Polen: Aktivisten schmücken Statuen mit Regenbogenflaggen – rechte Politiker laufen Sturm

by

Jesus, Nicolaus Kopernikus und die Warschauer Seejungfer wurden bunt: Die drei Bronze-Statuen wurden von Queeraktivist*innen mit Regenbogenfahnen und pinken, anarchistischen Tüchern geschmückt. Damit will das für das farbenfrohe „Attentat“ verantwortliche Kollektiv „Stop Bzdurom“ (Stop Bullsh*t) deutlich machen: Queere Menschen gehören zu Polen! In der Folge regten sich viele rechts-konservative Kräfte des Landes auf. Der Premierminister sprach gar von Vandalismus und verglich die Aktivisten mit Nazis – woraufhin Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk erinnerte: Jesus war immer gegen unterdrückende Regimes!

Die Situation für Polens Queers wird immer schlimmer – zum Glück wird der öffentliche Aufschrei proportional immer lauter. Die EU-Agentur EACEA gab diese Woche bekannt, dass Kommunen, die sich als „LGBT-freie Zonen“ ausriefen, keine EU-Gelder bekommen sollen (wir berichteten), woraufhin EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die EU-Gleichstellungskommissarin Helena Dalli in Schutz nahm und sich für Queerrechte in der EU stark machte (wir berichteten).


„...dass der Regenbogen in unserem Land zu einer Last geworden ist, die nur Bronzearme tragen können!“

Auch Polens Queerszene kämpft tapfer! Die Statuen von Jesus, dem Astronomen Nikolaus Kopernikus und der Meerjungfrau von Warschau wurden nicht zufällig ausgewählt. Das verantwortliche Kollektiv erklärte: Mit der Auswahl der Figuren habe es unterstreichen wollen, dass, trotz der feindlichen Stimmung im Land, die queere Gemeinschaft ein Teil von Warschau und Polen ist und bleibt.

„Diese Denkmäler sind wichtig für die Stadt, aber auch wir sind ein Teil von ihr, deshalb sind sie auch uns wichtig. Wir spüren, dass der Regenbogen in unserem Land zu einer Last geworden ist, die nur Bronzearme tragen können.“

Vor zwei Wochen wurde eine Queeraktivistin des Kollektivs Stop Bzdurom von Polizisten in Zivil aus ihrer Wohnung in Warschau abgeführt, laut ihren Mitbewohner*innen ohne Ankündigung oder Erklärung (wir berichteten). Erst später, nach internationaler Aufmerksamkeit, wurde öffentlich bekanntgegeben: Sie wurde wegen ihrer Verwicklung in einen Vorfall befragt, bei dem ein Anti-Queer-Propaganda-Van von Mitgliedern des Kollektivs beschädigt wurde.

Foto: Stop Bzdurom

In einem Video und Posts in sozialen Medien erklärten die Aktivist*innen nach der Regenbogen-Aktion: Sie wollen sich so lange gegen Hass einsetzen, wie queere Menschen in Polen Angst haben, in der Öffentlichkeit Händchen zu halten! In einem Manifest riefen sie zum Kampf für Gerechtigkeit auf: 

„Das ist ein Sturm! Es ist ein Regenbogen. Das ist ein Angriff! Wir haben beschlossen zu handeln. [...] Es ist unsere Manifestation des Andersseins - dieser Regenbogen. [...] Das Schweigen der Politiker ist beunruhigend - ihre Worte erschrecken. Wir werden nicht um Gnade, um Respekt oder Verständnis bitten. Wir sind eine Stimme, die zu klein ist, um gehört zu werden, zu klein, um etwas zu sagen. Von den Eltern zum Schweigen gebracht. Müde vom täglichen Kampf mit der Welt. Wir haben gelernt, höflich zu sein und das Spiel der Normalität zu spielen. Wenn das System will, dass wir allein in die Dunkelheit springen, kämpfen wir gemeinsam. Die Warschauer Meerjungfrau hat ein Schwert und einen Schild in der Hand. Sie hat einen Regenbogen und ein Halstuch. Dies ist unser Aufruf zum Kampf. Solange wir mit dem Gedanken einschlafen, dass sich sowieso nichts ändern wird. So lange müssen wir daran erinnert werden, dass wir existieren. Dass wir nicht allein sind. Diese Stadt gehört auch uns. Kämpft!“


Polens Premierminister vergleicht Queeraktivist*innen mit Nazis

Wie man sich vorstellen kann, waren Polens rechts-konservativ-christliche Politiker von der Schmück-Aktion alles andere als begeistert. Besonders die Beteiligung von Jesus war vielen ein Dorn im Auge. Polens Premierminister Mateusz Morawiecki beschuldigte die Aktivisten, mit dem Verhüllen der Jesus-Statue eine Grenze überschritten zu haben. Er behauptete in einem Facebook-Post, derlei „Vandalismushandlungen“ würden nur dazu führen, die Gesellschaft noch mehr zu spalten. Und dann verglich er Queeraktivisten mit Nazis:

„Es gibt Grenzen, die gestern überschritten wurden. Die geschändete Gestalt Jesu aus Krakauer Vororten ist nicht nur ein religiöses Symbol, sondern ein Zeuge der dramatischen Geschichte der Hauptstadt. Eben jenes Warschau, das unter den Händen von Menschen litt, die eine Welt, die ihrer eigenen Vision widersprach, nicht tolerierten.“


Tusk: „Jesus stand niemals auf der Seite der unterdrückenden Regierungen!“

Der polnische Politiker Donald Tusk, bis 2019 Präsident des Europäischen Rates, richtete im Folgenden deutliche Worte an den polnischen Premierminister und alle anderen rechts-konservativen Politiker des Landes, die im Namen Jesu queerfeindliche Stimmung verbreiten. Tusk twitterte:

„Als Chef der europäischen Christdemokraten möchte ich Sie daran erinnern, dass Jesus immer auf der Seite der Schwächeren und Geschädigten stand, niemals auf der Seite der unterdrückenden Regierungen“.

Foto: European People's Party / CC BY 2.0 / wikimedia.org/

Obwohl er Morawiecki nicht namentlich nannte und keinen Kontext über die Statue erwähnte, interpretierten viele von Polens Queerfeinden Tusks Worte als einen klaren Schlag gegen sie. Das ließen sie so natürlich nicht auf sich sitzen: Krzysztof Sobolewski, ein Abgeordneter der homophoben Führungspartei PiS, stellte daraufhin Tusks Anspruch, Christ zu sein, in Frage. Er twitterte einen Auszug aus einem Interview, in dem Tusk sich selbst als „einen Zweifler“ und nicht als praktizierenden Katholiken bezeichnete.

Und Jacek Karowski, Chefredakteur der polnischen Wochenzeitung Sieci, stellte gar die These auf: Das schwächste Glied in der Gesellschaft, die „verängstigte Minderheit“, sind die Familien. Und Jesus würde sich deshalb natürlich auf ihre Seite stellen – und wäre damit zwangsläufig gegen die

„...ungestraften, zunehmend aggressiven, gut bezahlten LGBT-Aktivisten, die international von den Medien und der Politik geschützt werden“. 

Man darf also befürchten: Solange Karowski und andere rhethorisch begabte, konservative Anti-Queers mit an Volksverhetzung grenzenden Hassreden versuchen, die sich verhärtenden Fronten und die Spaltung im Land gewieft den Opfern ihres queerfeindlichen Kriegszuges in die Schuhe zu schieben, wird sich die Stimmung in Polen kaum beruhigen. 

Back to topbutton