ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Schweißglänzende Haut über schwellenden Muskeln. Der Blick entschlossen in die Ferne gerichtet, während am Gerät mit der Gleichmäßigkeit eines Uhrwerks Stapel schwarzer Gewichtsblöcke auf und nieder surren.

Es ist die Vorstellung vieler, die als Konsequenz aus dem zum Jahreswechsel gefassten Vorsatz, im Jahr 2018 den schon immer ersehnten Adoniskörper zu erreichen, die Fitness-Studios berennen.

Tatsächlich findet man in den Sportstätten dann jedoch ein vollkommen anderes Bild vor. Zwar sind beinahe alle Kraftmaschinen besetzt, in Betrieb sind dabei aber vor allem die Smartphones. Als ungefähre Gesetzmäßigkeit gilt: Einem einminütigen Satz Muskelertüchtigung folgt eine Viertelstunde Facebook-Konsultation.

Unlängst fand ich beim Betreten der Damenumkleide meines Sportstudios eine Frau vor, die nur mit Büstenhalter und linker Socke bekleidet im Raum stehend, in eine intensive WhatsApp-Konversation vertieft war und die ich auch nach meiner Rückkehr eineinhalb Stunden später in derselben Positur und Blöße antraf.

Männer, die an der Eiweißshake-Bar des Studios das mittlerweile dritte Hefeweizen konsumierend ans klingelnde Handy gehen und nach ihrem Aufenthaltsort gefragt antworten „Ich bin im Fitness-Studio. Trainieren“, sagen zwar nicht die Unwahrheit, erzeugen aber doch am anderen Ende der Leitung ein falsches Bild.

„Gefällt mir“

Oft bleibt es lange unbemerkt, wenn ein Laufband defekt ist. Fällt aber das WLAN aus, wird binnen Minuten Alarm geschlagen. Die Geräteeinweisung ist zweitrangig - her mit dem Wifi-Passwort!

Foto: Flickr Nutzer Massimo Barbieri/CC BY-SA 2.0

Wie sehr uns die Sozialen Netzwerke fesseln und das Belohnungssystem unseres Gehirns ausbeuten, lässt sich an einem beliebigen Spätnachmittag in mit Drahtlosnetzwerk versorgten schwul-lesbischen Bars und Cafés beobachten. Unabhängig von nostalgisch-romantischer Verklärung sind diese Lokale doch ursprünglich für Kontakt, Gespräch, Geselligkeit und gelegentlich auch noch einiges Anderes konzipiert.   

Unlängst hatte ich mich nach dem Besuch einer Gay-Bar in Philadelphia in Wort und Schrift darüber empört, dass dort die Männer bei Gefrierfach-Kälte am Tresen aufgereiht auf ihre Telefone starren und kein zwischenmenschlicher Ton gesprochen wird.

Als ich dann neulich in einem meiner Frankfurter Stammlokale – immerhin bei Zimmertemperatur – das gleiche Bild vorfand, wollte ich mich erneut darüber erregen, verkniff es mir aber, um nicht Gefahr zu laufen mit dem Entzug von „Gefällt mir“-Angaben bestraft zu werden.

Denn die sind bekanntlich längst zur Währung geworden, haben einen Preis und sind käuflich. In Moskau und St. Petersburg stehen bereits Automaten an denen Likes gekauft werden können. 100 für 50 Rubel (umgerechnet knapp 1 Euro). Augenfälliger kann man die Wertlosigkeit der digitalen Beziehungsebene und ihre gleichzeitige Bestechlichkeit kaum noch zum Ausdruck bringen.

Mensch vs. Algorithmus

Rückblickend ist es kaum zu glauben, dass der Zyklop Facebook in seinen kurzen, unbedarften und unbeschwerten Kinderjahren mal eine ziemlich banale Plattform von miteinander bekannten oder sogar wirklich befreundeten Menschen war.  

Heute produzieren die Nutzer*innen füreinander nicht nur kostenlos durchaus attraktive und bisweilen hochwertige Inhalte, sondern geben dem feingeschliffenen Algorithmus durch ihre Interaktionen detailliert Auskunft über ihre Interessen, Meinungen, Aktivitäten, Aufenthaltsorte und Empfindungen.

In die andere Körperöffnung des Social Media-Ungetüms stopfen Marketing-, PR-, und Werbeagenturen gleichzeitig Unsummen, um ihre Zielgruppen so treffsicher wie nie zuvor erreichen zu dürfen. Ein Geschäftsmodell, dass man sich so nicht auszudenken gewagt hätte.

Doch auch die Nutzer*innen haben den Wert ihrer Bild-, Video- und (wenn auch deutlich seltener) Textbeiträge erkannt. Follower und Likes sind dabei die Einheiten, in denen der Marktpreis bestimmt wird. Wer herausragend viele davon aufweisen kann, wird schon mal von werbetreibenden Unternehmen mit Sach- oder Geldleistungen ausgestattet, um deren Produkte der eigenen Anhängerschaft zu präsentieren. Das wiederum treibt diese dann „Influencer“ genannten Profileigentümer*innen zu immer neuen Varianten der Selbstpräsentation und häufig zu immer tiefergehender Preisgabe persönlicher und intimer Einzelheiten. Denn wie das Kapital ist auch der Follower ein scheues Reh; mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs. Bis irgendwann aus der Gewinn und Anerkennung bringenden Selbstvermarktung ein Ausverkauf geworden ist.

Die ganz überwiegende Mehrheit wirft sich jedoch nach wie vor ganz ohne Gewinnerzielungsabsicht in Positur. Das ist wunderbar, denn Fotografie war und ist schon immer ein faszinierendes Hobby und Dank Smartphone heute für viel mehr Menschen zugänglich.  

Foto: Flickr Nutzerin Gabriela Zabka/CC BY 2.0

Wobei durch die digitalen Präsentationsmöglichkeiten anders als früher oft auf möglichst viele „Herzchen“- und „Daumen hoch“-Bekundungen abgezielt wird. Auf der Bilderplattform Instagram besteht bei den allermeisten Fotos kein Zweifel, dass es sich nicht mehr um gelungene Gelegenheitsschnappschüsse, sondern um raffiniert eingerichtete Kompositionen handelt.

Dafür musste man auf den Dia-Abenden früherer Tage 14 Mal den gleichen unscharfen Sonnenuntergang über sich ergehen lassen.

Vor kurzem ertappte ich mich übrigens selbst dabei, als ich im Begriff war, im Rahmen einer Vietnam-Reise in einem Restaurant gekochte Schnecke mit grünen Bananen zu bestellen. Mit dem unbestreitbaren Hintergedanken einen Aufmerksamkeit erheischenden Post daraus zu basteln.

Gerade noch rechtzeitig überwog dann glücklicherweise neben dem Ekel vor dem Gericht auch der vor der eigenen Geltungssucht.    

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