSBT*IQ? Viele Einrichtungen sind ja der Meinung, dass eine allgemeine, tolerante Haltung ausreicht ...

Toleranz bedeutet ja, dass etwas geduldet, etwas hingenommen wird. Die sexuelle Identität eines Menschen ist jedoch nicht nur zu dulden oder hinzunehmen. Sie ist eine Tatsache. Die lesbische Frau und der schwule Mann will und muss angenommen, also akzeptiert werden.

Es reicht also nicht, eine allgemeine, tolerante Haltung in der Einrichtung zu haben, entscheidend ist, ob eine akzeptierende Atmosphäre geschaffen werden kann. Homosexualität muss genauso akzeptiert sein wie die Heterosexualität. Die lesbische Frau muss selbstverständlich von ihrer Freundin reden können und der schwule Mann Hand in Hand mit seinem Partner beim Sommerfest zu sehen sein, ohne Angst vor Diskriminierung.

Es ist die Aufgabe der Einrichtung, der Leitung und der Beschäftigten, diese Atmosphäre zu schaffen und zu erhalten. Gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern der Einrichtung und bei allen Handlungen muss diese Haltung immer deutlich werden.Oder, um es frei nach Goethe zu sagen, Toleranz kann nur eine vorübergehende Gesinnung sein, die zur Anerkennung führen muss. Nur Dulden heißt Beleidigen.

Viele LSBT*IQ-Menschen der frühen Emanzipationsbewegung kommen jetzt in das Alter, in dem ein Pflegeheim zum Thema werden kann; wie verändert das die Situation in den Einrichtungen?

Emanzipierte Lesben und Schwulen treten, Gott sei Dank, selbstbewusst auf, fordern eine akzeptierende Haltung ein und setzen sich gegen jede Form von unangemessenem Verhalten zur Wehr.

Inwiefern sich das auf die Einrichtung auswirkt, hängt meines Erachtens davon ab, wie die Einrichtung darauf vorbereitet ist.

Hat sich die Einrichtung hierauf nicht vorbereitet, kann es zu Diskussionen und Auseinandersetzungen führen, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark fordern. Wer Biographie bezogen arbeitet, wird nicht umhin kommen, sich mit der Geschichte der Homosexualität in Deutschland auseinander zu setzen.

Auch die Veranstaltungen in den Einrichtungen werden sich verändern, lesbische und schwule Themen werden angeboten müssen. Auch dies kann zu Spannungen innerhalb der Bewohnerschaft führen, mit denen die Beschäftigen umgehen und Haltung zeigen müssen.

Foto: silviarita, pixabay.com, gemeinfrei

Der Frankfurter Verband bietet für interessierte Einrichtungen Unterstützung zur Vorbereitung auf die Zertifizierung an.

Mit Mitteln des Hessischen Aktionsplans konnte der Frankfurter Verband zwei Broschüren herausgeben, die den Einrichtungen den Weg zu einer Zertifizierung leicht machen. Die Handreichung „Zum Zertifizierungsprogramm der Regenbogenschlüssel“ erläutert was der Regenbogenschlüssel ist, welche Kriterien erfüllt sein müssen, wie sich die Einrichtung auf die Zertifizierung vorbereiten kann und gibt Empfehlungen für die Vorgehensweise in der Organisation.

Eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Zertifizierung ist die Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit der zweiten Broschüre „Der Leitfaden Mitarbeiterschulung Regenbogenpflege” werden vier zentrale Lernfelder mit Zielen, Inhalten und hilfreichen Materialien beschrieben.

Mit diesen Broschüren kann sich jede Einrichtung ein Bild machen und überprüfen, welche Aspekte sie schon erfüllt hat oder was noch gemacht werden muss.

Wir als Frankfurter Verband finden, dass das Thema Diversity in der Ausbildung viel deutlicher hervorgehoben werden und in die Curricula aufgenommen werden muss.

Der Frankfurter Verband unterstützet gern die Einrichtung auf dem Weg zur Zertifizierung. Ebenfalls ist Herr Christopher Erdmann gern bereit die Einrichtungen zu beraten.

Wie populär ist das Thema LSBT*IQ im Bereich der Alten- Pflegeheime generell? Gibt es einen Überblick, wieviele Einrichtungen bundesweit die Zertifizierung schon haben beziehungsweise sie anstreben? Eventuell auch im Vergleich zu den Niederlanden, wo die Idee herstammt?Die Resonanz in der Altenhilfe selbst ist noch eher verhalten.

Neben dem Regenbogenschlüssel gibt es noch das Siegel des Lebensort Vielfalt in Berlin. Das München Stift widmet sich dem Thema ebenfalls sehr engagiert und hat viele tolle Ideen umgesetzt.

Leider gibt es bisher nur die Häuser des Frankfurter Verband, die mit dem Regenbogenschlüssel zertifiziert sind. Zwei Einrichtungen in Herborn streben die Zertifizierung an und werden sie bald erhalten.

Ganz anders sieht es in der Community aus. Wir erhalten Anfragen aus Sachsen, Weimar, Saarbrücken um nur einige zu nennen, die bei uns nach Erfahrungen anfragen, mal für einen Fachtag, mal für einen Vortragsabend. Und BISS hat sich bei seiner Jahrestagung im August 2018 in Frankfurt ebenfalls dem Thema gewidmet und die unterschiedlichen Modelle vorgestellt.

Die Holländer sind da wesentlich weiter als wir. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann sind in Holland über 100 Einrichtungen zertifiziert.

Mehr Infos zum Thema über www.initiative-regenbogenpflege.de und www.schwule-senioren-frankfurt.de,www.frankfurter-verband.de und www.regenbogenschluessel.de

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