Hat Tunesien als erstes Land der arabischen Welt die Ehe zweier Männer anerkannt?

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Association Shams ist ein tunesischer, queerer Rechtsverband, der sich für die Community und die Entkriminalisierung von Homosexualität einsetzt. Eine Ankündigung der Vereinigung in sozialen Netzwerken sorgte jetzt für einen Tumult – mit sowohl negativen, als auch positiven Reaktionen. Association Shams erklärte, Tunesien habe eine gleichgeschlechtliche Ehe für gültig erklärt. Dies wäre ein historischer Sieg für die Queercommunity in der arabischen Welt – religiöse Verbände laufen Sturm. 

Die Hintergründe: Die in Frankreich geschlossene Ehe zwischen einem Tunesier (26) und einem Franzosen (31) soll am vergangenen Freitag vom tunesischen Gericht anerkannt worden sein. Sie wurde offiziell in der Geburtsurkunde beim tunesischen Einwohnermeldeamt vermerkt, sodass der tunesische Mann ein Visum für eine Familienzusammenführung in seiner Heimat erhalten konnte. Die beiden Männer wollen aus Angst um ihre Sicherheit anonym bleiben.

Homosexualität ist in Tunesien illegal und wird mit bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Das nordafrikanische Land bietet Homosexuellen, auch aufgrund der Illegalität, weder Schutzgesetze, noch eine rechtliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. In den vergangenen Jahren gab es mehrere Vorstöße, Homosexualität zu legalisieren – zuletzt 2018, als der Präsidialausschuss COLIBE den Präsidenten zu dem Schritt aufforderte. Religiöse Verbände wehrten sich und fürchteten um die Identität Tunesiens. 


Minister schließt einen Fehler nicht aus

Foto: Habib M’henni / CC BY-SA 4.0 / wikimedia.org

Die Meldung über die Anerkennung der Eheschließung hat gleichzeitig zu Freude von Queeraktivisten und zu Vorwürfen konservativer Tunesier geführt, die in sozialen Medien ihr Unverständnis zu dem rechtlichen Durchbruch kundtun. Die Regierung hat auf Nachfragen der unabhängigen tunesischen Nachrichtenseite Nawaat die Meldung weder bestätigt noch dementiert. Der Minister für lokale Angelegenheiten, Lotfi Zitoun, erklärte, es gäbe keine Zentralisierung der Zivilstandsdaten – daher würden sie die Behauptung noch überprüfen. Aber: Falls sie sich als wahr herausstellen würde, sei es ein Gesetzesverstoß. Das französische Recht würde die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe durch die Maghreb-Länder nicht zulassen – eine Behörde in Tunis habe einst einen ähnichen Fehler begangen, der anschließend korrigiert worden sei.

In einem Post vom heutigen Abend stellte wiederum Association Shams im Bezug auf Zitouns Aussagen klar, dass die rechtlichen Gegebenheiten in diesem Fall anders seien. Zum einen sei der tunesische Ehemann erst nach seiner Ehe in Frankreich ansässig geworden, zum anderen sei das Gerichtsabkommen von 1958 zwischen Tunesien und Frankreich im Jahr 2016 in Fragen der Mischehe ausgesetzt worden. Außerdem würde Staatsanwälten inzwischen eine Richtline vorliegen, die besagt, dass gleichgeschlechtliche Ehen zwischen Franzosen und Nordafrikanern nicht abgelehnt werden sollten. 


Keiner kämpft mehr für Tunesiens Queers als er

Mounir Baatour ist der Präsident von Association Shams und ein über die Ländergrenzen hinaus anerkannter Queeraktivist. Der studierte Rechtsanwalt stellte sich letztes Jahr zur Präsidentschaftswahl in Tunesien auf (wir berichteten). Im Januar dieses Jahres floh er aus Tunesien und beantragte in Frankreich Asyl. Gegenüber der Nachrichtenagentur Thomson Reuters erzählte er, er habe zuvor wiederholt Morddrohungen von islamistischen Gruppierungen erhalten.

Nun äußerte er sich zum historischen Sieg vor Gericht und drückte seinen Stolz aus – dem Erfolg sei ein jahrelanger Rechtsstreit vorausgegangen.

„Wir haben gewonnen... gegen die vielen postrevolutionären, politisch-gerichtlichen Systeme! Das ist nicht die einzige meiner Freuden. Meines Wissens nach ist Shams der einzige queere Rechtsverein in der arabisch-muslimischen Welt. Das ist nicht nichts und bietet uns Möglichkeiten, die kaum zu fassen sind – manchmal über unsere Grenzen hinaus.“

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