KOMMENTAR: STONEWALL RIOTS – AUF DIE BERLINER ART

Der Deutsche und sein Vereinsleben. Das hatte immer schon etwas ganz Spezielles und sorgt bei Beobachtern sowohl im In- als auch besonders im Ausland für Augenzwinkern bis Kopfschütteln. Die Auseinandersetzung um den CSD-Verein in Berlin ist ein Paradebeispiel im Sinne des Wortes.

Am 26. Februar lud der Berlin CSD e. V. zum CSD Forum, einem, wie es der Name schon sagt, Forum. Hier treffen sich in unregelmäßigen Abständen die Verantwortlichen und die sich verantwortlich Fühlenden der Berliner Community mit dem – irgendwann in ferner, unorganisierter Vergangenheit ohne Social Media mit der Organisation des alljährlichen CSD beauftragten – Verein, um dessen Plänen zu lauschen. Nun ist es so, dass die aktuellen Pläne durch einen irren Zufall einem der Mitglieder des Vereins vorab rausgerutscht sind und in der Manier von „Stille Post“-Spielen in den sozialen Netzwerken und den Medien zu einem handfesten Community-Skandal hochdiskutiert wurden, bevor eigentlich bekannt war, was da wohl kommen möge. Zeitgleich brachen vonseiten der Politik und des Vereins mediale Kampagnen los: Eine Seite fühlt sich ungerecht behandelt (und dies wohl auch nachweislich), die andere verortet (absolut zu Recht) mangelndes demokratisches Gespür.

Folglich erfreute sich das CSD Forum eines nie da gewesenen Besucheransturms: Vorstand wie Geschäftsführer des CSD Vereins mussten sich die ersten eineinhalb Stunden Zeit nehmen, die Fragen der erhitzen Gemüter zu beantworten und Rechenschaft darüber ablegen, warum sie politisches Porzellan zerbrachen und ob der von einem Onlinemagazin aufgedeckte Skandal um Verquickungen zwischen Verein und Veranstaltungsagentur überhaupt ein solcher ist. Um es kurz zu machen: Ja, die Umgangsweise mit der Politik ist äußerst fragwürdig, allerdings im Sinne eines Riots ohne Gewaltmittel durchaus nachvollziehbar, sollten die vorgebrachten Anschuldigungen um Behördenwillkür stimmen. Und nein, einen Skandal um finanzielle Bereicherung am Projekt CSD scheint es nicht zu geben (der Einblick in die Bücher soll gewährt werden), sehr wohl allerdings ein Defizit an Öffentlichkeitsarbeit und Feingefühl für eine repolitisierte Community.

Es ist tatsächlich nicht mehr zeitgemäß, Großprojekte unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu konzipieren und Meinungsbildung ohne die Gesellschaft zu betreiben. Die Beispiele aus Politik und Wirtschaft hätten dem Verein eine Warnung sein sollen, als er sich daran machte, aus dem CSD eine neue Stonewall-Bewegung zu formen, die – und auch das war im Forum zu hören – so schlecht dann doch nicht ankommt.

Der Vereinsvorstand bekam seinen Stonewall-Aufstand dann auch noch und wurde vom versammelten Forum durch die Geschäftsordnung gezwungen, das deutliche Votum gegen eine sofortige Umbenennung des CSD in Stonewall mit in die angestoßene Mitgliederversammlung zu nehmen und in Zukunft weitreichende Entscheidungen zuerst mit der Bewegung zu diskutieren und dann darüber zu befinden. Trotz chaotischer und äußerst lauter Diskussion eine kleine Sternstunde der Berliner Community, denn endlich scheint der CSD wieder da angekommen zu sein, wo er hingehört: in der breiten öffentlichen Diskussion der politisch interessierten und engagierten Vertreter der Berliner Szene.

Was übrig blieb, ist die Frage, wie die knapper werdende Zeit zum CSD im Juni genutzt wird, um den politischen Scherbenhaufen zur Seite zu kehren und die im Forum knisternde Energie in einen erfolgreichen Protest zu kanalisieren. Sicher haben Politik und Verwaltung trotz der Kampagnen des Vereins ein großes Interesse an einem erfolgreichen CSD im Zentrum der Stadt und sollte sich gut überlegen, ob das Angebot, am Großen Stern zu demonstrieren, zurückgezogen wird. Sicher hat auch der Verein ein Interesse daran, nach dem schmerzhaften Erkenntnisprozess nicht länger alleine Vertreter des CSD zu sein, der Community zu zeigen, dass bei aller inhaltlichen Kritik über seine eigentliche Organisationsarbeit in der Vergangenheit und in 2014 nichts auszusetzen ist.

Die Community jedenfalls will einen CSD. Sie will politisch demonstrieren, Klischees wie nackte Ärsche und schlecht frisierte Transen als Zeichen des Erreichten mitten in der Stadt präsentieren und zeigen, dass wir viele und vielfältig sind. Über fünfhundert Unterzeichner kann die Aktion „Hände weg vom CSD“ bis heute zählen – ein starkes Votum für einen lauten Riot am 21. Juni 2014! •Christian Knuth

Internet: WWW.CSD2014.DE

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