Dignitas infinita – unendlich würdelos

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In einer Grundsatzerklärung hat der Vatikan Abtreibungen, Leihmutterschaften, geschlechtsangleichende Maßnahmen und die „Gender-Theorie“ als „schwere Verstöße gegen die Menschenwürde“ verurteilt ... und bestärkt nur einmal mehr seine bisherige Linie.

Die am 8. April veröffentlichte, von Papst Franziskus gebilligte und mehr als 20 Seiten umfassende Erklärung „Dignitas infinita“ (Unendliche Würde) des römischen Dikasteriums für die Glaubenslehre listet zudem weitere „schwere Verletzungen“ der Menschenwürde auf, darunter Krieg und Armut sowie Gewalt gegen Migrant*innen, Frauen und LGBT+-Personen.

Anlass für das neue Dokument, dessen Ausarbeitung sich über fünf Jahre hingezogen hatte, ist der 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im vergangenen Dezember. Vier Monate nach der insbesondere von konservativen Teilen der katholischen Kirche heftig kritisierten Erlaubnis des Vatikans zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare gilt es zudem als Versuch, die Spaltungen innerhalb der Kirche zu überbrücken.

„Verstöße gegen die Menschenwürde“

Zum prangert der Text es als „Verstoß gegen die Menschenwürde“ an, „dass mancherorts nicht wenige Menschen allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung inhaftiert, gefoltert und sogar des Lebens beraubt werden“. Zugleich kritisiert Franziskus mit scharfen Worten die „Gender-Theorie“ als „sehr gefährliche Ideologie“, da sie „eine Gesellschaft ohne Geschlechterdifferenz in Aussicht“ stelle und „die anthropologische Grundlage der Familie“ aushöhle.

Ausführlich geht der Text auf Gewalt gegen Frauen ein. Femizide könnten „nicht genug verurteilt werden“, heißt es in dem Text. Hier sei „das Engagement der gesamten internationalen Gemeinschaft“ gefragt.

Beim Thema sexueller Missbrauch nimmt der Text auch die von zahlreichen Missbrauchsskandalen erschütterte katholische Kirche in die Verantwortung – in acht Zeilen ohne jede vertiefende Selbstkritik, wie Out in Church kritisiert. In der Erklärung heißt es, das gesellschaftlich weit verbreitete „Phänomen“ betreffe „auch die Kirche und stellt ein ernsthaftes Hindernis für ihre Sendung dar“. „Daher setzt sie sich unermüdlich dafür ein, allen Arten von Missbrauch ein Ende zu setzen, und zwar beginnend im Inneren der Kirche.“ 

Sexuellen Missbrauch als „eine gefühlte Verletzung der Menschenwürde zu beschreiben, lasse positive Ansätze schal und unglaubwürdig erscheinen“, so Out in Church.

Out in Church kritisiert Binarität

Out in Church kritisiert an der Erklärung insbesondere auch die binäre Wortwahl. Sie markiere, „worauf alles wieder hinausläuft: Der Mensch ist demnach von Gott ausschließlich als Mann und Frau geschaffen, in Komplementarität einander zugeordnet.“

„Würde gibt es in diesem binären Konzept nur als Mann und Frau und zwar von der Empfängnis an. Diese Differenz dürfe nicht aufgehoben werden: weder durch die ‚ideologisierende Kolonisierung‘ der ‚Gender-Theorie‘, nach der alle Unterschiede aufgehoben werden müssen, noch durch geschlechtsangleichende Maßnahmen, die als ‚Geschlechtsumwandlung‘ betitelt werden, es sei denn es liegt eine anatomische Intersexualität vor.“

„Für queere Menschen und ihre Allies ist dieses Dokument ein weiterer Baustein von würdeverletztendem Verhalten seitens der katholischen Kirche. Nach wie vor werden gegenwärtige humanwissenschaftliche Erkenntnisse nicht aufgenommen“, kommentiert Jens Ehebrecht-Zumsande vom OutInChurch-Vorstand. Das Papier nun gerade für seine teils sehr schwammigen Formulierungen in Bezug auf Würde und Rechte queerer Menschen zu loben, mute beinahe absurd an, so Ehebrecht-Zumsande weiter.

Kurskorrektur? Weit gefehlt ...

Somit sei das vatikanische Schreiben „also keineswegs als Kurskorrektur im Blick auf die Lehre der Kirche oder ihr eigenes Handeln einzustufen“. Vielmehr, so Out in Church weiter, bestärke die Erklärung in weiten Teilen die bisherige Linie des Vatikans, nämlich:

 Leihmutterschaft bleibt verboten

 Die Haltung zum Schwangerschaftsabbruch bleibt unverändert

 Eine kritische Selbstreflexion zur spärlichen Bilanz des vatikanischen wie weltkirchlichen Engagements gegen Missbrauch bleibt aus

 Zwar dürfen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht verfolgt werden, weil dies gegen ihre Würde ist. Gänzlich außen vor bleiben Rechte, die mit dieser Würde einhergehen. Von der angewandten kircheninternen entwürdigenden Logik ist keine Rede.

 Auch wenn das Papier den Terminus der „Genderideologie“ weitestgehend vermeidet, offenbaren sich in den Einlassungen zur „Gendertheorie“ erneut eklatante Würdeverletzungen insbesondere in Bezug auf trans- oder intergeschlechtliche Personen. 

*AFP/sah

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