Wenn’s mal nicht läuft …

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Sexuelle Funktionsstörungen können viele Ursachen haben – das größte Problem ist die Tabuisierung. Der Maincheck möchte das Schweigen brechen und bietet seit Neuem eine Beratung für alle Menschen mit sexuellen Funktionsstörungen an. Ein Gespräch mit Christiane Eichenauer vom Team.


Foto: Eichenauer

Christiane, sexuelle Funktionsstörungen sind mehr als nur Erektionsprobleme. Was gehört alles dazu?

Die häufigsten sexuellen Funktionsstörungen bei Männern sind tatsächlich Erektionsprobleme, aber auch der vorzeitige Samenerguss. Der vorzeitige Samenerguss kommt bei 20 bis 30 % der Männer vor – das ist sogar häufiger als Linkshändigkeit. Bei Frauen ist sexuelle Unlust das häufigste Problem, aber auch Orgasmusschwierigkeiten, Schmerzstörungen wie Dyspareunieoder Vaginismus; dass bedeutet, dass die Vagina so verkrampft ist, dass keine Penetration möglich ist. Oft gibt es dafür auch psychische Ursachen. 

Die Beratung richtet sich also an Männer und Frauen?

Die Beratung ist für alle Menschen, die unter sexuellen Funktionsstörungen leiden. Und wir bieten natürlich auch Paarberatungen, weil sexuelle Funktionsstörungen oft durch Beziehungsprobleme kommen. Da ist dann die Kommunikation miteinander wichtig. Das Thema ist sehr schambehaftet.

Es wird kaum darüber gesprochen und Viele wissen nicht, an wen sie sich wenden können. Die häufigsten Reaktionen liegen dann eher in der Vermeidung und im Rückzug: Man vermeidet bestimmte Situationen, auch Sex mit dem Partner oder der Partnerin, aber dadurch kommt die Spirale mit Frustration und Selbstwertproblemen noch mehr in Gang. 

Gehen Frauen und Männer unterschiedlich mit dem Thema um?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass alle sehr schambehaftet damit umgehen und auch schnell in diesen Rückzug gehen, egal welche Geschlechtsidentität die Person hat. Oft versucht man erst mal das allein mit sich auszumachen, bevor man sich traut, das Thema anzusprechen. Deswegen denke ich, dass eine Beratung auch sehr wertvoll ist, damit man sich öffnen kann und lernt, darüber zu reden und zu merken, ich bin gar nicht allein damit, denn das ist ein Problem was wirklich sehr oft und häufig vorkommt.

Die Ursachen sind vielfältig – wie gehst du in deiner Beratung vor? 

Man unterscheidet zwischen psychogenen und körperlichen Ursachen, dann muss man schauen, ob die Probleme situationsabhängig oder generalisiert sind und ob erworben oder lebenslänglich. Im Rahmen einer solchen Sexualanamnese schaue ich auch, ob das Problem eher organisch bedingt ist, zum Beispiel mit Vorerkrankungen oder auch durch Medikamente; dann würde ich an einen Arzt oder eine Ärztin verweisen. Aber viele sexuelle Probleme sind wirklich psychisch bedingt. Das kann in der Erziehung liegen, es gibt kulturelle oder religiöse Faktoren, aber auch belastende Lebensereignisse oder aktuelle Beziehungskonflikte, weswegen wir ja auch Paarberatungen anbieten. Häufige Ursachen sind auch das eigene Körperbild oder der Selbstwert: Wenn man denkt, man ist nicht schön, und sich deswegen nicht sexuell frei bewegen oder ausleben kann. Oft ist es auch ein Zusammenspiel von körperlichen und psychischen Ursachen. 

man verliert das Vertrauen in den eigenen Körper?

Ja, wenn man öfter erlebt, dass man zum Beispiel Erektionsprobleme hat oder etwas öfter nicht funktioniert, dann kommt automatisch die Angst, wieder zu versagen, es irgendwie nicht zu schaffen und Erwartungen nicht gerecht zu werden. Dadurch setzt sich diese Angst fest. Und Angst ist ja der Gegenpart zur Lust, und dann kommt man in diese Spirale. Und dann ist der Partner oder die Partnerin vielleicht frustriert, bekommt vielleicht eigene Selbstwertprobleme und denkt, er oder sie sei nicht mehr attraktiv genug. Das setzt dann einen eigenen Kreislauf in Gang.

Welche Rolle spielt im Zusammenhang mit den Erwartungshaltungen die Pornografie, gerade auch bei schwulen Männern? Porno ist ja heute sehr einfach erreichbar, aber ich habe nicht das Gefühl, dass dadurch ein freier oder entspannter Umgang mit Sexualität entstanden ist. Kannst du das bestätigen? 

Ich habe das Gefühl, dass gerade Pornos ein Fantasienmodell vorleben, wie Sexualität zu sein hat, und das sind manchmal ziemlich unrealistische Vorstellungen. Zum Beispiel der immer potente Mann, vielleicht mit einem sehr gut gebauten Körper, der immer erregt ist, der immer kann. Das sind ja Sachen, die in der Realität so gar nicht stimmen. Das kann natürlich falsche Erwartungen und falsche Ansprüche an sich selber wecken.

Kommt so etwas häufig vor?

Ja, weil, wenn man sich vorstellt, normaler Sex sieht so aus, wie das in den Pornos widergespiegelt wird, dann denkt man, dass das eigene Sexleben gar nicht an diese Vorstellung rankommt. Und man denkt dann, man muss es irgendwie verbessern, und das geht vielleicht gar nicht, weil das eine Fantasievorstellung ist, und dadurch wird dann Performanceangst geweckt. Druck und Angst vor dem eigenen Können.

Wann würdest du jemanden empfehlen die Beratung aufzusuchen?

Immer dann, wenn eine emotionale Belastung stattfindet, wenn ein Leidensdruck stattfindet. Wenn man merkt, das belastet mich im Alltag und es geht mir eindeutig auch psychisch nicht gut damit. Sexuelle Unlust hat jeder mal oder es kommt auch mal vor, dass irgendwas mal nicht funktioniert. Aber wenn das wirklich so ist, dass man Leidensdruck hat, dass man emotional denkt, ich muss da jetzt wirklich was ändern, das belastet mich in verschiedenen Lebenslagen und das belastet meine Partnerschaft, dann sollte man eine Beratung aufsuchen.

Oft werden Wundermittel gegen sexuelle Funktionsstörungen angeboten. Was kann man davon überhaupt halten?

Medikamente können hilfreich sein, wenn sie vom Arzt oder der Ärztin verschrieben werden, gerade bei organischen Ursachen oder symptomatischen Beschwerden.

Viagra wird ja auch von Ärzten oder Ärztinnen verschrieben, und die können dann damit entsprechend behandeln. Ich würde das nicht in Eigenregie kaufen. Und zum Begriff „Wundermittel“: Da wäre ich vielleicht erstmal skeptisch. Vor allem kann sowas auch keine Beratung ersetzen, oder einen gesunden Lebensstil, oder eine Reflexion mit der eigenen Person oder mit dem eigenen Leben.

Du bietest die Beratung für alle an. Ist es für Männer nicht schwierig, mit einer Frau darüber zu sprechen?

Ich glaube, dass es keinen Unterschied macht, wichtiger ist die vertrauensvolle Atmosphäre. Natürlich kann ich als Frau mit einer Vagina nicht nachvollziehen, wie es ist, einen Penis zu haben. Aber man braucht ja auch selber keine Depression zu haben um eine Depression zu behandeln. Ich kenne mich sehr gut in der Community aus, habe Psychologie studiert, mich viel mit dem Thema Sexualtherapie und sexuellen Funktionsstörungen beschäftigt. Und ich möchte einen geschützten Raum schaffen, um darüber sprechen zu können.


Christiane Eichenauer berät zu sexuellen Funktionsstörungen im Maincheck, Friedberger Anlage 24, Frankfurt, Termine über maincheck.de

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