Interview • Helen Schneider: Aufbruch nach Hamburg

by

Foto: Anatoll Kotte

In Deutschland ist Helen Schneider schon seit 1978 einem großen Publikum bekannt. Sie ist eine unglaublich wandlungsfähige und immer aktive Künstlerin, die neben ihrer Theater- und Musicallaufbahn immer auch dem Pop treu geblieben ist. Mit ihrer aktuellen CD ist sie im Oktober am First Stage. Wir sprachen mit ihr über Berlin, Aufbruch und Hamburg.

Foto: Anatol Kotte

Sie sind mit Ihrer aktuellen CD „Movin’ On“ auf Tour. Das klingt nach Aufbruch und Bewegung. Wie wirkt sich Berlin auf Ihr künstlerisches Schaffen aus, welchen Einfluss hat die Stadt auf Sie?

Berlin war für mich immer wichtig an Wendepunkten meines Lebens. Ich nenne Deutschland mein Zuhause seit 14 Jahren und diese Stadt war meine erste Adresse. Als ich nach Berlin kam, war das voller Hoffnung. In meinen Armen lag mein todkranker Partner, mit dem ich 40 Jahre zusammen war und ich hoffte, dass ihm hier geholfen werden kann. Berlin ist wie New York eine Stadt der Flexibilität, der Vielfältigkeit, aber gleichzeitig umarmt einen diese Stadt aber auch. Schon wenn ich davon erzähle und zurückdenke, läuft mir – wie sagt man in Deutsch – habe ich eine Gänsehaut, weil sich so viel verändert hat durch Berlin. Auch künstlerisch. Ich habe schon lange, bevor ich hierhergezogen war, von reinem Pop zum Theater gewechselt, habe mit Hildegard Knef unter Helmut Baumann am Theater des Westens Cabaret gespielt, was ein ganz wichtiger Wendepunkt war. Später, als Georg gestorben ist, half Berlin wieder. Diesmal durch die Anonymität, die mir den Rückzug, Zeit und Raum für Heilung ermöglichte. Als diese Phase überstanden war, war Berlin wieder da mit seiner positiven Umarmung und ich konnte „movin’ on“, also weiter machen. 

Foto: Kai Myller

Wenn Sie zurückdenken an Ihre verschiedensten künstlerischen Phasen: Gibt es etwas, dass sie nicht noch einmal machen würden? Oder ist „Movin’ On“ auch ein Lebenskonzept?

Ich mache so vieles noch parallel. Ich spiele musikalisches Theater, ich habe meine Finger in Klassikprojekten und eben die Singer-Songwriter-Popmusik. Ich habe das Glück – und es ist für mich fast hart, das zu sagen – dass ich nie in meinem ganzen Leben, etwas machen musste, was mir zu dem Zeitpunkt nicht auch gefallen hätte. Ich bin jetzt 65 Jahre alt und natürlich gibt es Dinge, die ich nicht mehr machen würde, weil sie einfach nur zu einer 20-Jährigen passen. Ich habe mich weiterentwickelt – Gott sei Dank! Allerdings leben alle diese Phasen in mir weiter und ich nutze die Einflüsse und Eindrücke, die sie hinterlassen haben in Momenten, in denen sie passen. Ich lebe wirklich recht existenziell.

Gar keine Wehmut?

Doch. Wehmut gibt es. In aller Ehrlichkeit würde ich Vieles geben – ich weiß nicht genau was, aber etwas Großes – um wieder 40 zu sein. Nicht jünger.

Das perfekte Alter?

Ein Alter in dem ich mich selbst verstanden habe. In dem ich mich erkannt habe. Und trotzdem war alles noch „an seinem Platz“. Meine Freunde, meine Kraft, mein Körper und meine Gesundheit. Das war wirklich ein tolles Alter. Aber es ist natürlich nur Wunschdenken, das noch einmal wiederherstellen zu können.

Foto: Anatol Kotte

Wie empfinden Sie die Veränderungen im Musikgeschäft, das Streamen, Social Media. Betrifft Sie das?

Auf einer Seite fühle ich mich diesbezüglich richtig alt. Ein Lied auf „Movin’ On“ beschreibt es ganz gut. Mit 20 ist man sozusagen noch in der Mitte eines Kreises. Und mit den Jahren bewegt man sich langsam immer weiter von dieser Mitte weg und bemerkt plötzlich, dass man außerhalb des Kreises ist. Und nachdem man anfänglich darüber erschrocken ist bemerkt man dann aber, dass außerhalb dieses geschlossenen Kreises viel mehr Platz ist. Die technische Entwicklung hat für mich die, dass wir Zugang zu so vielen Informationen haben, dass digitale Information ihre Wertigkeit verliert: Wir wissen teilweise nicht mehr, was echt ist, was Fake. Warum das auch positiv für mich ist? Als Darstellerin auf einer Bühne, sei es im Theater oder in den Liveshows, schaut das Publikum wieder viel aufmerksamer hin, genießt es, wenn ein Künstler live und ohne große technische Hilfe auftritt. Das gibt uns eine Präsenz und auch eine Macht, gehört zu werden.

Immer wieder wird fälschlicherweise angegeben, Sie hätten in Hamburg gelebt. Haben Sie nicht, aber Sie waren ein paarmal dort. Haben Sie eine Verbindung zu der Stadt, gibt es etwas, auf das Sie sich neben Ihrem Konzert freuen?

Schön, dass Sie fragen. Ich habe zwei Neuigkeiten dazu zu berichten: Ich bin – und das mit großem Stolz – Dozentin an der Stage School geworden. Ich lehre dort Liedinterpretation. Und seit Anfang Juli bin ich Hamburgerin. Ich bin unglaublich glücklich hier und ich kann sagen:  „Movin’ On“ hat wieder ein neues ganz anderes Gesicht, ein neues Kapitel hervorgebracht.

*Interview: Christian Knuth

19.10., Helen Schneider – Movin’ On, First Stage Theater, Thedestraße 15, S Altona, 19:30 Uhr, www.firststagehamburg.de

Back to topbutton