#Interview: 100% MENSCH

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Foto: Norbert Egdorf

Mit der bundesweiten Ausstellung „WE ARE PART OF CULTURE“ möchte das gemeinnützige Projekt „100% Mensch“ mit der Opferrolle aufräumen, auf die LSBTTIQ*-Menschen in Gegenwart und Vergangenheit durch Diskriminierung, Verfolgung oder physische Gewalt reduziert werden. Die Ausstellung zeigt über 30 Portraits von LSBTTIQ*-Persönlichkeiten, die die Gesellschaft und die Kultur aktiv und positiv mitgestaltet und beeinflusst haben. Die Portraits wurden eigens für die Ausstellung von namhaften Künstlerinnen und Künstlern gestaltet, zu jeder Persönlichkeit gibt es begleitende Texte auf deutsch, englisch, russisch und arabisch. „WE ARE PART OF CULTURE“ findet außerdem an prominenten Stellen statt: Die Ausstellung wird in den kommenden zwei Jahren in den 20 größten Bahnhöfen Deutschlands gezeigt. Die erste Vernissage fand Ende September im Berliner Hauptbahnhof statt, vom 26.10 bis 14.11. macht die Ausstellung nun Station im Hauptbahnhof Frankfurt. Wir haben mit Holger Edmaier vom Projekt 100% MENSCH über die Ausstellung gesprochen.

Holger, wie habt ihr die abgebildeten Persönlichkeiten ausgewählt?

Das war ein hartes Stück Arbeit! Zunächst haben wir Bücher gewälzt, das Internet durchforstet und mit Expertinnen und Experten gesprochen. Grundlage war, dass die Personen in Europa geboren sein mussten und ihr Werk einen bis heute spürbaren Fußabdruck in unserer Gesellschaft hinterlassen hat. Am Ende hatten wir über 300 potenzielle Persönlichkeiten für die Ausstellung. Leider haben wir nur 30 Leuchtkästen zur Verfügung. Wir haben uns also Kriterien überlegt, nach denen wir die Auswahl Runde für Runde reduziert haben. Für uns war es wichtig, dass wir gleichmäßig viele Frauen und Männer zeigen. Menschen mit Transsexus beziehungsweise Intersexus wurden bevorzugt, da die Quellenlage enorm dünn ist und wir froh waren, überhaupt historische Vorbilder aus dieser Gruppe zu finden. Außerdem haben wir versucht, möglichst viele Jahrhunderte und Tätigkeitsfelder abzudecken. Das war ein schwieriger und teilweise schmerzhafter Prozess, da wir auch persönliche Lieblinge aus der finalen Liste streichen mussten. Natürlich würde jede*r, der bzw. die mit einer solchen Auswahl betraut wäre, eine andere Liste erstellen. Ich glaube, wir haben einen schönen Querschnitt gefunden.

Foto: Denis Mörgenthale

Wie kam die Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern, die die Portraits angefertigt haben, zustande?

Die ersten Künstlerkontakte kamen durch die persönliche Bekanntschaft zustande. Mit Gerda Laufenberg hatte ich schon vorher zusammengearbeitet, Robert Richards gerade in Berlin kennengelernt, Swen Marcel kannte ich noch aus meiner Zeit in Köln. Alle anderen haben wir einfach angeschrieben und gefragt. Es war unglaublich, wie schnell auch bekannte Künstler*innen wie Robert Nippoldt, Anne Bengard und natürlich Ralf König zugesagt haben.

Die Ausstellung war bereits in Berlin zu sehen – welche Erfahrungen habt ihr gesammelt?

Zunächst einmal war die Vernissage in Berlin ein Wahnsinnserfolg. Neben Bundesministerin Katarina Barley sprachen der Vorstandvorsitzende der Deutschen Bahn Station&Service AG Dr. Andé Zeug, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger, der Justizsenator der Stadt Berlin Dr. Dirk Behrendt, der Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld Jörg Litwinschuh und der Leiter des Archiv und Bibliothek des Schwulen Museum* ein Grußwort. Mit circa 150 geladenen Gästen war es die bisher größte Vernissage im Berliner Hauptbahnhof!

Das Laufpublikum reagiert ausgesprochen positiv. Die Menschen bleiben an den Kunstwerken stehen, lesen sehr interessiert die Informationstexte und gehen dann von Kunstwerk zu Kunstwerk. Uns ist aber auch klar, dass es natürlich auch Ablehnung geben wird. Wie weit diese geht, bleibt abzuwarten. Der Weg, über Kunst und schlichte Fakten die Menschen mit der Geschichte von LGBTTIQ* vertraut zu machen, scheint jedenfalls aufzugehen.

Foto: Julian Laidig / Projekt 100% MENSCH

Die Botschaft von „WE ARE PART OF CULTURE“ erinnert an das Motto aus den 1990ern „Proud to be Gay“ – raus aus der Opferrolle und sich seiner sexuellen Orientierung nicht schämen. Ist diese Botschaft gerade in der heutigen Zeit wieder wichtiger geworden?

Oh ja! Wir müssen leider gerade erleben, wie sich religiöser Fundamentalismus und rechtsextreme Positionen verbünden, um gegen Aufklärung und Vielfalt zu hetzen. Die sogenannte „Demo für Alle“, die eine Art Straßenarm der AfD ist, propagiert die Sexualmoral und Körperfeindlichkeit der 50er Jahre. Homosexualität wird zur Krankheit erklärt, Menschen mit Transsexus werden als krank bezeichnet und vor allem müssten Kinder „beschützt“ werden. Diese Gruppierungen haben es tatsächlich geschafft, Bildungspläne zu verändern! Insbesondere ein Satz aus diesem Umfeld war bedeutend für unsere Ausstellung: „Schwule und Lesben tragen nichts zu unserer Gesellschaft bei!“. Der Satz ist natürlich Quatsch, aber gleichzeitig hat er die Frage aufgeworfen, woher die Menschen eigentlich um den Beitrag der LGBTTIQ*-Gemeinschaft wissen sollten. In der Schule und in den Medien wird fast ausschließlich über die Verfolgung gesprochen – oder wer hat im Geschichtsunterricht erfahren, dass Friedrich II. von Preußen wahrscheinlich schwul war? Mit was für einem Selbstbild wachsen Jugendliche immer noch auf? Wenn ich immer nur höre, dass LGBTTIQ* Opfer sind, stellt sich für einen selbst doch auch die Frage – und ich? Bin ich auch ein Opfer? All dem setzen wir mit der Ausstellung eine positive und selbstbewusste Sicht auf unsere Geschichte entgegen.

Gibt es begleitende Veranstaltungen zur Ausstellung?

Die Ausstellung wurde speziell für Schulklassen ab der 8. Jahrgangsstufe konzipiert. Daher gibt es im Vorfeld in jeder Stadt eine Informationsveranstaltung für Lehrkräfte. Wir haben Material zur Vor- und Nachbereitung entwickelt und geben dies kostenlos an Lehrkräfte und Mitarbeitende aus dem sozial-pädagogischen Bereich ab. Das Material kann man zum Beispiel auf unserer Website bestellen.

Außerdem gibt es in jeder Stadt eine Diskursveranstaltung in Form einer Talkrunde. In Frankfurt findet diese am 1.11 im KUSS41 statt. Dort sprechen wir mit unseren Gästen über das Thema „Community . gestern . heute . morgen“. Es geht dabei um die Entwicklung der Community und die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir werden über Diskriminierung innerhalb der Community sprechen, und ob es eigentlich so etwas wie Community (noch) gibt.

„WE ARE PART OF CULTURE“ ist vom 26.10. bis 14.11. im Hauptbahnhof Frankfurt zu sehen, mehr Infos über www.wearepartofculture.de

Am 1.11. findet im KUSS41, Kurt-Schumacher-Str. 41, ab 19 Uhr die Talkrunde „Community . gestern . heute . morgen“ statt. Mit dem Publikum diskutieren unter anderem der Poetry-Slammer Sven Hensel, die Frauenrechtlerin, Historikerin und Musikerin Carolina Brauckmann, Rechtsanwältin Friederike Boll, die Frankfurter Stadtverordnete der GRÜNEN und Trans*-Aktivistin Jessica Purkhardt, Norbert Dräger von der AIDS-Hilfe Frankfurt sowie Markus Pritzlaff, Geschäftsführer des GAB Magazins, es moderiert Bernd Ochs von RadioSUB.

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