„Unser U-Bahn-Baby“: Familie ist, wo Liebe ist

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Eine rührende Geschichte aus New York zeigt wieder einmal: Nur Liebe macht eine Familie aus. Ein schwules Paar erzählt, wie sie Väter wurden – nachdem einer von ihnen ein einer U-Bahn-Station ein ausgesetztes Baby fand.

20 Jahre ist es her, dass Sozialarbeiter Danny Stewart am 28. August 2000 in einer New Yorker U-Bahn-Station war, auf dem Weg zu seinem Partner Peter 'Pete' Mercurio – als er in einer Ecke neben einer Treppe eine „Babypuppe“ entdeckte. Ohne sie weiter zu beachten, ging Stewart die Stufen hinauf – erst oben blickte er sich noch einmal um und entdeckte fassungslos: Die Beine der Puppe bewegten sich.


Ein Geschenk des Schicksals

„Er hatte keine Kleidung an, er war nur in dieses Sweatshirt eingewickelt. Seine Nabelschnur war noch teilweise intakt, also konnte ich erkennen, dass er ein Neugeborenes war. Ich dachte, er wäre vielleicht einen Tag oder so alt.“

Foto: Peter Mercurio

Im Gespräch mit BBC News redeten Stewart und Mercurio nun über diese schicksalsträchtige Begegnung vor über zwanzig Jahren. Nachdem Stewart die Polizei von einer Telefonzelle aus anrief, wurde der Säugling weggebracht. Später wurde er gebeten, vor Gericht über den Fund des Babys auszusagen. Die Richterin war es schließlich, die dem Schicksal auf die Sprünge half. Sie fragte Stewart:

„Wären Sie daran interessiert, dieses Baby zu adoptieren?“

Stewart erzählt, dass wohl den meisten im Gerichtssaal daraufhin die Kinnlade herunterfiel, auch ihm. Er war baff, da er eine Adoption nie in Erwägung gezogen hatte. Aber er musste zugeben, dass er sich mit dem Kind sehr verbunden fühlte und erklärte, dass er schon interessiert wäre, aber auch davon überzeugt, dass es nicht so einfach sei. Die Richterin habe daraufhin gelächelt und ihm versprochen: Doch, es könne so einfach sein.

Sein Partner Mercurio hatte noch Zweifel – besonders, da sie damals kaum Geld hatten und ihre Wohnung mit einem Mitbewohner teilten – doch nach vielen Gesprächen, so die beiden Männer, fanden sie gemeinsam den Mut, den wichtigen Schritt zu wagen. Als sie das Baby in seiner Pflegefamilie besuchten, wurden letzte Zweifel zerstreut. Es ging dem Kind nicht gut, er hatte einen schmerzhaften Windelausschlag vom Bauchnabel über den Rücken bis runter zu den Hüften. Ihnen wurde klar, dass sie ihm ein gutes Zuhause bieten konnten, wollten und mussten. Und: Beide Männer fühlten sich sofort mit dem Baby verbunden. 

Foto: Peter Mercurio

Heute erzählt Stewart:

„Ich hatte das Gefühl, dass dies nicht einmal eine Gelegenheit war, es war ein Geschenk, und wie kann man zu diesem Geschenk nein sagen?“

Doch es hieß, bis das Kind zu ihnen ziehen könnte, würden Monate vergehen. Am 20. Dezember 2000, bei einer Gerichtsanhörung zum Adoptionsverfahren, fragte dieselbe Richterin, die den Stein ins Rollen gebracht hatte, sie aus heiterem Himmel, ob sie ihren künftigen Adoptivsohn gerne zu den Feiertagen mit nach Hause nehmen würden. Mit Hilfe von Freunden und Familie wurde das Unmögliche möglich: Nach geschäftigen Tagen der Vorbereitung nahmen seine neuen Eltern das Baby zu Weihnachten 2000, vier Monate nachdem es in der U-Bahn ausgesetzt wurde, ihn in ihrem Zuhause auf. Sie gaben ihm den Namen Kevin. Das Adoptionsverfahren selbst dauerte noch mehrere Monate und beinhaltete Hintergrundüberprüfungen und Elterntraining.


Richterin machte sie zu Eltern – und zu Ehemännern

Stewart und Mercurio heirateten 2011, als New York der sechste Bundesstaat der USA wurde, der die Ehe für Homosexuelle öffnete. Die Trauung wurde vollzogen von der Richterin, die ihnen damals den schicksalshaften Vorschlag machte, Kevin zu adoptieren – die Idee kam von Kevin selbst. Zwei Stunden, nachdem seine Väter eine Anfrage an das Familiengericht in Manhattan gestellt hatten, kam die Antwort. Die Richterin schrieb, sie würde sich sehr darüber freuen, die beiden trauen zu dürfen. Stewart erinnert sich daran:

„Diese Frau, der eigentliche Grund, warum wir eine Familie sind, ist wieder der Grund, warum wir ein Ehepaar werden. Es war, als würde sich der Kreis schließen.“

Im Interview erzählt er, dass er sich sein Leben nicht vorstellen könnte, wenn es sich nicht so entwickelt hätte – wenn er nicht am 28. August 2000 an ebenjenem Ort gewesen wäre. Sein ganzes Leben sei durch die Ereignisse viel reicher und erfüllter geworden, seine Weltsicht und seine Perspektive völlig verändert. Mercurio hat sogar ein Kinderbuch geschrieben, in dem sie die Erfahrung beschreiben, wie sie schwule Väter wurden. Es heißt: „Unser U-Bahn-Baby“. Heute sagt er:

„Ich wusste nicht, dass diese Ebene der tiefen Liebe in der Welt existiert, bis mein Sohn in mein Leben kam.“

Und Kevin selbst? Der ist heute 20 Jahre alt, größer als seine beiden Väter, liebt Sport und studiert Mathematik und Computerwissenschaften an der Universität.

Foto: Peter Mercurio

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