Färöer: Gezeitenwechsel im Nordatlantik

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Foto: Visit Faroe Islands - Grégoire Sieuw

Auf den Färöer-Inseln hat das Parlament die Ehe für alle eingeführt. Mit einem fröhlichen Pride feiert die kleine queere Community des Archipels zwischen Norwegen und Island die Liberalisierung der Gesellschaft.

In Tórshavn, der kleinen Hauptstadt der Färöer, haben sich heute alle herausgeputzt. Die Männer in Hemd und Krawatte, roter, oft aufwändig bestickter Weste, Trachtenjacke mit zahlreichen goldenen Knöpfen und Hosen, die bis knapp unter die Knie reichen. Darunter betonen die dicken, dunklen Wollsocken die Waden. Die Frauen erscheinen in Röcken, meist in dunklem Rot oder Grün, oft längs mit Schwarz gestreift. Das Oberteil ist kunstvoll aus Wolle gefertigt, ein Umhang schützt vor Kälte und Regen.

Tatsächlich ist die Ólavsøka, der ehrwürdige Nationalfeiertag, der Ende Juli 48 Stunden lang gefeiert wird, mehr als nur ein Staatsakt. Es ist zugleich ein Event, mit dem sich die Färinger selbst hochleben lassen. Beim Sportfest etwa, zu dem sich die Jugend der 18 Inseln bei Musik und unter Applaus der Anwesenden auf dem zentralen Platz von Tórshavn vorstellt. Ruderwettbewerbe stehen auf dem Programm, am Hafen spielen Kapellen zum Tanz. Stolze Zimmerleute lassen neu gebaute Holzboote unter großem Hallo der Umstehenden erstmals ins Wasser.

Foto: Visit Faroe Islands - Eva Kisgyorgy

Foto: Visit Faroe Islands - Eva Kisgyorgy

Foto: Visit Faroe Islands - Erla Rajani Ziskasen

Foto: Visit Faroe Islands - Daniele Casanova

Foto: Visit Faroe Islands - Christoffer Collin

Foto: Visit Faroe Islands - Christoffer Collin

Foto: Visit Faroe Islands - Eva Kisgyorgy

Wer kann, reist von weit her an, nutzt die Gelegenheit, um Familie und Freunde zu besuchen. Und weil zwei Tage für so ein Volksfest eigentlich nicht reichen, setzt die queere Community der Färöer-Inseln schon am Vortag den modernen Kontrapunkt und erweitert die Feierlichkeiten mit dem Pride einfach um noch weitere 24 Stunden. Viele Regenbogenfahnen mischen sich dann unter die Nationalflaggen mit ihrem blau-roten Kreuz auf weißem Grund. „Das ist nicht nur ein Gay Pride, es ist der Färöer Pride“, erklärt Organisator Eiler Fagraklett. „Hier feiern nicht nur Schwule, sondern jeder, der sich anders fühlt. Pride ist immer auch eine Feier der Vielfalt – und genau darin liegt auch dessen Erfolgsgeheimnis. Denn am Ende sind wir alle unterschiedlich.“

In der Tat kommt auch auf den Färöer-Inseln mit ihren rund 50.000 Einwohnern einiges an Individualität zusammen. Der nur dünn besiedelte Archipel ist international vor allem für seine spektakuläre Natur bekannt. Steile Klippen, die urplötzlich hunderte Meter in den dunklen Ozean stürzen. Langgestreckte, tiefe Täler, deren Hänge mit Gräsern und Moosen herrlich grün bewachsen sind. Fjorde und Sunde, deren Zusammenspiel von Ozean, Bergen und Küsten den Atem stocken lässt. Das ausgeglichene Klima mitten im Golfstrom sorgt für kühle Sommer und milde Winter. Kaum ein Tag vergeht ohne leichten Regen, bringt man aber eine wetterfeste Jacke und gute Schuhe mit, erlebt man außerhalb der Siedlungen die zahllosen kleinen und großen Wasserfälle, die wirken, als würden sie aus den Wolken selbst herabfließen.

Wer nicht in Tórshavn wohnt, mit 15.000 Einwohnern die einzige Stadt der Färöer, lebt vor allem in kleinen Dörfern. Der soziale Druck und die Kontrolle sind dort vergleichsweise hoch, bis vor wenigen Jahren noch traute sich kaum ein Schwuler, endlich das Coming-Out zu wagen. In internationalen Blogs wurden die der Hauptstadt fern gelegenen, besonders ländlich geprägten nördlichen Gebiete der Inseln manchmal beschrieben, als handele es sich um Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban.

Eine Übertreibung, in der sich jedoch ein wahrer Kern verbirgt. Noch im Jahr 2010 sorgte ein Parlamentsangehöriger für einen handfesten Skandal, als er sich weigerte, an einem Essen zu Ehren eines Staatsgastes teilzunehmen, der isländischen Premierministerin Jóhanna Sigurðardóttir nämlich. Seine Begründung: Sie lebe mit einer Frau zusammen. „Auch das Antidiskriminierungsgesetz musste in dieser Zeit mehrfach ins Parlament eingebracht werden, bis es endlich angenommen wurde“, erinnert sich Pride-Organisator Eiler.

Foto: Tobias Sauer

Foto: Tobias Sauer

Foto: Tobias Sauer

Foto: Tobias Sauer

Foto: Tobias Sauer

Doch das sind vergangene Zeiten. Die mittlerweile ehemalige Regierungschefin Sigurðardóttir ist Ehrengast beim aktuellen Pride, ihre Frau hat gerade eine Autobiographie geschrieben und stellt sie dem Publikum vor – und von dem notorischen Abgeordneten ist nicht mehr zu viel hören. Gerade erst musste er eine Niederlage auf ganzer Linie einstecken: Wenige Tage vor Pride und Ólavsøka öffneten auch die Färöer-Inseln die Ehe für Schwule und Lesben. Von diesen Reformen profitiert nicht nur die kleine LGBT-Community, sondern die Gesellschaft insgesamt, ist Eiler überzeugt. „Die Leute wollen an einem Ort leben, der liberal ist und der junge und kreative Menschen anzieht. Veranstaltungen wie der Pride stärken deshalb auch jene, die zuvor das Gefühl hatten, auf den Färöern nicht mehr atmen zu können.“ Das wäre tatsächlich eine positive Entwicklung, hatten die Inseln doch jahrzehntelang mit der Abwanderung ihrer Jugend zu kämpfen.

Die Stimmung während des Pride scheint Eiler Recht zu geben. „Das ist wirklich eine gute und schnelle Entwicklung“, freut sich Ólavur, der mit seinem Freund Rolant das Straßenfest besucht. Das Paar lebt in Kopenhagen, ist aber zur doppelten Feier mal wieder auf Heimatbesuch. „Eines Tages wollen wir ganz zurückkehren“, sagt Rolant. „Es ist so schön hier, ein Leben so nah an der Natur – ganz anders als in den großen Städten.“ Auch der zwanzigjährige Jónatan, der im Örtchen Sandur lebt, ist als Hetero gerne zum Pride gekommen: „Es ist wichtig zu zeigen und anzuerkennen, dass man jeden lieben kann“, erklärt er. „Und außerdem ist der Pride mittlerweile eine große Party, von und für alle Färinger.“

Mit ihrem Engagement haben die kleine queere Bürgerrechtsbewegung und ihre Verbündeten die Gesellschaft der Färöer innerhalb kürzester Zeit modernisiert. Zur Feier dieses Erfolgs kann man sich ruhig mal ordentlich in Schale werfen!

Weitere Informationen: Visit Faroe Islands

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