#metoogay – Tödliche sexualisierte Gewalt unter Queers

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Der Tod eines jungen Studenten sorgt derzeit in Frankreich für große Bestürzung: Der 20-jährige Guillaume T. beschuldigte im Januar einen Pariser Stadtrat und dessen Partner der Vergewaltigung. Der Fall führte in Frankreich zu einer stärkeren Aufmerksamkeit für sexuelle Gewalt gegen queere Menschen. Die beiden stritten die Vorwürfe ab und strebten eine Verleumdungsklage gegen den 20-Jährigen an. Nun hat der Student sich das Leben genommen.

Unter dem Hashtag #metoogay bezichtigte Guillaume T. am 21.Januar einen französischen Politiker auf Twitter der Vergewaltigung. Er behauptete, der Pariser Stadtrat Maxime Cochard (36) und sein Partner hätten ihn in einer ausweglosen Situation bei sich aufgenommen und seine Schwäche sexuell ausgenutzt. Damals soll er erst 18 Jahre alt gewesen sein. Ebenfalls im Januar hatte der Student Anzeige gegen die beiden erstattet.

#MeTooGay

Mit seinem Tweet inspirierte Guillaume hunderte queere Menschen, unter dem bereits etablierten Hashtag #metoogay auf Twitter ihre eigene Geschichte von sexuellem Missbrauch zu erzählen. Französischen Medien wurden darauf aufmerksam und berichteten über die Problematik, Personen des öffentlichen Lebens bezogen Stellung zu dem Thema und dankten den mutmaßlichen Opfern für ihren Mut. Auch Marlène Schiappa, beigeordnete Ministerin für Staatsbürgerschaft, sicherte allen ihre volle Unterstützung zu, die sich trauten, ihr Schweigen zu brechen und ihre intimen und schmerzhaften Geschichten mit der Welt zu teilen, um anderen Opfern zu helfen und künftige Verbrechen zu verhindern.

Am Tag nach seinem Tweet sprach Guillaume T. mit der Zeitung Le Monde:

„Es war mein letztes Schuljahr. Ich war erst 18, ich war verletzlich. Wegen familiärer Probleme hatte ich nicht wirklich einen Platz zum Schlafen. Ich habe einige Male bei ihnen zu Hause geschlafen. Sie nutzten meine Jugend, meine Naivität aus, um Sex mit mir zu haben. Ich brauchte mehr als zwei Jahre, um zu erkennen, dass das, was ich durchgemacht hatte, nicht einvernehmlich war, und mich zu trauen, das Wort „Vergewaltigung“ zu benutzen. Es kam mir gelegen, so zu tun, als sei nichts passiert.“

Er erklärte, er habe sich schließlich dazu entschlossen, mit der Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, weil die beiden Politiker innerhalb ihrer Partei und der Pariser Politik immer weiter aufstiegen. Von den vielen Antworten auf seine Geschichte sowie der politischen Dimension sei er überwältigt, so Guillaume.

Beschuldigte strebten Verleumdungsklage an

Cochard und sein Lebensgefährte stritten die Vorwürfe sofort ab. Ihre Anwältin Fanny Colin erklärte im Namen ihrer Mandanten, der Sex sei einvernehmlich gewesen. Niemals sei eine Zustimmung erzwungen worden. Die Politiker reichten mit ihren Anwälten eine Verleumdungsklage ein. Nach dem Tod des Studenten wurde diese nun zurückgezogen.

Der offen schwule Cochard saß seit Juni 2020 für die kommunistische Partei Frankreichs im Pariser Stadtrat. Der Parti communiste français (PCF) ist mit 138.000 Mitgliedern die mitgliederstärkste kommunistische Partei Westeuropas. Der PCF forderte Cochard und seinen Lebensgefährten, einen Sektionssekretär der Partei, noch am 21.Januar auf, sich von ihren politischen Aktivitäten zurückzuziehen. Guillaume T. war ebenfalls Mitglied der Partei, soll sie Medien zufolge jedoch ein Jahr nach der angeblichen Vergewaltigung wieder verlassen haben.

Guillaumes Tod erschüttert Frankreich

Am 9. Februar wurde der leblose Körper des Studenten in seinem Zimmer im Pariser Vorort Nanterre aufgefunden. Eine Untersuchung zur Todesursache sei eingeleitet worden, teilte die Staatsanwaltschaft Nanterre mit. Die Zeitung Le Parisien berichtete:

„Nach ersten Erkenntnissen hat sich der junge Mann, der das erste Jahr seines Bachelor-Studiums in Wirtschafts- und Sozialverwaltung wiederholte, in seinem Studentenzimmer erhängt“.

Am Mittwoch, 10. Februar, löste die Berichterstattung über die Selbsttötung von Guillaume T. in Frankreich große Bestürzung aus. Viele französische Politiker betrauerten in sozialen Medien den Tod des jungen Mannes. Einige von ihnen beklagten außerdem ein im Kampf gegen sexuelle Gewalt ineffektives Justizsystem sowie einen auf fehlenden Finanzierungshilfen basierenden Mangel an Anlaufstellen für queere Jugendliche. Fabien Roussel, der nationale Sekretär des PCF, sprach auf Twitter von  „einer schrecklichen Tragödie, die eine ganze Jugend trifft, die uns alle trifft“. Der PCF würde, getreu seinen Werten, nach Wahrheit und Gerechtigkeit für Guillaume streben, so Roussel. 

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo schrieb auf Twitter, all ihre Gedanken seien bei Guillaume:

„Dank seiner mutigen Aussage hat dieser junge engagierte Student zu einer notwendigen und noch nie dagewesenen Welle der Meinungsfreiheit beigetragen.“

Studenten versammelten sich vor dem Hauptquartier der Partei in Paris, um dem am Vortag tot aufgefundenen jungen Mann zu gedenken, darunter Verwandte und Freunde von Guillaume. Einige kamen mit blutverschmierten Händen zu der Versammlung, um ihr Entsetzen über die plötzliche Abwesenheit von Guillaume zu symbolisieren. Kerzen und Rauch wurden angezündet, eine Schweigeminute wurde zu seinem Gedenken abgehalten.


Depressiv? Hier bekommst du Hilfe

männer* berichtet in der Regel nicht über Selbsttötungen, um keinen Anreiz für Nachahmung zu geben – außer, Suizide erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn du selbst depressiv bist, Selbstmord-Gedanken hast, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhältst du Hilfe von Beratern, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

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