Interview: Antú Romero Nunes über Geschlechterrollen

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Antú Romero Nunes ist ein gefeierter Shootingstar der Theaterszene. Mit hinnerk spricht der Absolvent der „Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ über Inhalte, Geschlechterrollen und Walsperma.

FOTOS: ARMIN SMAILOVIC

SIE REISEN SEHR VIEL. WO SIND SIE ZURZEIT?

Im Sommer war ich in Peking und Schanghai unterwegs. Gerade war ich in Aigle in der Schweiz und bin heute zurück nach Genf gefahren, wo ich momentan die Oper „Der Vampir“ probe. In Aigle wohnt mein Cousin und ich konnte dort seinen Wein probieren. Er ist Winzer.

IST DAS REISEN SEHR ANSTRENGEND?

Ja, ist es. Aber ich glaube, es würde mich mehr anstrengen, immer an einen Ort gebunden zu sein und warten zu müssen, bis ich da wieder rausgeholt werde.

IST DAS THALIA THEATER DENN TROTZDEM SO ETWAS WIE EINE HEIMAT?

Natürlich ist es ein Mittelpunkt geworden. Ich inszeniere dort zwei Stücke pro Jahr, was mehr als die Hälfte meiner Arbeitszeit in Anspruch nimmt.

WIE FÜHLT ES SICH AN, MIT 33 JAHREN EINEN GANZEN MONAT, WIE JETZT IM DEZEMBER, MIT FÜNF INSZENIERUNGEN AN EINEM HAUS „GESCHENKT“ ZU BEKOMMEN?

Natürlich könnten sich die Leute fragen, was denn jetzt noch kommen soll, aber sie dürfen gespannt bleiben ... Ich arbeite doch auch schon, seit ich 25 Jahre alt bin. Es fühlt sich super an. Wenn ich früher an Hamburg dachte, war es ein Traum, mal am Thalia Theater zu inszenieren.

GIBT ES EINEN ROTEN FADEN BEI DER AUSWAHL DER STÜCKE? AKTUELL STEHEN STÜCKE VON MOZART ÜBER BRECHT UND KAFKA BIS ZU MELVILLE FÜR EINE GROSSE INHALTLICHE UND FORMELLE BANDBREITE.

Wenn es einen roten Faden gibt, dann ist es der Inhalt. Man sollte als Regisseur nicht nur versuchen, seine Handschrift hinzuknallen und dann zu schauen, ob es passt. Es geht darum, den Inhalten eine Form zu geben.

FOTO: ARMIN SMAILOVIC

WIE ENTSCHEIDEN SIE, WAS SIE ALS NÄCHSTES MACHEN?

Ich versuche, auf mich zu hören. Als ich Brecht gemacht habe, habe ich mich ein Jahr lang mit ihm und anderen Autoren der Zeit zwischen den Weltkriegen beschäftigt. Deswegen kamen auch Stücke von Kafka und Joseph Roth mit dazu. Für Richard III. war die Überlegung, nach so vielen Arbeiten im Kollektiv auch mal ein Stück zu suchen, das man nicht so mit mir verbindet. Es geht um die Suche nach Stoffen.

ERKLÄREN SIE DAS BITTE.

Ich habe nichts davon, die gleiche Art von Bühnenbildern und Spielweisen zu wiederholen. Ich möchte nicht, dass die Leute, die nicht so oft kommen, denken: „Wieder so ein Nunes-Stück.“ Dass die Schauspieler, die Kafka, Brecht, Don Giovanni oder Richard spielen, jedes Mal eine komplett andere Spielart zeigen, das bereichert meinen Beruf ungemein.

GIBT ES DENN NOCH TRÄUME?

Ich würde gerne einen Film machen. Und ich würde mich gerne mal von einem Schauspieler inszenieren lassen. Am besten mit anderen Regiekollegen zusammen. Und ich würde gerne geschlechtsfrei besetzen.

WAS MEINEN SIE DAMIT?

Es läuft immer gleich ab: Welche Frau spielt die Prinzessin, welcher Mann spielt den Prinzen? Der Mann muss immer ein starker Mann sein, die Frau fraulich und am besten noch mit weißem Kleidchen. Ich stelle mir aber lieber die Frage, wen ich als Typen besetzen möchte. Ich habe zum Beispiel bei einigen Frauenrollen eher Fantasien zu Männern, weil ich den inneren Zugang zu Stoffen so interessanter finde.

ZUM BEISPIEL?

Bei Moby Dick haben wir lange diskutiert, ob Frauen dabei sein sollen. Ich habe Nein gesagt, weil es ein Schiff ist und voller Testosteron. Es gibt keinen Ausgleich. Das bedeutet aber nicht, dass nichts Weibliches stattfindet. Das steckt ja in einem Mann genau so drin. Andersrum würde ich aber eben auch gerne Männerrollen durch Frauen besetzen. Das kann allerdings schwierig werden.

„Viele meiner Stücke kommen leicht schwul rüber.“

WARUM?

Weil Theater geschlechterspezifisch aufgebaut sind. Man weiß, es gibt weniger Frauenrollen, darum gibt es mehr Schauspieler. Dabei wird gerne vergessen, dass Shakespeare nur mit Männern gearbeitet hat, dass in der Antike nur Männer schauspielern durften. Damals war es normal, dass sich der Mann einfach eine Frauenmaske überzog und eine Frau darstellte. Mit jedem Intendanten stehe ich überall und jedes Mal vor der Diskussion: Warum kommt ihr denn nur mit den Schauspielerinnen für die Frauenrollen? Und dann kommt die Antwort, dass man sich ja sonst nicht in die Rolle einfühlen könne. Warum muss denn ein Schauspieler identisch mit seiner Rolle sein? Das ist doch das Langweiligste! Nicht mal im wahren Leben ist man doch ständig identisch mit dem, was man nach außen repräsentiert. Ich könnte ja über mich sagen, dass ich eigentlich eine lesbische Frau im Körper eines Mannes bin. Und viele meiner Stücke kommen, finde ich, auch leicht schwul rüber.

EINIGE SCHAUSPIELER STEHEN AUS DIESEM GRUND NICHT ZU IHRER SEXUELLEN ORIENTIERUNG. MAN WÜRDE  OFT SCHWULE NUR IN SCHWULE ROLLEN STECKEN, BEFÜRCHTEN SIE. KENNEN SIE SOLCHE BEISPIELE?

Es wird offener. Schauspieler entdecken wieder die Lust an der Verwandlung. Ich kenne zum Beispiel einen, der unheimlich gerne Lulu spielen würde.

UM BEI VERWANDLUNG ZU BLEIBEN: WAS HALTEN SIE VON BLACKFACING?

Ich möchte darüber in der Arbeit wenig nachdenken müssen. Ich habe schon „gewhitefaced“, aber nur, weil es in einem Schwarz-Weiß-Film gespielt hat. Ich kann mir auch vorstellen, dass Blackfacing in manchen Situationen genau richtig sein kann, um das Schwarzsein zum Thema zu machen. Die Frage ist doch vielmehr, ob man nicht anfangen muss, im Theater nicht nur Leute einzustellen, die aussehen wie ein Weißbrot. Das Problem hatte ich bei Moby Dick. Ich hatte acht Weißbrote auf der Bühne, obwohl es eigentlich eine internationale Mannschaft hätte sein sollen. Aber es ging ja inhaltlich nicht um die Internationalität, insofern war es so o. k.

WAS MEINEN SIE, WENN SIE SAGEN, IHRE STÜCKE KÄMEN SCHWUL RÜBER? BEI MOBY DICK SEHEN WIR DURCHTRAINIERTE KERLE, BEI DON GIOVANNI OPULENTE KOSTÜME – SIND ES DIESE ATTRIBUTE?

Nein. Ich höre das immer wieder von Zuschauern. Die sagen dann, sie hätten gemeint, dass Stück müsse wohl von einem Schwulen inszeniert worden sein. Ist nicht der Fall. (lacht) Ich glaube, es liegt vielleicht auch daran, dass ich umgekehrt zu meiner Aussage über Frauenrollen von vorhin ein sanfteres, liebevolleres Männerbild habe. Moby Dick ist natürlich aber auch die Sinnsuche eines schwulen Schriftstellers. Wenn da in Walsperma gebadet wird und das die Grundkraft für den Weltfrieden sei, dann ist das nicht nur ein philosophischer Ausflug, sondern auch ein schwules Augenzwinkern. Dem darf man sich nicht versperren. Man darf Unterschiede nicht einfach ignorieren, nur weil man alles gleichmachen, gleichbehandeln will. Man muss sie erst genau herausarbeiten, um sie dann gleichwertig zu behandeln.

•Interview: Christian Knuth

Ein Artikel aus dem aktuellen hinnerk. Hier kostenlos online und als App: https://goo.gl/z5GKhp

INFO

STÜCKE VON ANTÚ ROMERO NUNES IM DEZEMBER

8., 13. + 19.12., Richard III. 20 Uhr

9., + 31.12., Die Dreigroschenoper, 19:30 Uhr

15.12., Moby Dick, 19:30 Uhr

20. + 27.12., Dass Schloss, 20 Uhr

25.12., Don Giovanni. Letzte Party, 19 Uhr

Thalia Theater, Alstertor, Hamburg, U/S Jungfernstieg, www.thalia-theater.de

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