#Stolz: Zwischen LGBTIQ*-Posts und rechtspopulistischer Hetze

Eine Analyse der Verwirrung

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Die Wörter „Stolz“ und „Pride“ sind in der deutschen und englischen Sprache verwandt und doch unterscheiden sie sich in ihrer Bedeutung und Verwendung. Aufgrund ihrer teilweisen Überschneidung und ihrer kulturellen Implikationen kann es zu Verwechslungen kommen  – mit weitreichenden Reichweitenwirkungen, wie ein aktuelles Beispiel vermuten lässt. 

Pride vs. Stolz in der Sprache

Das deutsche Wort „Stolz“ ist ein Begriff, der oft mit positiven Gefühlen und persönlicher Zufriedenheit in Verbindung gebracht wird. Er drückt das Gefühl der Befriedigung über die eigene Leistung oder die Errungenschaften einer Gruppe aus. „Stolz“ kann sich auf persönliche Eigenschaften, nationale Identität, kulturelle Werte oder familiäre Verbundenheit beziehen. Seit dem Aufstieg rechtspopulistischer Strömungen ist er aber immer enger mit einem nationalistischen Gebrauch verquickt. 

Im englischen Sprachraum wird das Wort „Pride“ häufig verwendet, um eine ähnliche Bedeutung wie „Stolz“ auszudrücken. Es steht für ein Gefühl der Zufriedenheit, Selbstachtung und Wertschätzung für das eigene Selbst oder eine bestimmte Gruppe. Allerdings hat „Pride“ auch eine spezifische Konnotation, die sich auf die LGBTIQ*-Bewegung bezieht. Der Begriff „Pride“ wurde als positiver Ausdruck der Selbstakzeptanz, des Zusammenhalts und des Kampfes für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans, Intersexuellen und Queeren geprägt. Die  Queer-Community verwendet den Begriff „Pride“ als Symbol für ihre Sichtbarkeit, Gleichberechtigung und Würde.

Pride vs. Stolz in den sozialen Netzwerken

Der Hashtag #Stolz kann unter Umständen sowohl von der LGBTIQ*-Community als auch von rechtspopulistischen Gruppierungen genutzt werden. Insbesondere in den großen sozialen Netzwerken kann dies unbewusst für die Schreibenden durch die interne Übersetzung durch Algorithmen geschehen. Die Gleichungen hinter Plattformen wie Facebook oder Twitter können den Kontext und die spezifische Bedeutung nicht immer korrekt erkennen, um so mehr, wenn es sich um so feine sprachliche Nuancen oder kulturelle Konnotationen handelt, wie bei diesem Wortpaar.

Wenn ein rechtspopulistischer Beitrag beispielsweise auf Deutsch mit dem Hashtag #stolz oder #stolzmonat versehen wird, kann dies für den Algorithmus in einer englischen Umgebung irreführend sein. Aufgrund der Verbindung des englischen Begriffs „Pride“ mit den CSDs, dem Pride-Month und der Queercommunity, könnte der Algorithmus den Beitrag fälschlicherweise als LGBTIQ*-Beitrag einordnen. Dies führt  dann unter Umständen dazu, dass rechtspopulistische Inhalte unter dem Deckmantel des Hashtags für LGBTIQ*-Posts eine unerwünscht hohe Reichweite erhalten. Ob das im aktuellen Fall der AFD-Hetze mit dem Hashtag #Stolzmonat passiert, entzieht sich den technischen Möglichkeiten der Recherche. Zumindest für uns als Redaktion. Mutmaßen können wir zumindest aus eigener Erfahrung:

Stolz vs. Pride beim Targeting von Werbeanzeigen

Seit Facebook das sogenannte Microtargeting aufgrund zahlreicher belegter Missbräuche radikal eingeschränkt hat, ist es nicht mehr möglich, Werbeanzeigen zum Beispiel für queere Medien wie die Zeitschrift blu oder einen Film von Salzgeber an eine Zielgruppe mit dem Merkmal Gay, Gay-Pride oder LGBTIQ* auszuliefern. Dies ist für viele kleinere Institutionen und Firmen der Queer-Community äußerst ärgerlich, weil Facebook ihnen die Zielgruppenwerbung so gut wie unmöglich macht. Für größere Player, wie zum Beispiel auch unser Netzwerk rund um männer* können wir beim Targeting immerhin noch auf eine riesige eigene Fanbasis zurückgreifen, die recht homogen analysierbar ist. 

Warum dieser Ausflug in den Maschinenraum nötig war, nun zusammengefasst: Als Facebook sein Micro-Targeting ein eingedampft hat, haben unsere Verlagskaufleute und SoMe-Nerds viel herumexperimentiert und sind dabei selbst auf den „Algorithmus-Bias" mit Stolz und Pride gestoßen. Eine zeitlang war es möglich, mit der Eingrenzung des Zielgruppen-Targetings mit dem deutschen Wort Stolz, ganz signifikant Queers zu erreichen. Nicht, ohne gleichzeitig auch deutsche Nationalisten anzusprechen, aber es war eindeutig eine Vermischung beider Begriffe. Wie oben beschrieben, ist es für unser Unternehmen allerdings wesentlich sinnvoller und im wahrsten Sinne des Wortes zielführender, unsere Fanbasis anzusprechen, weshalb wir die Versuche recht schnell wieder einstellten.

Ob rechte Netzwerke gerade ähnlich agieren und die Zweideutigkeit von Stolz und Pride für ihre Hetze nutzen, können wir nur vermuten. Ein Teil der Erklärung für den riesigen SoMe-Erfolg von #stolzmonat im #pridemonth könnte es sein. 

Die Lehren aus Pride vs. Stolz

Um Missverständnisse zu vermeiden, ist es entscheidend, dass die Bedeutung und Verwendung von Begriffen wie „Stolz“ und „Pride“ in einem klaren Kontext verstanden werden. Wir als LGBTIQ*-Community haben mit dem Wort „Pride“ einen spezifischen Begriff geprägt, der unsere Identität und unseren Kampf um Gleichberechtigung repräsentiert. Im deutschen Sprachraum sollten wir sensibel sein und sicherstellen, dass der Begriff „Stolz“ in einem inklusiven und respektvollen Kontext verwendet wird, um eine Verwechslung mit rechtspopulistischen Tendenzen zu verhindern. Zum Beispiel können wir versuchen, bewusst Hashtags mit dem Wort Stolz mit eindeutig queeren Hashtags zu nutzen, um den Rechten ihre aktuelle Nutzungshoheit zu entreißen. 

Foto: Stefanie Loos / AFP

Die Situation verdeutlicht aber auch die Herausforderungen, denen Social-Media-Plattformen bei der Entwicklung von Algorithmusberechnungen zur Bewältigung sprachlicher und kultureller Unterschiede gegenüberstehen. Es wird deutlich, dass eine automatische Übersetzung allein nicht ausreicht, um die Feinheiten und Bedeutungen von Hashtags in verschiedenen Sprachen und Kontexten angemessen zu erfassen. Um solche Missverständnisse zu vermeiden und die Manipulation von Hashtags zu unterbinden, ist es entscheidend, dass die Plattformen kontextbezogene Strategien entwickeln, um die Bedeutung und Verwendung von Hashtags genauer zu verstehen. Eine manuelle Überprüfung oder eine Kombination aus menschlicher Überwachung und KI-gestützten Algorithmen könnte dazu beitragen, solche Missverständnisse zu minimieren und die Integrität von Hashtags zu wahren.

Mensch muss sie nur entwickeln – und selbstverständlich dann auch anwenden. Bis dahin werden wir auf die Macht unserer eigenen Ideen und die schiere Größe unserer Communitys angewiesen sein. In diesem Sinne:

🦄 Happy #PrideMonth, happy #Stolzmonat, be #proud, be #queer, be #loud! 🏳️‍🌈

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