Unterfinanzierung beendet – Interview mit Jörn Freynick

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In vielen Landesregierungen ist das Thema LGBTIQ* ein wichtiger Bestandteil des politischen Handelns. In den Koalitionsverhandlungen ringen und feilen die verschiedenen Parteien an wohlformulierten Erklärungen und Zielen. Einige Landeskoalitionen ernennen sich sogar selbst zur „Regenbogenkoalition“ der Bundesrepublik. Jedoch, was auf Papier gebracht wird, ist nichts wert, wenn man davon kaum etwas umsetzt. Dass in der Umsetzung von LGBTIQ*-Zielen gerade eine Koalition aus CDU und FDP der Spitzenreiter ist, ist für viele eine große Überraschung. Gut, schließlich gilt NRW mit Köln, Düsseldorf und Dortmund als homosexuelle Hochburg in Deutschland. Aber was macht die NRW-Koalition für die Community? Dazu haben wir mit dem LSBTI*-politischen Sprecher der FDP-Landtagsfraktion Jörn Freynick gesprochen.

Im März 2018 hat Minister Dr. Joachim Stamp berichtet, dass ab 2018 Projekte wie zum Beispiel „SCHLAU NRW“ ausgebaut werden sollen. Was ist 2018 alles umgesetzt worden?

Foto: congerdesign

Wir haben die Mittel für das landesweite Bildungs- und Antidiskriminierungsnetzwerk „SCHLAU NRW“ mehr als verdoppelt. Wir fördern nun eine zweite hauptamtliche Stelle sowie weitere Projekt- und Sachmittel. Dank dieser gefestigten hauptamtlichen Struktur gibt es aktuell zwanzig lokale ehrenamtliche Initiativen – so viele wie noch nie. Dann haben wir im Kinder- und Jugendförderplan erstmals eine Förderposition für LSBTI*-Jugendarbeit implementiert. Hierdurch können viele befristete Projekte in eine dauerhafte Förderung überführt werden. Insgesamt schaffen wir damit eine queere Jugendarbeit, die in der Republik ihresgleichen sucht. Auch ein Projekt zur wissenschaftlichen und didaktischen Aufarbeitung der Homosexuellenverfolgung durch den alten § 175 in NRW wurde initiiert. Die Ergebnisse werden im Sommer 2019 präsentiert. Für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch haben wir außerdem ein Landesprogramm zur Kinderwunschbehandlung aufgelegt. Jetzt ist der Bund am Zug: Die Große Koalition muss diese Programme endlich auch für lesbische Ehen öffnen.

2019 will die Regierungskoalition von NRW die Mittel für psychosoziale LGBTIQ*- Beratungsstellen erhöhen. Warum will die Koalition dies machen?

Mit der Mittelerhöhung beendet die NRW-Koalition die chronische Unterfinanzierung der LSBTI*-Trägerlandschaft. Das kommt sowohl den psychosozialen Beratungsstellen als auch den Dachverbänden und Koordinierungsstellen zugute. Über die letzten Jahre sind die Mittel trotz steigender Löhne und wachsender Aufgaben von der alten rot-grünen Landesregierung nie substanziell erhöht worden. In der Vergangenheit mussten die freien Träger statt der zugesagten 100-prozentigen Förderung mit nur 65 Prozent der notwendigen Mittel auskommen. Dies war nur mit einem enormen Engagement und viel Idealismus unter den Beschäftigten möglich.

Wie wird diese Erhöhung in Zahlen aussehen?

Insgesamt erhöhen wir die Mittel um 346.470 Euro für 2019. Für uns ist diese Mittelerhöhung im Haushalt gleichzeitig Dank für das bereits Geleistete und Zeichen der Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden der LSBTI*-Community.

Wer wird von den zusätzlichen Geldern profitieren?

Von den zusätzlichen Geldern profitieren die sechs psychosozialen Beratungsstellen (rubicon Köln, Rosa Strippe Bochum, KCR Dortmund, Schwule Initiative Siegen, KCM Münster, SVLS Mülheim) sowie die zwei Dachverbände (LAG Lesben in NRW, Schwules Netzwerk NRW), die Landeskoordinierung Trans* und die Landeskoordinierung Anti-Gewalt-Arbeit (AGA) in NRW.

Jedes Jahr gibt es eine Diskussion zur Finanzierung der CSDs in NRW. Wie betrachtet die FDP diese Diskussion?

Die zahlreichen CSDs in NRW spiegeln die Aktivität und Pluralität der Community wieder. Diese Vielfalt der CSDs – von den ganz großen Umzügen bis zu den kleinen Straßenfesten – ist Ausdruck unserer offenen Gesellschaft, die wir stärken müssen. Hier leisten unzählige Ehrenamtliche jedes Jahr großartige Arbeit. Es ist wichtig, dass dafür durch Aufgeschlossenheit der öffentlichen Verwaltung und offizielle Empfänge die Akteure und die Szene Unterstützung erfahren. Klar ist aber auch, dass zusätzlich finanzielle Unterstützung notwendig ist.

Wird die CDU-FDP-Koalition auch hier finanzielle Hilfen in Aussicht stellen können?

Die Problematik, dass einige CSD-Veranstaltungen finanziell nur sehr schwierig zu stemmen sind, ist mir bewusst. Hier sind auch die Kommunen gefordert, in Zeiten eines raueren gesellschaftlichen Klimas positive Bezugspunkte für die offene Gesellschaft vor Ort noch stärker zu fördern. In der NRW-Koalition müssen wir darüber nachdenken, wie wir zusätzlich zu den gerade beschlossenen deutlichen Mittelerhöhungen für die Träger auch gezielt die CSD-Landschaft noch stärker unterstützen können. Ich persönlich würde das begrüßen.

Wie sollen diese finanziellen Hilfen konkret ausschauen?

Dazu können wir erst konkret werden, wenn wir unsere Gespräche mit den Beteiligten und innerhalb der Koalition geführt haben. Im Moment stehen wir da noch ganz am Anfang, weil die auskömmliche Finanzierung der psychosozialen Einrichtungen für uns höchste Priorität hatte.

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