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Exklusiv đŸŽ€ ROMEO-Chef Jens Schmidt: „Sexuelle PrĂ€ferenzen sind immer diskriminierend“

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Ist die Aussortierung von Sexpartner*innen nach ethnischen Merkmalen rassistisch? Jein. Es kommt dabei auf mehrere Faktoren an, sagte uns der GrĂŒnder und Chef von ROMEO, Jens Schmidt im Interview.

„ROMEO sucht weiter mit Stereotypen“. So oder krasser sind die Schlagzeilen, die ihr zu erwarten habt, wenn ihr mit der Nachricht raus geht, weiter ethnische Merkmale als Suchfilter anzubieten. „Das schwule Einwohnermeldeamt bleibt national befreite Zone“ könnte es aus der anderen extremen Seite schallen. Sprechverbote und Meinungsdiktatur wurden Grindr von letzterer reflexartig unterstellt. Zum Einstieg daher eine Frage mit Bitte um kurze Antwort: Warum lasst ihr es ĂŒberhaupt drauf ankommen und wartet den Sturm nicht einfach ab?

Diskriminierung und Beleidigungen zwischen Usern ist nicht erst seit heute ein wichtiges Thema und schon immer unser tĂ€glich Brot. Leider wird es das mutmaßlich auch immer sein. ROMEO steht fĂŒr mehr als den schnellen Sex und reflektiert daher die Gesellschaft in all ihren Aspekten und auch Konflikten. TatsĂ€chlich haben wir im Zuge der aktuellen Rassismusdiskussion nur sehr wenige Anfragen von unseren Usern erhalten und hĂ€tten sicher auch bequem abwarten können. Allerdings sind solche AnlĂ€sse in der öffentlichen Debatte ja auch immer gute Gelegenheiten, die eigene Perspektive zu hinterfragen. In unserem Falle bedeutet das, sich mit der Nutzung unseres Dienstes zu befassen. Da wir etwas tun können was kein anderer kann: wir haben uns die Zahlen genauer angeschaut. Diese Auswertung hat uns dann doch positiv ĂŒberrascht, denn der Filter fĂŒr Ethnien wird nur von einem verschwindend geringen Prozentsatz fragwĂŒrdig genutzt.

Wieviel nutzen denn diese Angaben und Funktionen anteilig und in Relation? 

Von den rund 2 Millionen regelmĂ€ĂŸigen Usern haben sich 1,2 Millionen selbst im Profil einer ethnischen Gruppe zugeordnet und zeigen dies auch im Profil an. Weltweit haben davon rund ein Drittel aller User Zugang zu den Filtern. Entweder weil sie die Webseite nutzen oder in der App bezahlen. 34.480 nutzen dann auch diese Suchfunktion nach Ethnie. Davon aber eine ĂŒberwĂ€ltigenden Mehrheit nach spezifischen Ethnien und in der Regel nicht die Eigene. 1.577 haben alle Optionen bis auf eine ausgewĂ€hlt, was man als ausfiltern ansehen kann. Dass dies jetzt bei allen aus rassistischen Motiven geschieht wage ich aber auch zu bezweifeln. Ich empfinde es bei aller berechtigten Kritik und notwendigen Diskussion sogar als recht beruhigend, dass die Neugier auf das Andere im sexuellen und partnerschaftlichen Begehren so deutlich dominiert und das auch ĂŒber alle kĂŒnstlichen „Ethniengrenzen“ hinweg. Wir werden daher die Funktion von „Filter” in „Suche” umbenennen. Das reflektiert die Nutzung besser. Wie die Zahlen bei unseren Mitbewerbern und in den USA ausschauen kann ich natĂŒrlich nicht beurteilen.

„Was verhindern wir, wenn wir das technisch unterbinden und quasi verstecken?“ 

Trotzdem transportiert die technische Funktion, Menschen nach ethnischen Merkmalen zu markieren, Rassismen. Wir kennen durch die Globalisierung alle solche Beispiele: „Woher kommst Du denn, du siehst nach 
“ – „
 Hodenhagen. Bei Hannover.“ Warum wollt ihr das trotzdem weiter mitmachen?

Ja, das kann ich gut verstehen. Daher ist die Auswahl der eigenen Ethnie auch freiwillig. Ablehnung ist immer schmerzhaft, beim Dating und auch sonst. Es stellt sich aber die Gegenfrage: Was verhindern wir, wenn wir das technisch unterbinden und quasi verstecken? In Amsterdam ist es ganz normal zu fragen wo jemand her kommt und keiner hat da negative Gedanken. Sicherlich kann die Frage auch rassistisch gemeint sein, aber das ergibt sich sicherlich schon aus den UmstĂ€nden. Allgemein die Toleranzschwelle abzusenken, wird zu Unsicherheit und Tabuisierung fĂŒhren. Meine BefĂŒrchtung ist, dass wir dadurch langfristig nur die Ablehnung verstĂ€rken und der Umgangston rauer wird.

Foto: Jakob Voges / voges-design.com

ROMEO gibt es nĂ€chstes Jahr 20 Jahre. Anders als Eure jĂŒngeren Mitbewerber könnt ihr schon auf mehrere große Themen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen zurĂŒckblicken. Hilft das?

Ja. Und egal, wie ich es jetzt ausdrĂŒcke, wird es sicher der KomplexitĂ€t beider Themen nicht gerecht, aber vielleicht hilft es, unsere Perspektive besser zu verstehen. Bareback war eines der grĂ¶ĂŸten Themen vor inzwischen schon recht langer Zeit. Vor Schutz durch Therapie und PrEP. Uns wurde damals in vielen erregten Nutzeranfragen immer wieder nahegelegt, um es mal freundlich zu formulieren, dass wir die Angaben zu Safer Sex gefĂ€lligst abzuschaffen hĂ€tten, Gruppen dazu zu löschen etc. ... Aus der heutigen Perspektive mit den Shitstorms und Erregungswellen in den sozialen Medien, wĂ€re es sicher deutlich schwerer gewesen dies durchzuhalten. Aber wir waren und sind an den langfristigen Konsequenzen interessiert. Was im Moment vielleicht sexy oder gut aussieht, weil es technisch beseitigt wird – „Hurra, keiner macht Bareback“ – wird am Ende ja noch viel schlimmer, weil es im Untergrund vor sich hin gĂ€rt. Was sich als PrĂ€ventionsstrategie als richtig erwiesen hat, der offene Umgang und die Debatte ĂŒber sichtbares Verhalten, kann durchaus auch in der aktuellen Situation als Erfahrung herangezogen werden. Es mag nicht so schön aussehen, wenn der Apfel Flecken hat. Es ist aber so rum besser, als wenn er von innen verrottet ist und nur außen glĂ€nzt.

„ZufĂ€lliges Matching, Terminabsprache, Regenbogenburka ĂŒberziehen, treffen, Licht aus – das erscheint glaube ich niemandem als eine gute Alternative.“

In eurem Statement geht es auch um die Profiltexte. Grindr stand vor zwei Jahren dafĂŒr unter Beschuss - Stichwort „No Asians”. Wo zieht Ihr die rote Linie?

Ja, und wir finden das Thema sogar noch viel wichtiger und noch schwieriger als die Suche. Wir haben uns auch dazu die Zahlen angeschaut und nach typischen Wörtern in Bezug auf Ethnie und Body-Shaming gesucht. Wir haben 1.485 gefunden und stichprobenartig angeschaut. Dies kann uns aber nur eine Idee geben, denn wir kennen natĂŒrlich nicht alle Codewörter in allen Sprachen. Zum anderen war ein guter Anteil der gefunden Profile „false positive“ oder nicht zum Thema.  Menschliche Sprache lĂ€sst sich nicht in Checkboxen quetschen und es gibt da keine digitale rote Linie. Als Grundsatz werden wir auch zukĂŒnftig die Beschreibung von sexuellen PrĂ€ferenzen im Profiltext erlauben. Wir erlauben dabei aber keine abwertenden Begriffe oder negativen Kontexte. Man muss sich jeden Fall einzeln anschauen. Es ist nicht so, dass wir das toll fĂ€nden, aber langfristig muss man in Eskalationsstufen denken. Keine Suche nach Ethnien fĂŒhrt zu einer Abwanderung in den Profiltext. WĂŒrden wir gegen Angaben zu PrĂ€ferenzen vorgehen, wĂŒrde diese in Codewörtern beschrieben. Diese sind dann immer verletzend und können von uns nicht mehr wirksam verhindert werden. Selbst wenn wir dies könnten, wĂŒrden sie in den privaten Chat abwandern. Technisch könnten wird auch dann noch eingreifen, was wir aber weder tun noch vorhaben zu tun. Selbst dann wĂŒrde die Ablehnung immer noch in der realen Welt an der HaustĂŒr passieren. ZufĂ€lliges Matching, Terminabsprache, Regenbogenburka ĂŒberziehen, treffen, Licht aus – das erscheint glaube ich niemandem als eine gute Alternative. Sexuelle PrĂ€ferenzen sind am Ende auch immer diskriminierend. Ich glaube wir mĂŒssen diese akzeptieren und sorgsam einhegen. Am Ende macht der Ton die Musik.

Foto: Jakob Voges / voges-design.com

Das funktioniert bei euren jungen, aber grĂ¶ĂŸeren BrĂŒdern nicht wirklich. Hasskommentare und offene Abwertung sind bei Facebook und Twitter die bestimmenden Themen in der öffentlichen Wahrnehmung. Hast Du eine ErklĂ€rung, warum das bei euch anders ist?

Zum einen geht es bei uns ja erstmal ums Dating und fĂŒr die meisten nicht um die große gesellschaftliche Diskussion. Zum anderen geht es da um ganz andere GrĂ¶ĂŸen. Die Lösung technisch zu suchen erscheint mir weder möglich noch erstrebenswert. Sollen zukĂŒnftig Algorithmen unsere moralischen Standards kontrollieren und so definieren? Hier helfen nur qualifizierte Mitarbeiter und gesellschaftliche Diskussion. Was uns betrifft, bei uns bleibt man ja auch sehr hĂ€ufig, wenn man einen Partner gefunden hat. Wir stehen vielleicht mehr auch fĂŒr Freundschaften. Jedenfalls haben wir sehr viele Mitglieder die schon lange dabei sind. Ich glaube das hilft dabei User zu motivieren, uns VerstĂ¶ĂŸe zu melden. Und dann muss man sich auch darum kĂŒmmern. Unsere großen BrĂŒder könnten und sollten sich das auch leisten.

Es lĂ€sst sich ja vortrefflich streiten wenn man selber nicht betroffen ist. Habt ihr nicht Angst, dass ihr die Alltagsdiskriminierung selber gar nicht mitbekommt. Stichwort „White Supremacy”?

Ich verstehe die Problematik, aber eine Ethnie von der Diskussion auszuschließen und als TĂ€ter zu klassifizieren, hat selber den Beigeschmack des Rassismus und erscheint mir nicht zielfĂŒhrend. Wenn du in Amerika zum Beispiel die App „Adam for Adam“ nutzt, die hauptsĂ€chlich von People of Coulor genutzt wird, siehst du fast auf der HĂ€lfte der Profile die Angabe „keine Weißen“. Das ist natĂŒrlich persönlich und individuell keine schöne Erfahrung. Ich finde das aber andererseits sehr beruhigend. Denn auch unsere Zahlen zeigen das die Sucheinstellungen und unfreundliche Profiltexte weltweit und bei allen Ethnien Ă€hnlich vorkommen. Das zeigt doch, dass wir im Grunde alle gleich ticken. Solche gesellschaftlichen Konflikte kann man langfristig immer nur gemeinsam lösen.

„Wie bei jedem Werkzeug, steht dem natĂŒrlich das Missbrauchspotential gegenĂŒber.“

Glaubst Du denn das das Internet und Dating Apps wie eure eher Teil des Problems oder der Lösung sind. Was glaubst du wie es weitergeht?

Ich glaube Beides. Wir leben in einer Zeit, in der alle die gleichen Nachrichten, die gleichen Netflix-Serien, dasselbe Facebook nutzen und in der wir dadurch weltweit eine gewisse Angleichung erleben. Ich finde das gut, denn jeder hat erstmals die Chance dabei zu sein. Daraus ergibt sich aber auch viel Konfliktpotential. Denn moralische Normen und Verhaltensweise und deren Wahrnehmung sind weltweit recht unterschiedlich. Ich selbst bin mit einem Inder verheiratet und habe dadurch ganz gute Einblicke in die indische Gesellschaft. Die hat ganz andere Probleme mit Rassismus, als wir hier. Aber auch da entwickelt sich durch den Austausch mit anderen Kulturen und Gesellschaften viel und das sehr schnell. Das Internet im allgemeinen und auch wir sind glaube ich gute Beschleuniger fĂŒr diesen gesellschaftlichen Wandel. Wie bei jedem Werkzeug, steht dem natĂŒrlich das Missbrauchspotential gegenĂŒber. Technische Filterblasen, die zur Selbstvergewisserung fĂŒhren und offenen Austausch behindern. SilberhuttrĂ€ger, die sich weltweit zusammenschließen. Eine AnonymitĂ€t, die inakzeptable Inhalte und Formen fördert und dies mit großer Reichweite. Es wird die Frage sein, wie wir damit gesellschaftlich umgehen. Man könnte dies vermutlich am besten mit der katholischen Kirche vergleichen, die mit dem Buchdruck ihr Wissensmonopol verloren hatte. Der Index der Verbotenen BĂŒcher hat sich dann schnell zur inoffiziellen Bestsellerliste verwandelt. Wir sollten diesen Fehler beim Internet nicht wiederholen. Ohne Frage muss gegen strafrechtlich relevante Inhalte konsequent vorgegangen werden. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. Andererseits sollten wir uns aber auch entspannen. Nicht jede Diskussion ist automatisch relevant, nur weil sie auf Twitter trendet und besonders laut erscheint. Wir stecken gesellschaftlich bei der Nutzung des Internets immer noch in den Kinderschuhen.

*Interview: Christian Knuth


www.planetromeo.com

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