SÜDAFRIKA: Sicherer Hafen

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Sie ist Südafrikas wirtschaftliches und kulturelles Zentrum: In der Millionenmetropole Johannesburg liegen dunkle Vergangenheit und der Aufbruch in eine positive Zukunft eng beieinander.

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Multikulti pur: Wer am Samstag zwischen 9 und 15 Uhr den hippen Neighbourgoods Market in Johannesburgs Stadtteil Braamfontein besucht, bekommt ein Gespür dafür, wie kosmopolitisch es in der Millionenmetropole zugeht. Aus dem Schmelztiegel afrikanischer, asiatischer und europäischer Kulturen entwickelt sich hier ein ganz besonderer Mix, was Kunst, Musik und Kulinarik betrifft. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2011 hat sich der Markt zu einem trendigen Treffpunkt entwickelt. Beheimatet in einer Parkgarage, erstreckt sich der Markt über eine komplette Etage sowie das Parkdeck auf dem Dach. Dutzende von Streetfood-Ständen verkaufen hier Leckeres aus aller Welt, von Sushi über Tacos oder Crêpes bis hin zu thailändischem Curry und Pizza ist alles dabei. Natürlich dürfen afrikanische Spezialitäten nicht fehlen und auch Austern, Champagner, mit Alkohol aromatisierte Eiscreme, Craft-Bier, Wein und frisch gemixte Limonaden sind im Angebot. Auf dem Dach befindet sich neben einer großen Bar ein Markt für Kunsthandwerk, Mode und Schmuck, und unter einem Sonnendach sorgen DJs auf der Freifläche für entspannte Vibes, während man an großen Tischen sein Essen genießt. Von hier oben hat man zudem einen guten Überblick über die Stadt mit ihren Bürotürmen und Wohngegenden, von einer Fassade gegenüber lächelt der in Johannesburg überall gegenwärtige Nelson Mandela, gemalt in poppig bunten Farben.

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Hippes Afrika

Wer sich für Street-Art interessiert, sollte in Bezirken wie Maboneng, Jeppestown und Newtown vorbeischauen. Immer mehr lokale und internationale Künstler besprühen hier Wände und Brückenpfeiler mit ihren Werken, die oftmals die sozialen und kulturellen Verhältnisse des Landes kommentieren. Wer in Newtown ist, sollte beim Museum Africa vorbeischauen, nicht nur wegen der ins Museum führenden Treppe mit ihren in Regenbogenfarben bemalten Stufen. Die in einer historischen Markthalle untergebrachte Sammlung widmet sich kulturhistorischen und sozialen Themen des Kontinents und Südafrikas mit seinen hunderten ethnischen Gruppen und Stämmen. Im Gebäude ist zudem das Bensusan Museum of Photography untergebracht, das historische Fotos, aber auch Kameraausrüstungen zeigt. „Wer Johannesburgs derzeit spannendstes Stadtviertel kennenlernen will, sollte in Maboneng vorbeischauen.“ Lipian, der 2018 von Simbabwe nach Südafrika zog und hier sein Unternehmen Ntsako Travel Africa gründete, weiß Bescheid. Als Spezialist für LGBTIQ*-Reisen durch Südafrika und dessen angrenzende Länder kennt sich der 26-Jährige bestens in der Stadt aus. „Maboneng ist einer der wenigen Orte in ganz Afrika, an dem Diversität wirklich gelebt wird.

Foto: Dirk Baumgartl

Hier haben junge schwarze Existenzgründer auch Erfolg. Der gesamte Stadtteil lebt von diesem Geist, der auch die LGBTIQ*-Szene anzieht. Es gibt jede Menge kleine Geschäfte und Boutiquen, Restaurants mit authentisch afrikanischer Küche und ein aufregendes Nachtleben“, so Lipian. Jozi, wie Einheimische Johannesburg nennen, ist für ihn wie für viele andere Schwule, Lesben, Transgender und Queers aus anderen afrikanischen Staaten ein sicherer Hafen. „Die Stadt ist Heimat für eine LGBTIQ*-Community, die vom gesamten Kontinent stammt, und ein guter Ort, um einen authentischen Einblick in das Leben und die Situation von uns zu bekommen.“

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Einblick in LGBTIQ*-Kultur

Eine gute Gelegenheit, mehr über die LGBTIQ*-Geschichte der Stadt zu erfahren, ist die Teilnahme an der gerade von der Dlala Nje Foundation neu konzipierten Jozi Queer Pride Tour, die in Zusammenarbeit mit dem GALA Queer Archive entstand. Dessen Executive Director, Keval Harie, kennt die Herausforderungen, denen sich die lokalen LGBTIQ*-Communitys stellen müssen, nur zu genau. „Trotz Südafrikas fortschrittlichster Gesetzgebung fühlen sich viele Mitglieder der LGBTIQ*-Gemeinschaft ausgeschlossen und unsichtbar. Das ist vor allem in den armen und farbigen Communitys so“, so der 37-Jährige. Die Leute aus der Community sind alle sehr verschieden und teilen die Erfahrungen von struktureller, institutioneller oder individueller Diskriminierung und Marginalisierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität, ihrer Rasse, Klasse, ethnischen oder geografischen Herkunft. Unser Archiv wurde als Antwort auf diese Situation gegründet und sammelt Geschichten, Dokumente und kulturelle Zeugnisse, um diese auch für akademische Untersuchungen zugänglich zu machen. Das GALA Queer Archive beherbergt inzwischen eine große Anzahl von persönlichen und institutionellen Sammlungen, die die Geschichte, Kultur und Alltagserfahrungen afrikanischer LGBTIQ*-Communitys dokumentieren.“ Mit Ausstellungen, Jugendprogrammen, Trainingsprogrammen für Lehrer und einem Magazin für junge Queers engagiert sich GALA zudem im Bereich Aufklärung und versucht, der Community eine Stimme zu geben.

Foto: Dirk Baumgartl

Spannende Szene

Anders als Kapstadt ist Johannesburg kein Reiseziel, das beim schwulen Jetset ganz oben auf der Liste der beliebtesten Urlaubsdestinationen steht. Aber gerade das macht einen Ausflug in Jozis Szene so spannend. „Die Szene in Johannesburg ist wesentlich vielfältiger als in Kapstadt“, so Keval. Während Kapstadt bekannt für seine sichtbaren queeren Räume ist, hat Johannesburg aufgrund seiner schier unendlichen Größe viel unterschiedlichere Szeneerfahrungen zu bieten.“ Zu den bekannten queeren Bars zählt zum Beispiel das Liquid Blue – ein Ort, an dem vor allem die farbige LGBTIQ*-Community feiert. Etwa gegen Mitternacht füllt sich der kleine Klub, der von einer großen Bar und einer davorliegenden Tanzfläche dominiert wird. Im Gegensatz dazu hat man im Babylon den Eindruck, in einer westlichen Großstadt-Schwulenbar zu sein. Hier tanzen wohlhabende Johannesburger, Expats und Touristen und lassen sich von halb nackten Barmännern die Shots aus der Flasche direkt in den Mund gießen. Auch in Hinblick auf den Gay Pride wird die Vielfalt (aber auch das Trennende) innerhalb der Szene sichtbar: Neben dem Joburg Pride gibt es auch Prides in Ekurhuleni, Pretoria und Soweto. „Gerade den Soweto Pride, der jedes Jahr im September stattfindet, kann ich sehr empfehlen“, erzählt Keval. Aber auch sonst legt der groß gewachsene Südafrikanischer mit indischer Abstammung einen Besuch in Johannesburgs bekanntester Township nah: „Die historischen Orte in Soweto geben einen Einblick in Südafrikas Geschichte und seinen Kampf für Freiheit, auch ein Besuch im Apartheid-Museum und im Johannesburg Holocaust and Genocide Centre lohnen sich.“

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Aufbruch

Auch ein weiterer historischer Ort sollte während eines Besuchs in Johannesburg nicht fehlen: Wer sich auf den Weg zum Constitution Hill macht, erlebt so etwas wie einen Crashkurs in südafrikanischer Geschichte. Zu Zeiten der Apartheid, während der eine strikte Rassentrennung zwischen Schwarzen, Weißen und sogenannten Mischlingen galt, befand sich auf dem inmitten der Stadt gelegenen Hügel ein Gefängnis für politische Häftlinge. Südafrikas erster schwarzer Präsident Nelson Mandela saß hier ebenso ein wie der indische Unabhängigkeits-Aktivist Mahatma Gandhi, der einige Jahre in Südafrika lebte und sich schon dort gegen Rassendiskriminierung engagierte. Auf dem Gelände befand sich bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Fort mit Gefängnis, das zur Verteidigung der Südafrikanischen Republik gegen die britische Invasion errichtet wurde. Wer heute auf den mächtigen Festungsmauern herumspaziert, erlebt von dort einen guten Rundblick über die Millionenmetropole. Hier, auf dem Constitution Hill, treffen Südafrikas dunkle Kapitel seiner Geschichte auf Zeichen von Hoffnung, Gleichheit und Freiheit, die das neue Fundament der 1994 als „Regenbogennation“ mit neuer Verfassung ausgestatteten Republik bilden. Seit 2004 befindet sich an der Stelle eines der Gefängnistrakte das südafrikanische Verfassungsgericht, ein zu jeder Zeit öffentlich zugängliches, modern designtes Gebäude, das zum Teil aus Backsteinen des vormaligen Gefängnisses besteht. Für die LGBT-Community des Landes spielt das lichtdurchflutete Gericht eine ganz besondere Rolle: Am 30. November 2006 fiel hier das Urteil zur Einführung der Ehe für alle – als fünftes Land weltweit und als erstes Land Afrikas überhaupt. Doch auch schon vorher fällte das Verfassungsgericht wegweisende Urteile, wie sich Keval erinnert: „Es war 1999, als das Gericht in dem von der National Coalition for Gay and Lesbian Equality und der South African Human Rights Commission gegen den Justizminister und andere angestrebten Prozess die furchtbaren Sodomie-Gesetze abschaffte. Damals notierte der Verfassungsrichter Albie Sachs, dass es in dem Fall auf einer praktischen und symbolischen Ebene um Zustand, moralisches Bürgerrecht und das Gefühl von Selbstwert eines signifikanten Teils der Gesellschaft gehe. Auf einer mehr generellen und konzeptionellen Ebene betrifft der Fall aber die Natur einer von der Verfassung erwarteten offenen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Ich war damals wohl zu jung und noch nicht ‚out‘ genug, um die Bedeutung dieses Urteils für meine Zukunft als in Südafrika lebender schwuler Mann genug schätzen zu können.“

Foto: Dirk Baumgartl

INFO

www.dein-südafrika.de

HINKOMMEN

KLM Royal Dutch Airlines fliegt in der Regel täglich ab vielen deutschen Städten (darunter Berlin, München, Hamburg, Stuttgart) über das Drehkreuz Amsterdam nach Johannesburg. Geflogen wird mit einer Boeing 777 mit Economy und Business Class. www.klm.com

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HOTEL

Das zur südafrikanischen Boutique-Hotel-Kette Home* Suite Hotels gehörende und kürzlich eröffnete Bristol Rosebank liegt in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Gauteng und dem Designdistrikt mit seinen trendigen Bars, Restaurants und Shops. Die insgesamt 28 überdurchschnittlich großen Zimmer sind modern eingerichtet und verfügen über King-Size-Betten. Neben einem Frühstücksbüfett werden warme Speisen in einer offenen Küche frisch zubereitet, und die Dachterrasse mit Pool eignet sich hervorragend, um mit einem Drink in der Hand den Sonnenuntergang zu genießen. www.homesuitehotels.com

TIPP

Der junge südafrikanische LGBTIQ*-Reisespezialist Ntsako Travel Africa bietet verschiedene Reisepakete und Ausflüge im südlichen Afrika an www.ntsakotravelafrica.com

Foto: Dirk Baumgartl

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