„Don’t Say Gay“-Streit: House of Mouse schlägt DeSantis

Das politische und wirtschaftliche Drama zwischen Ron DeSantis und Disney in Florida hat eine weitere Wendung genommen, die Stoff für eine politische Groteske liefern könnte und den stramm-konservativen Hoffnungsträger vieler Republikaner ganz schön unpräsidial dastehen lässt.

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Die Vorgeschichte: Disney, DeSantis & Don’t Say Gay

Der Streit begann im März 2022, als der republikanische Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, ein radikales Gesetz unterzeichnete, das es Lehrern in Grundschulen verbietet, im Unterricht über sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität zu sprechen („Don’t Say Gay“-Gesetz, HB1557).

Foto: C. duMond / AFP

Kritiker sehen es so formuliert, dass das Verbot bestimmter Unterrichtsinhalte auch auf ältere Kinder angewendet werden kann.

Disney, der größte Arbeitgeber in Florida und Betreiber des berühmten Vergnügungsparks Disney World bei Orlando, reagierte nach einigem Zögern und sanften Druck seiner Mitarbeiter auf das Gesetz. Der Konzern erklärte schließlich, dass er sich für die Rechte und die Akzeptanz von LGBTIQ* einsetze und dass er seine Mitarbeiter und Gäste vor Diskriminierung schützen wolle. 

Foto: Brett Kiger / flickr / CC BY-NC-ND 2.0

DeSantis sah darin einen Angriff auf seine konservative Agenda und beschuldigte Disney, sich in die Politik einzumischen und die Meinungsfreiheit zu untergraben. Er drohte dem Konzern mit Konsequenzen und kündigte an, den Sondersteuerstatus von Disney World abzuschaffen. Dieser Status ermöglichte es Disney seit 1967, das riesige Areal um den Park, den „Reedy Creek Improvement District“ (RCID), weitgehend selbst zu verwalten und von Steuervergünstigungen zu profitieren.

Die Eskalation: DeSantis beruft homophoben Prediger 

DeSantis setzte seinen Plan mit Hindernissen konsequent um: Das Parlament beschloss vor fast genau einem Jahr tatsächlich, den Sonderbezirk ab Juni 2023 aufzulösen. Bei genauerer Durchführungsplanung fiel dann aber Experten auf, dass unter anderem die Steuerzahler des Bezirks für Schulden in Höhe von fast 1,2 Milliarden Dollar hätten haften müssen. DeSantis legte daher einen neuen Gesetzesentwurf vor, der vorsieht, dass der Sonderbezirk erhalten bleibt, aber nun „Central Florida Tourism Oversight District“ (CFTOD) heißen soll. Festgeschrieben sollte auch werden, dass niemand, der in den vergangenen drei Jahren mit Disney in Verbindung stand, in der Verwaltung des Bezirks mitarbeiten darf.

Die Besetzung des Leitungsgremiums im CFTOD sollte zudem unter die Kontrolle des Gouverneurs fallen. Die komfortable Mehrheit der republikanischen Abgeordneten und Senator*innen Floridas winkten Anfang Februar auch dieses Gesetz durch, so dass sich DeSantis bereits am Ziel seines Feldzuges gegen den Micky-Mouse-Konzern sah.

Foto: Screenshot YouTube

Am 27. Februar traf sich der mit fünf konservativen Gefolgsleuten besetzte neue District-Vorstand erstmals. Unter ihnen auch Pastor Ron Peri, der schon einmal behauptet hatte, dass Chemikalien im Leitungswasser Menschen homosexuell machen würden. Dass Peri aber zukünftig über die Trinkwasserversorgung in Disney World mitentscheiden kann, ist für das DeSantis-Lager ziemlich überraschend erstmal unwahrscheinlich.

Die Wendung: Disney trickst DeSantis aus

Das Gremium stellte in seiner ersten Sitzung fassungslos fest, dass der „woke“ Disney-Konzern sogar außerordentlich wach agiert hatte: Bis dahin unbemerkt hatte der Konzern bereits am 8. Februar eine langfristige Vereinbarung mit dem bisherigen, von ihm eingesetzten Verwaltungsgremium des RCIDs abgeschlossen. Die wichtigsten Befugnisse übertrugen die Vorstände darin kurzerhand direkt auf den Disney-Konzern. Der District-Verwaltungsvorstand entmachtete sich quasi selbst – nur einen Tag bevor das Repräsentantenhaus von Florida das DeSantis-Gesetz verabschiedete. Vorstandsmitglied und Pray-the-gay-away-Prediger Peri klagte nach der schicksalhaften ersten Gremiumssitzung der Erkenntnis dementsprechend gegenüber dem Orlando Sentinel:

„Das macht Disney im Wesentlichen zur Regierung. {…} Dieses Gremium verliert aus praktischen Gründen den Großteil seiner Fähigkeit, alles zu tun, was über die Instandhaltung der Straßen und die Aufrechterhaltung der grundlegenden Infrastruktur hinausgeht.“

Ron DeSantis, der Disney in seinem Buch „The Courage to Be Free“ als „das magische Königreich des woken Korporatismus“ bezeichnete. reagierte auf den geschickten Schachzug ebenfalls nicht erfreut und nannte das Vorgehen außer sich vor Wut einen „nackten Versuch, den Willen der Wähler und des Parlaments zu umgehen“. Er kündigte an, gegen den Vertrag vor Gericht zu ziehen und Disneys Privilegien zu entziehen. Ob das gelingt, ist fraglich, denn der Cindarella-Konzern hat sich – standesgemäß – nahezu märchenhaft abgesichert:

Die Gültigkeitsdauer des Vertrages ist durch eine aus der britischen Kolonialzeit stammende, sogenannte Königslebenklausel definiert. Sie besagt, dass die Erklärung bis „21 Jahre nach dem Tod des letzten Überlebenden der Nachkommen von König Charles III“ gültig bleibt. Ron DeSantis dürfte das nicht mehr erleben …


Meinung

Thoughts and Prayers

Der Streit zwischen DeSantis und Disney ist mehr als nur ein lokaler Zwist. Er erfuhr nationale Bedeutung und Aufmerksamkeit, weil DeSantis als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2024 bei den Republikanern gilt. Er hat sich zunächst als treuer Anhänger von Donald Trump profiliert und versuchte dann, sich als der verlässlichere, berechenbarere Verteidiger erzkonservativer Werte und Kämpfer für die Freiheit vor der vermeintlichen Bedrohung durch „Wokeness“ zu positionieren. Sein zorniges und dilettantisches Vorgehen gegen Disney bedeutet für DeSantis einen massiven Rückschlag in diesen Ambitionen.

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Für Floridas LGBTIQ*-Community dagegen kann die Politposse und die Schwächung DeSantis kaum Hoffnung auf Verbesserung wecken. Zwar darf sie im Kampf gegen die fortschreitenden Geländegewinne der Rechtspopulisten und Fundamentalisten mit Disney nach dessen jahrelangem Selbstfindungskurs einen wahren Riesen an ihrer Seite wähnen, aber sie wird ihn auch benötigen. Während sich Ron DeSantis noch die Wunden leckt und den nächsten Schachzug gegen das Magic Kingdom plant, sind seine Horden an der Schulfront schon mitten im nächsten Sturmangriff:

HB 1557 soll ausgeweitet werden. Am 19. April wird das Florida Board of Education voraussichtlich über einen Vorschlag abstimmen, der den Unterricht über Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung von der Vorschule bis zur 12. Klasse verbieten würde. Parallel dazu unterwandern Konservative Schulen und Universitäten und besetzen Schlüsselpositionen, um auch ganz ohne Zensurgesetze für die richtige Ideologie in den Köpfen der kommenden Generationen zu sorgen. God bless america. 

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