#Queerrefugees • Polittranse trifft Senatorin

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Das altehrwürdige Café Gnosa bot den Rahmen für ein Round-Table-Gespräch zur Situation queerer Geflüchteter in der Hansestadt. Es diskutierten: Sozialsenatorin Melanie Leonhard, Polittranse Valery Pearl und Jimmy Blum für den hinnerk.

FOTO: TEAM RH PHOTOGRAPHY

hinnerk: Valery, du bist mit deinem Buchprojekt Kiezküche ja schon lange sehr involviert, kennst viele Geflüchtete und kümmerst dich auch persönlich.

Valery: Es war mir von Anfang an eine Herzensangelegenheit, mich in Projekten der Flüchtlingshilfe aktiv zu beteiligen. Das Buch ist aber das größte Projekt. Wir sind sehr sehr zufrieden mit den Verkäufen und extrem glücklich, dass es so gut aufgenommen wird. Nun ist es aber ja ein Kochbuch von und mit Flüchtlingen, aber vor allem ja für Geflüchtete und da geht die Reise weiter. Wir helfen bei Behördengängen, stehen mal im Team, mal alleine mit Hilfe zur Seite. Ganz aktuell hat das Team der Kiezküche gerade eine Wohnung für eine der Familien gesucht.

hinnerk: Stichwort Wohnungen. Frau Senatorin, als Schirmherrin des letzten Pride haben Sie angekündigt, Apartments für besonders schutzbedürftige LGBT*I-Geflüchtete zu besorgen. Wie ist der aktuelle Stand?

Leonhard: Wir haben eine ganze Reihe von Fällen, wo wir LGBT*I-Geflüchtete in den bestehenden öffentlichen Einrichtungen und in Wohnungen unterbringen konnten. Wenn das nicht ausreicht und es um einen besonders schutzbedürftigen Menschen geht, haben wir fünf Wohnungen, in denen einzelne Personen in WGs untergebracht werden können. Und wir haben auch immer wieder einzelne Fälle von Wohnungsvermittlungen außerhalb unseres Systems. Darüber hinaus sucht das Projekt Abrigo der Lawaetz-Stiftung aus der Community heraus Wohnungs- und Zimmerangebote. Wir hoffen, dass wir viele Angebote von Menschen bekommen, die durch ihre eigene Communityverbundenheit vielleicht besser wissen, worum es geht.

Foto: TEAM RH PHOTOGRAPHY

hinnerk: Gibt es da schon erste Ergebnisse?

Leonhard: Es gibt erste vorsichtige Angebote, das darf aber gerne noch sehr viel mehr werden. Wenn also jemand eine WG hat oder eine Wohnung vermieten will: Immer her damit!

hinnerk: Gibt es dann auch gemischte WGs?

Leonhard: Bei unseren fünf Wohnungen starten wir immer mit einem leeren Apartment und schauen dann, wer mit wem zusammenleben kann oder eben auch nicht. Das läuft genau, wie bei jeder anderen WG auch.

Valery: Aber gibt es nicht auch die Möglichkeit, dass Studenten oder – ich sag mal – ganz normale WGs Geflüchtete anstatt irgendeines anderen bei sich einziehen lassen?

hinnerk: Sicherlich ein super Ansatz, um gleich für gegenseitige Integration zu sorgen ...

Leonhard: Mit Abrigo bei der Lawaetz-Stiftung ist das genau so gedacht. Bei unseren eigenen öffentlich-rechtlichen Vermietungen geht es leider so nicht.

FOTO: TEAM RH PHOTOGRAPHY

hinnerk: Habt ihr inzwischen Zahlen über den Bedarf?

Leonhard: Gemeinsam mit dem Magnus-Hirschfeld-Centrum und Savia sind wir auf eine Zahl von rund zwanzig gekommen, die bisher versorgt werden konnten. Wir glauben aber, dass es eventuell noch mehr Bedarf gibt. Nicht alle kennen wir schon und vielleicht braucht der eine oder andere Betroffene auch erst mal das Wissen, dass es für seine spezifische Situation Hilfe und Angebote gibt. Deshalb bemühen wir uns gerade, unsere Projekte bekannter zu machen.

hinnerk: Wie wird das Thema in den Sammelunterkünften bekannt gemacht?

Leonhard: Einmal natürlich in den Orientierungskursen des BAMF. Man darf aber nicht vergessen, dass es für sehr viele Geflüchtete neu ist, dass der Staat nicht der Feind ist. Viele haben also zwei Fronten: zum einen den Umstand, dass Homosexualität vom eigenen Umfeld, von der Familie, der Gesellschaft nicht akzeptiert wird, und zum anderen, dass sogar der Staat sie deswegen verfolgt hat. Manche haben große Hemmungen sich zu offenbaren. Trotzdem haben wir alle Mitarbeiter in den Einrichtungen geschult, mit besonderer Aufmerksamkeit zu helfen. Durch die persönliche Ansprache soll auf die Angebote hingewiesen werden. Wir versuchen außerdem über verschiedenste niedrigschwellige Mittel, zum Beispiel über das großartige freiwillige Engagement, an die betroffenen Personen heranzukommen. Das ist ja auch einer der Gründe, warum wir hier heute zusammensitzen, denn auch die Szene kann hier natürlich aktiv zuhören und Hilfe leisten.

Valery: Das finde ich einen sehr wichtigen Punkt. Wir alle haben nur unseren eigenen Wirkungskreis und können jeweils nur diesen erreichen. Deswegen möchte ich diesen Beitrag im hinnerk auch gerne als Aufruf verstanden wissen. Jeder kann als Leser mit seiner Familie, mit Freunden sprechen und so das „Netzwerk des Wissens“ als gemeinsame Community-Aufgabe immer weiter spannen.

Leonhard: Ich möchte da ganz offen sagen, dass wir auf die Hilfe angewiesen sind. Wir können uns noch so tolle Projekte ausdenken – trotzdem wird an vielen Ecken behauptet, dass wir gar nichts machen würden. Es hilft uns dann nichts, wenn wir entgegnen: Stimmt nicht, wir machen doch was! Letztlich brauchen wir die Hilfe der Menschen, um die Projekte bekannt zu machen. Wir erreichen dann vielleicht nicht die Geflüchteten direkt, aber einen, der einen kennt, der dann sagen kann: Hey, da gibt es doch was ...

hinnerk: Bei rund 35.000 Geflüchteten in Hamburg in den letzten zwei Jahren und der Annahme von fünf bis zehn Prozent queerer Menschen ist da wirklich noch Luft nach oben.

Valery: Deswegen finde ich den Ansatz gut, damit in die breite Öffentlichkeit zu gehen. Vielleicht bringen wir damit einen Stein ins Rollen.

Leonhard: Es kommt nicht darauf an, dass sich jeder alle Einzelheiten merkt. Es reicht, wenn sich nur jeder merkt: Da gibt es was.

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hinnerk: Abschließende Frage. Schwule leben gerne in St. Georg, St. Pauli. Wenn jemand eine 3-Zimmer-Wohnung hat und bereit ist, ein Zimmer zu vermieten, aber eben 400, 500 Euro aufruft. Ist das machbar?

Leonhard: Grundsätzlich müssen die Mietobergrenzen eingehalten werden, die für alle gelten, die auf staatliche Sozialleistungen angewiesen sind. Wir versuchen aber gerade in Fällen von besonders Schutzbedürftigen flexibel zu sein. Will sagen: In Einzelfällen könnte man auch in St. Georg was hinbekommen.

Valery: Das würde ja auch in der Eingliederung helfen, wenn man dann als queerer Geflüchteter im Hood untergebracht ist.

Leonhard: Wie gesagt, das wird im Einzelfall entschieden. Manchmal geht es ja in erster Linie erst mal um das „Raus aus der Sammelunterkunft“. Da ist dann halt der Stadtteil mit dem schnellsten Angebot die beste Lösung. Aber um es noch mal zu sagen: Es wird am Ende nicht an 50 Euro über der Mietobergrenze scheitern.

•Interview: Jimmy Blum

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