Die Transphobie von J. K. Rowling: Jetzt spricht Harry Potter!

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Fünf Gründe, warum es in Hogwarts kein Twitter gibt oder auch „Die schrecklich nette Transphobie der Joanne K. Rowling “. Unser Kommentar zur Vorzeige-TERF des Fantasy-Literaturbetriebes, zu der jetzt sogar Daniel Radcliffe sein Schweigen bricht.

Blutsschwesternschaft: Ich blute, also bin ich Frau?

Wir befinden uns inmitten einer weltweiten Pandemie, einer neuen Anti-Rassismus-Bewegung und der Pride-Monat hat gerade begonnen. Die bekannteste Autorin der Welt meint, JETZT sei eine gute Zeit, mal wieder gegen transgeschlechtliche Menschen zu hetzen. Die neueste TERF-Debatte um die „Harry Potter“-Milliardärin begann am Samstag damit, dass Rowling einen Artikel teilte, in dem von „Menschen, die menstruieren“ die Rede war.

Rowling hätte gern, dass man diese Menschen Frauen nennt. Obwohl natürlich neben transgeschlechtlichen, auch unfruchtbare und menopausale Frauen nicht menstruieren und nicht alle Menschen, die menstruieren, Frauen sind. In der Folge brach eine Diskussion los, in der Rowling endlich ihr wahres Gesicht zeigte – keine Rede mehr von mausgerutscht, wie noch beim ersten diesbezüglichen Vorfall 2018 (siehe weiter unten im Artikel).

Was ihre folgenden Tweets so besonders schrecklich machte: Ihr Timing, ihr durch scheinbaren Respekt verhüllter Hass und ihre Reichweite von 14,5 Millionen Followern.


Fünf Gründe, warum es in Hogwarts kein Twitter gibt

Hier unsere Top 5 der unmöglichsten von vielen unmöglichen Dinge, die Rowling am Samstag von sich gab.

1. „Ich liebe und respektiere Transmenschen, aber ...“

Das ist das transphobe Äquivalent zu „Viele meiner Freunde sind schwul, aber ...“ und „Viele meiner Freunde sind Flüchtlinge, aber ...“. Weiter müssen wir nicht reden. Punkt.

2. „Ich würde mit euch marschieren, wenn ihr diskriminiert würdet, weil ihr transsexuell seid“

Wenn ihr diskriminiert würdet? Wenn? WENN? Transgender-Jugendliche haben allein in Deutschland eine fast ums 6-fache erhöhte Suizidrate (wir berichteten). Transsexuelle müssen in vielen Ländern, darunter Deutschland, noch erniedrigende und langwierige Verfahren durchlaufen, um ihr Geschlecht angleichen lassen zu können. Mitglieder der Community stehen täglich Intoleranz, Hass und Gewalt gegenüber, ob in der Schule, der Bahn, beim Einkaufen oder beim Toilettengang. Regierungen weltweit diskriminieren transgeschlechtliche Menschen und sprechen ihnen ihre Menschenrechte ab, zuletzt Ungarn (wir berichteten) – und die Mordrate an Mitgliedern der Trans*-Community steigt weltweit fast kontinuierlich seit Jahren an (siehe Trans Murder Monitoring Project) – aber das reicht der britischen Schriftstellerin scheinbar nicht aus. Unfassbar. So fragt dann auch eine Userin:

„WENN Transsexuelle diskriminiert wurden? In welcher wahnhaften Welt leben Sie? Transsexuelle werden ermordet, weil sie so sind, wie sie sind. Auch werden die Schwierigkeiten, eine Frau zu sein, nicht nur auf diejenigen reduziert, die menstruieren.“

Eine Twitter-Nutzerin fragte, warum Rowling dann am Wochenende nicht mit ihnen marschiert sei:

3. „Ich habe einen Großteil der letzten drei Jahre damit verbracht, Bücher, Blogs und wissenschaftliche Abhandlungen von Trans-Personen, Medizinern und Gender-Spezialisten zu lesen.“

Wow. Es gibt natürlich Wissenschaftler, die sich den neuesten Erkenntnissen bezüglich Trans- und Intersexualität oder Gender-Forschung widersetzen und deshalb gerne von rechtsnationalen und erzkonservativen Kreisen zitiert werden. Entweder, Rowling hat sich lediglich mit deren Thesen auseinandergesetzt oder aber die progressiveren Texte nicht verstanden – anders ist nicht zu erklären, dass sie falsche Fakten wiedergibt. Möglich wäre höchstens noch eine selektive Ideologie à la: „Ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt“.

4. „Eine meiner besten Freundinnen hat mich gerade angerufen. Selbstbeschriebene Butch-Lesbe“

Ihre Lesbenfreundin. Als Antwort auf einen Twitter-User, der sie bat, sie möge doch, dringend, mit queeren Menschen über das Thema sprechen. Rowling sagt dazu also sinngemäß: „Ich habe mit einer Freundin geredet, sie ist lesbisch und läuft wie ein Mann, also muss sie ja queer sein! Und sie findet das ganz toll, was ich geschrieben habe. Das reicht doch.“ Ääääh ...

5. „Wenn Geschlechter nicht real sind, gibt es auch keine gleichgeschlechtliche Orientierung“

Wie bitte? Wie kann Joanne K. Rowling es wagen, hier zwei Minderheiten, die zusammenhalten müssen, gegeneinander auszuspielen? Sie postet dann auch gleich den Tweet von EINEM schwulen Mann, der ihr darin zustimmt. Darin geht es um den „Transextremismus“ der letzten Jahre – damit dürfte die Genderdebatte gemeint sein, die die Grenzen unseres binären Geschlechterkonstrukts prüft und in Frage stellt.

Was das mit dem Großteil der transsexuellen Community zu tun hat, die Erklärung bleibt Rowling schuldig. Immerhin handelt es sich hierbei möglicherweise auch um Ideen, die viele aus der Trans-Gemeinschaft nicht nachvollziehen oder unterschreiben können und wollen, weil auch sie sich als binär definieren. Die Angriffe, denen transsexuelle Menschen teilweise von anderen Transgender-Aktivist*innen ausgesetzt werden, eben weil sie sich einem Geschlecht zuordnen, werden komplett außer Acht gelassen. Rowling wirft einfach alle Menschen, die nicht cis sind, in einen Topf – und zeigt damit noch einmal mehr ihre furchtbare Unwissenheit.


Eine TERF, wie sie im Buche steht

Joanne K. Rowlings (54) Kriegszug gegen transgeschlechtliche Menschen begann bereits vor zwei Jahren. Da gefiel ihr auf Twitter ein transphober Post, in dem Transfrauen als „Männer in Kleidern“ bezeichnet wurden – was ihre Sprecher damals noch mit „mausgerutscht“ entschuldigten. Das glaubte spätestens dann niemand mehr, als die britische Schriftstellerin Ende letzten Jahres eine transphobe Wissenschaftlerin in einem Post in Schutz nahm (wir berichteten).

Den folgenden Shitstorm ignorierte Rowling scheinbar, ihre Sprecher ließen mitteilen, dass sie sich nicht mehr äußern würde. Letzte Woche dann, in einem Post, der an ein Kind gerichtet war, fügte Rowling aus Versehen, wie sie später betonte, einen Satz ein. Darin ging es um den Fall einer transgeschlechtlichen Frau, die eine Feministin tätlich angegriffen hatte. In dem Satz wurde die Täterin als „er“ bezeichnet. Rowling entschuldigte sich später zwar dafür, den Satz aus Versehen kopiert und eingefügt zu haben, betonte aber, sie schäme sich nicht dafür, den Artikel gelesen zu haben. 

Viele Fans und Follower bezeichneten Rowling aufgrund der Posts bereits in der Vergangenheit als TERF = transexclusive radical feminist. Das sind Feminist*innen, die transgeschlechtliche Menschen offen diskriminieren – auf der Basis der Exklusivität des Weiblichseins für Cis-Frauen. Oder, flapsig gesagt:

„Wenn du bei deiner Geburt keine weiblichen Geschlechtsorgane hattest, wirst du nie verstehen, was es bedeutet, eine Frau zu sein.“


Lesbische Feminist*innen: Rowling spricht nicht für uns!

Wie schön wäre es, wenn eine Feministin wie Rowling, reich an Einfluss, Followern und Geld, ihren Aktivismus auf einige der verletztlichsten Mitglieder der weiblichen Bevölkerung erstrecken würde? Wenn sie mitten in einer weltweiten Anti-Rassismus-Debatte gesagt hätte: „Kommt, meine Schwestern, ich spende an Vereine, die sich um afroamerikanische transgeschlechtliche Frauen kümmern, da sie in den USA täglich diskriminiert, angegriffen und ermordet werden?“

Viele Fans verstehen nicht: Warum jetzt? Und warum überhaupt? Warum kann sie ihre Meinung, schlimm genug, nicht wenigstens für sich behalten? Warum riskiert sie es, weiteren Hass gegen eine der heutzutage am stärksten verwundbaren Minderheiten der Welt zu schüren? Warum nutzt sie ihren Einfluss, um überholte Ideen aus dem letzten Jahrhundert zu verbreiten und das Leben der Trans-Community noch schwerer zu machen? Die Befürchtung: Wenn berühmte und vielerorts respektierte Menschen wie Rowling solche Thesen verbreiten, könnte dies die Trans-Bewegung um Jahre zurückwerfen.

Doch zum Glück gibt es auch noch die andere Seite: Einflussreiche Frauen und erklärte Feminist*innen, die der Community prompt zur Hilfe eilten. Auch aus der lesbischen Gemeinschaft – einer Gemeinschaft, von der die heterosexuelle, weiße und cisgeschlechtliche Rowling vorgab, sie vertreten und schützen zu wollen. Darunter befanden sich zum Beispiel die Schauspielerin Sarah Paulson („American Horror Story“) und das Gesangs-Duo Tegan and Sara

Paulson teilte voll Zustimmung einen Tweet, der lautete:

„Diese Frau ist völliger Abschaum. Halt's Maul, du transphobes Stück Sche**e. Du kennst und liebst keine Transsexuellen, wenn du nicht einmal ihre Existenz anerkennen willst. Danke, dass du die Bücher meiner Kindheit ruiniert hast. Hör einfach auf zu reden. Wir wissen, dass du eine TERF bist. Du brauchst nicht damit weiterzumachen.“

Kurz darauf schob die Schauspielerin dann noch einen Tweet hinterher:

„Die Tatsache, dass eine der reichsten Frauen der Welt sich regelmäßig auf Twitter einloggt, um darüber zu jammern, dass sie von trans-Personen „ausgelöscht“ wird... Mädchen besorg dir ein verdammtes Hobby! Kauf dir eine Insel für dich und deine kleinen transmisogynen Freunde und lass uns alle in Frieden. Mein Gott.“

Auch die bisexuelle „Matilda“-Schauspielerin Mara Wilson bot Rowling die Stirn:

„Ich habe es wirklich satt, dass eine der reichsten und einflussreichsten weißen Frauen der Welt als eine große Verfechterin und Wahrheitsverkünderin gepriesen wird, weil sie Hass gegen eine der am stärksten ausgegrenzten Gruppen verbreitet.“

Die lesbischen Singer-Songwriterinnen Tegan and Sara ließen sich auf die Diskussion gar nicht ein. Sie posteten bloß:

„Wenn du eine TERF bist und uns folgst, verpiss dich und lösch uns bei Twitter“

Jonathan van Ness, Star der Serie „Queer Eye“ und offen nicht-binär, brachte seine Wut und Fassungslosigkeit über Rowlings Tirade zum Ausdruck. Er schrieb: 

„Transsexuelle Frauen sind Frauen. Trans-Schwarze und Trans-Nicht-Schwarze werden jeden Tag diskriminiert. Sie sterben. Wir kämpfen für Schwarze und Transsexuelle, und Sie tun das hier?“


Auf Besen und Thestralen: Hilfe aus Hogwarts ist unterwegs!

Foto: Gage Skidmore, CC BY-SA 2.0, wikimedia

Harry Potter-Darsteller Daniel Radcliffe, der keine offiziellen Accounts in sozialen Medien hat, schrieb in Antwort auf Rowlings Tweets einen Blogpost für The Trevor Project. Als jemand, der seit zehn Jahren mit der queeren Organisation zusammenarbeite, fühle er sich in der Pflicht, deutlich zu machen:

„Transsexuelle Frauen sind Frauen. Jede gegenteilige Aussage löscht die Identität und Würde von Transgender-Personen aus und widerspricht allen Ratschlägen, die von professionellen Vereinigungen des Gesundheitswesens erteilt werden, die über weit mehr Fachwissen zu diesem Thema verfügen als Jo[anne] oder ich.“

Der 30-Jährige betont, dass es sich nicht um einen Streit zwischen ihm und Rowling handle – und wenn, dann wäre das auch nicht das, worauf es im Moment ankomme. Er verweist auf einen Ratgeber dazu, wie man ein besserer Verbündeter für transgeschlechtliche und nicht-binäre Jugendliche wird. Der Schauspieler drückt zudem seine Hoffnung aus, dass Rowlings Kommentare die Bücher für die queeren Fans nicht für immer beschmutzt haben. Es komme nur auf die Verbindung zwischen dem Leser und dem Buch an und was das Buch für den Leser darstelle – und diese Verbindung sei heilig, so Radcliffe. 

„Wenn diese Bücher dich lehrten, dass Liebe die stärkste Kraft im Universum ist, die in der Lage ist, alles zu überwinden; wenn sie dir beigebracht haben, dass Stärke in Vielfalt liegt und dass dogmatische Vorstellungen von Reinheit zur Unterdrückung schutzbedürftiger Gruppen führen; wenn du glaubst, dass ein bestimmter Charakter trans-, nicht-binär oder genderfluid ist oder dass er schwul oder bisexuell ist; wenn du in diesen Geschichten etwas gefunden hast, das in dir nachhallt und dir zu jeder Zeit in deinem Leben geholfen hat - dann ist das zwischen dir und dem Buch, und es ist heilig.“

Radcliffe ist nicht allein: Auch Schauspielkollegin Emma Watson (Hermine Granger), die bereits in der Vergangenheit für Trans*rechte einstand, machte auf Twitter deutlich: 

„Transsexuelle Menschen sind die, die sie sagen wer sie sind und sie verdienen es, ihr Leben zu leben, ohne ständig in Frage gestellt zu werden oder gesagt zu bekommen, dass sie jemand anderes sind.“

Eddie Redmayne, Hauptdarsteller der Potter-verwandten Filmreihe Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind und 2015 für seine Darstellung einer Transsexuellen in The Danish Girl für einen Oscar nominiert, widersprach Rowling ebenfalls deutlich. In einem Interview mit dem Magazin Variety erklärte er:

„Ich stimme mit Jo[anne]s Bemerkungen nicht überein. Trans-Frauen sind Frauen, Trans-Männer sind Männer und nicht-binäre Identitäten existieren. Ich würde mir nicht anmaßen, im Namen der Community zu sprechen, aber ich weiß, dass meine lieben transsexuellen Freund*innen und Kolleg*innen dieser ständigen Infragestellung ihrer Identitäten müde sind, die nur allzu oft zu Gewalt und Missbrauch führt. Sie wollen einfach nur ihr Leben in Frieden leben, und es ist an der Zeit, sie dies tun zu lassen“.

Auch das Potter-Fandom hält zusammen. Immerhin handeln seine Lieblingsbücher vom Kampf gegen Intoleranz, Rassentrennung, Diskriminierung und Angst und Hass vor und auf alles Andersartige. Dass der Feind in dieser Debatte nun nicht Voldemort, sondern die Schöpferin dieser Welt ist, spielt für viele keine Rolle. 

Update 11. Juni: Rowling hat in einem langen Essay auf ihrer Homepage zu dem Thema Stellung bezogen. Darin spricht sie zum ersten Mal von häuslicher und sexueller Gewalt in ihrer ersten Ehe, wovon noch immer Narben geblieben seien. Sie fürchte um das Wohlergehen junger Mädchen und Frauen, da nun jeder sein Geschlecht auch ohne Hormone oder Operationen angleichen lassen könne – natürlich führt sie auch die oft für populistische Zwecke genutzte Umkleidenproblematik an. Einsicht zeigt sie nicht. Wer sich das ganze Stück antun möchte, klickt hier


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