Kolumne: Gemeinsam einsam

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Niemand ist heute so einsam wie Menschen zwischen 18 und 29, ergab jüngst eine Studie des Thinktanks Progressives Zentrum. Schon vor der Corona-Pandemie habe es eine Pandemie der Einsamkeit gegeben, in der jeder Siebte unter 30-Jährige niemanden hatte, auf den er sich verlassen konnte, und sich keiner Gruppe zugehörig fühlte. Während der zweiten Corona-Welle war es jeder Zweite. Nicht etwa das Single-Leben, sondern der fehlende soziale Anschluss kennzeichnet Einsamkeit. Ein Grund, weshalb beispielsweise Schulaufklärungen und Coming-out-Beratungsangebote für junge Lesben, Schwule und Transgender wichtig sind, damit sie nicht lange mit sich und ihrer sexuellen Orientierung hadern und sich von ihrem Umfeld entfremden, sondern bald mit sich und ihren Gefühlen ins Reine kommen, ihren selbstbestimmten Platz und ihre Gemeinschaft finden.

Foto: cottonbro studio/pexels

Asoziale Medien

Bislang galt Einsamkeit als eine Geißel des Alters und des ländlichen Raums. Nun ist klar, dass besonders junge Erwachsene auch in der Stadt in sozialer Isolation leben. Einige der Gründe: TikTok, Instagram, Snapchat und Co. Die sogenannten sozialen Medien haben längst bewiesen, dass dort die üblichen Regeln des Miteinanders nicht gelten. Mobbing und Verachtung prägen viele Kommentarspalten. Gleichzeitig bleiben viele Chat-Kontakte oberflächlich und brechen schnell ab. Jede Minute, die jemand auf sein Smartphone schaut, fehlt, um in der Welt drumherum echten Menschen zu begegnen.

Gesellschaftskiller Einsamkeit

Es gibt mehrere gewichtige Gründe, weshalb die Gesamt-Gesellschaft, aber auch die LGBTIQ*-Community die Vereinsamung ihrer Mitglieder besser in den Blick nehmen sollten: Einsamkeit macht krank und gilt als so gefährlich wie Rauchen, Fettleibigkeit oder Bewegungsmangel. Einsame Menschen erkranken häufiger an Angststörungen und Depressionen.

Bild: 愚木混株 Cdd20/pixabay

Durch eine geringere Leistungsfähigkeit und Produktivität hat Einsamkeit außerdem wirtschaftliche Konsequenzen. Und sie ist eine Gefahr für die Demokratie, denn wer einsam ist, neigt eher zu extremen Ansichten als Menschen, die im ständigen Austausch mit anderen stehen.

Schon 2021 berichtete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, dass sich LGBTIQ* doppelt so oft einsam fühlten wie die restliche Bevölkerung. Für die Community ist das nicht neu, weswegen es schon seit Jahrzehnten Formate gibt, die das Anschlussfinden einfacher machen sollen. Heute sind diese Angebote so zielgruppenspezifisch und niedrigschwellig wie nie. Im Unterschied zu vielem anderen lässt sich Gemeinschaft allerdings nicht im Internet bestellen und nach Hause liefern. Gerade in diesem dunkelsten Monat des Jahres ist es wichtig, aus eigenem Antrieb Einsamkeitsvorsorge zu betreiben, aus dem Haus und unter Leute zu kommen. Die Szenelokale sind gute Anknüpfungspunkte, und einen Überblick des auch in diesem Monat prallen subkulturellen Programms findet ihr wie üblich in dieser Ausgabe. Also, Hintern hoch und los!

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