Schweiz: Das Ende des Refugiums für „schwule Heiler“?

„Ich spüre die Gewalt jetzt; sie wurde hinter einer bedingten Liebe getarnt.“

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Was für viele unvorstellbar ist, wird in der Schweiz noch legal praktiziert. Die sogenannte „Konversionstherapie“ ist die Praxis die darauf abzielt die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identität einer Person gezielt zu ändern. Mit anderen Worten: Der Versuch, nicht heterosexuelle oder cisgeschlechtliche Menschen zu „reparieren“ und ihnen die Queerness auszutreiben - und das obwohl Homosexualität laut WHO seit 1994 nicht mehr als psychische Krankheit angesehen wird, und bezüglich der Wirkung von Konversionsverfahren wissenschaftlich allein bewiesen ist, dass sie nachhaltig negative psychische und physische Folgen für die Behandelten haben.

„Wir müssen unbedingt verhindern, dass die Schweiz zu einem Refugium für 'schwule Heiler' wird.“

Foto: Nik Shuliahin / Unshlash / CC0

LGBTIQ* Organisationen in der Schweiz bauen nun Druck auf die Regierung aus und fordern, dass die „Reparativtherapie“ schnellstmöglich verboten wird. Sie befürchten, dass ihr Land ansonsten zu einer Art Paradies für die Praxis werden könnte, die in den Nachbarländern Deutschland und Frankreich bereits verboten ist. Bereits vor einem Jahr hatte die Regierung angekündigt, das Thema „Konversionstherapie“ anzugehen.  Vergangenen Montag soll die Debatte um ein Verbot offiziell begonnen haben, deren Ausgang allerdings noch ungewiss ist. 

Konversionsverfahren in Deutschland und Europa 

Pink Cross, die Dachorganisation der schwulen und bisexuellen Männer in der Schweiz, wies darauf hin, dass Bekehrungsversuche in Nachbarländern Deutschland und Frankreich bereits verboten seinen, und dass „Initiativen zu deren Verbot in der gesamten Europäischen Union im Gange“ seien.  

Lange ist es allerdings noch nicht her, dass Deutschland im Juni 2020 mit dem „Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“ alle Umpolungstherapien strafbar machte (hier geht es zum Bericht des LSVD mit allen wichtigen Daten und Informationen). 

Obwohl es bereits versuche gab, die „Heilung“ queerer Menschen EU-weit zu verbieten (männer* berichtete), ist dies allein in Frankreich, Deutschland, Griechenland und Malta der Fall, während Großbritannien, Norwegen, Belgien, und Österreich zumindest ein Verbot in Erwägung zieht. 

Grafik: Stinger20 - Own work, CC BY-SA 4.0, wikimedia.org

Druck auf Schweizer Regierung

Behandlungen wie die Elektroschocktherapie werden in der Schweiz nicht durchgeführt, aber LGBTIQ*-Gruppen bestehen darauf, dass ein vollständiges Verbot erforderlich ist, um ein Signal zu senden.

Vertreter:innen aus Gesellschaft und Politik hatten auf den Verein „Bruderschaft des Weges“ in Zürich hingewiesen, der nach der Gesetzesänderung in Deutschland ins Leben gerufen wurde. Bei der Gruppe handele sich um eine „Gemeinschaft von Männern, die Konflikte in ihrer Sexualität erleben“ und die „aus Gründen unseres christlichen Glaubens unsere Sexualität nicht leben“. Ihre Vision: „Dem Bild und Gleichnis ähnlicher werden, das Gott in uns gelegt hat.“

Zwar steht auf ihrer Website, dass sie „jede Form der Konversionsbehandlung“ ablehnt und „keine Form der Therapie anbietet“, doch berufen sie sich in der Aufforderung zur Enthaltung homosexueller Taten auf das Christentum. Auf Fragen der Nachrichtenagentur AFP zu antworten lehnten sie ab. 

Kirchliche „Heilung“

Die „Reparatur“ queerer Menschen ist bekanntlich verwurzelt mit kirchlichen Trägern und Strukturen, doch laut dem Interkantonalen Zentrum für Glaubensinformationen verwenden keine religiösen Strukturen in der Schweiz den Begriff „Konversionstherapie“. Zur Nachrichtenagentur AFP sagt Philippe Gilbert, ein Vertreter des Zentrums:

„Wir hören den Begriff ‚Begleitung‘. Es gibt ein breites Spektrum an Praktiken: Gebetsgruppen, Handauflegen, Exorzismus in bestimmten Fällen, aber auch Wochenendtreffen zwischen Männern, um die eigene wahre Männlichkeit zu entdecken. (...) Dies bedeutet nicht, dass es innerhalb bestimmter Religionsgemeinschaften oder parakirchlicher Strukturen nicht ein gewisses Maß an Gewalt gegenüber Einzelpersonen gibt, die möglicherweise Vorschlägen oder sogar Druck ausgesetzt sind, an ihrer sexuellen Orientierung zu arbeiten.“

Das Schweizerische Evangelische Netzwerk ist offiziell gegen Konversionsverfahren, hält allerdings ein Verbot per Gesetz für den falschen Weg. Sie betont das Recht auf „sexuelle Selbstbestimmung“ und die Bedeutung „kirchlicher und seelsorgerlicher Begleitung“, wenn Sexualität „einen inneren Konflikt erzeugt“.

„Wir berühren die Grundlagen der Religionsfreiheit, indem wir zu viel verbieten wollen“, 

sagte Stephane Klopfenstein, Pfarrer und stellvertretender Leiter des Schweizerischen Evangelischen Netzwerks, gegenüber AFP.

Betroffenenberichte

Foto: Valentin Flauraud / AFP

Adrian Stiefel, 45, ist der Gründer des LGBTIQ*-Bewegung der protestantischen Kirche Genf. In einem evangelischen Umfeld aufgewachsen versuchte er lange Zeit, seine sexuelle Orientierung durch Gruppengebete mit Pastoren und Begegnungen mit sogenannten „geheilten“ ehemaligen Schwulen zu „heilen“.

„Es ist ein Problem, das hauptsächlich in religiösen Gemeinschaften verwurzelt ist, die Homosexualität verurteilen und die dem Einzelnen aufgrund dieses Drucks durch die Gemeinschaft wirklich keine Wahlfreiheit lassen.“

Im Alter von 19 Jahren unterzog er sich in den Vereinigten Staaten einer einwöchigen „Therapie“ mit einem Pastor und Psychiater, welcher „Psychotherapie mit einer Form des Exorzismus“ verband. Stiefel sagte diese Praktiken würden oft „in einem sehr wohlwollenden Rahmen“ durchgeführt, was es schwierig mache, zu erkennen, dass sie „nicht normal“ seien.

Ebenfalls in einem evangelischen Umfeld aufgewachsen durchlief Isaac de Oliveira, 25, Geschichtsstudent in Lausanne, eine „pastorale Begleitung“, um sich „in Richtung Heterosexualität zu entwickeln“. Er wuchs im ländlichen Wallis in der Südwestschweiz aus und besuchte mit 18 Jahren für fast ein Jahr ein Seminar des Vereins 'Torrents de Vie', welches wöchentliche Treffen inklusive Lobpreis und Gebete beinhaltete.

„Ich habe ein Gehirn, das im Laufe der Jahre modifiziert wurde, um ein Ideal zu verfolgen, das ich nicht bin. (...) Ich spüre die Gewalt jetzt; sie wurde hinter einer bedingten Liebe getarnt.“

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