TDoV: Sichtbarkeit, aber nicht so!

Sichtbarkeit der Lebenswirklichkeit von Trans statt Trauer um die vielen, die weltweit der Transphobie, dem Hass zum Opfer fallen. Das ist die Idee hinter dem „Transgender Day of Visibility“, dem Tag der Transsichtbarkeit. Seit 2009 wird er von den USA ausgehend inzwischen weltweit am 31. März begangen.

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Warum er so nötig ist, zeigt aktuell die amerikanische Tragödie eines Schulmassakers in Nashville, Tennessee. Genauer, die Reaktionen darauf. In den USA, wie hierzulande. 

Das Massaker von Nashville

Foto: Brendan Smialowski / AFP

Der 28-jährige Audrey Hale1), der am 27. März in der christlichen Privatschule Covenant School in Nashville drei neunjährige Kinder, die Schulleiterin und zwei weitere Mitarbeiter der Schule erschossen hatte, befand sich wegen psychischer Probleme in ärztlicher Behandlung. Hale habe unter einer „emotionalen Störung“ gelitten, sagte Nashvilles Polizeichef John Drake am Dienstag, ohne nähere Angaben zu machen. „Ihre Eltern waren der Auffassung, dass sie keine Waffen besitzen sollte.“

Die Eltern seien davon ausgegangen, dass Hale die einzige Waffe in seinem Besitz verkauft habe, sagte Drake weiter. „Es stellte sich heraus, dass sie mehrere Waffen im Haus versteckte.“ Den Angaben zufolge hatte Hale legal in fünf verschiedenen Waffengeschäften sieben Schusswaffen gekauft. Drei davon – zwei halbautomatische Gewehre und eine Pistole – hatte er bei seinem Angriff am Montag bei sich. Das Motiv für die Bluttat ist bis heute unklar. Hale hatte die Grundschule als Kind selbst besucht und hegte nach Drakes Worten womöglich „Groll“ gegen die Einrichtung.

Foto: Seth Herald / Getty Images / AFP

Fest steht, dass die Tat offenbar genau geplant wurde. Die Polizei fand ein „Manifest“ und eine Karte der Schule mit den Zugängen zum Gebäude. Laut Polizeichef Drake hatte es Hale aber nicht auf bestimmte Schüler*innen und Schulmitarbeiter*innen abgesehen.

Transphobie fördernde Berichterstattung

Neben dem allgemeinen Entsetzen und den Mitleidsbekundungen gegenüber den Hinterbliebenen der Opfer des Massakers, von dem es ähnlich in den USA alleine in diesem Jahr bereits 130 gab (Quelle), wurde die geschlechtliche Identität des Täters in rasender Geschwindigkeit Thema in vielen Medien und sogar ein Politikum. Fast so, als hätte es Debatten um Persönlichkeitsmerkmale, Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe, Ausländerhetze und Antisemitismus im Zusammenhang mit Straftaten nie gegeben, ist auch in Deutschland zu lesen: 

„Nashville: Transgender-Frau erschießt mehrere Menschen an US-Grundschule“ (NZZ)

oder bei den Meistern der Subversion:

„Täterin fühlte sich als Mann : Nashville-Killerin (28) griff Schule mit Sturmgewehren an“ (Bild)

und zunächst

„Trans Person erschießt Kinder | Was das Massaker von Nashville heraushebt“ (Tagesspiegel)

Der Tagesspiegel änderte die oben genannte Überschrift bereits kurz nach der Veröffentlichung des hervorragend recherchierten und formulierten Artikels. Sie lautet nun „Kinder an Grundschule erschossen | Was das Massaker von Nashville heraushebt“. Die Unternehmenskommunikation des Tagesspiegel erklärte dazu auf Anfrage von männer*: 

„Wir haben die von Ihnen angesprochene Überschrift – leider erst nach der Veröffentlichung – als problematisch erkannt und dies intern besprochen. Wir waren uns einig, dass hier ein Fehler gemacht wurde. Dementsprechend haben wir die Änderung zügig vorgenommen.“

Der Tagesspiegel hält sich damit an den Grundsatz des Journalismus, in Presseberichten allgemein und insbesondere solchen über Straftaten, die Persönlichkeitsrechte und die Würde der Beteiligten zu wahren1). Es herrscht breiter Konsens darüber, dass Merkmale wie die Religion, Herkunft oder eben auch die Transidentität eines Tatverdächtigen nur dann erwähnt werden sollten, wenn sie für das Verständnis des Tatgeschehens oder des Tatmotivs relevant sind. Andernfalls besteht die Gefahr, dass transidente Menschen allgemein stigmatisiert, stereotypisiert oder als Sündenböcke dargestellt werden. Dies kann zu einer weiteren Ausgrenzung und Diskriminierung dieser gesellschaftlichen Gruppe führen. 

Quod erat demonstrandum:

Trans Community ist zur Zielscheibe geworden

Foto: Drew Angerer / Getty Images / AFP

Für die rechtsextreme Republikanerin Marjorie Taylor Greene etwa ist klar, dass nicht die Waffengesetze das Problem sind. Auf Twitter spekulierte Greene über die Auswirkungen von „Testosteron“-Therapien und „Medikationen bei mentalen Erkrankungen“.

Mit dem Begriff „Trans-Terrorismus“, den auch Fox-News Anchorman Tucker Carlson im Zusammenhang mit Berichten über Nashville nutzt, hebt die extreme Rechte der USA die Versuche, eine Verbindung zwischen Transgender-Identität und Gewalt herzustellen, auf eine neue Ebene.

Es wird ein Klima konstruiert, in dem Trans nun nicht mehr „nur“ eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen, weil sie angeblich traditionelle Geschlechterrollen und Werte untergraben. Sie beschuldigen Trans nun auch, Teil einer linken Verschwörung zu sein, die das Christentum zerstören will und dies gewalttätig forciert. 

AfD kopiert Fox und Green

Auch der familienpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Martin Reichardt, stimmt in die transfeindliche Hetze ein und fantasiert auf Twitter über „die radikalisierte Transsexuelle“. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels ist er damit allerdings weniger erfolgreich als transfeindliche Kampagnen der letzten Monate, wie die von TERFs um Marie-Luise Vollbrecht, die mit vermeintlichen Einschränkungen der Freiheit der Wissenschaft und Lehre von sich Aufsehen machte, oder die unsäglichen Ausfälle rund um die tödliche Attacke auf Trans Mann Malte beim CSD Münster im vergangenen Jahr.

Madonnas Drag-Unterstützung angegriffen

In den USA wird derweil sogar das – zurecht scharf kritisierte – Gesetz zum Verbot von Auftritten von Dragqueens in Tennessee plötzlich mit der Tat in Verbindung gebracht. Madonna kündigte ein Solidaritätskonzert mit Drag-Begleitung und Spende für örtliche LGBTIQ*-Organisationen in Nashville an.

Der Musik Express beschreibt, wie die Queen of Pop nun in den Strudel aus Verdrehung, Missinformation und Hass hineingezogen wird: 

„„Bob“ meint Bob the Drag Queen, eine Performerin, die Madonna als Support-Act während der ganzen „Celebration“-Tour und offenbar auch für diesen Bonus-Termin begleiten wird. {...} Madonna reiht sich in eine Tradition der Kritik an derlei Gesetzen ein, die auf ihre meist vage Formulierung zielt. Die Unsicherheiten, die sie erschaffen, resultieren daraus, dass Beobachter*innen im Falle Tennesses zum Beispiel fürchten, eine weite Auslegung der Regelung könne zur staatlichen Vollstreckung einer restriktiven Kleiderordnung im öffentlichen Raum führen.  {...} Kurz nachdem Madonna die Ankündigung postete, ereignete sich in Nashville ein Amoklauf an einer christlichen Grundschule. {...} In den sozialen Medien haben sich derweil eine Reihe Personen formiert, die sein Handeln exemplarisch als das eines Trans-Mannes begreifen wollen. Sie werfen zudem Madonna vor, mit ihrer Ankündigung Gewalt zu unterstützen.“

(Quelle)

Sicher ein zu vernachlässigendes Details, dass die Kunst der Travestie nichts mit Transgeschlechtlichkeit zu tun hat. Zumindest für die Greens und Carlsons dieser Welt. 

TDoV-Kundgebung abgesagt

Wie eingangs beschrieben, findet heute in den USA und anderen Ländern der alljährliche Tag der Transsichtbarkeit statt. Eine in Nashville geplante Kundgebung zur Unterstützung von trans- und homosexuellen Jugendlichen ist allerdings abgesagt worden. Als Gründe wurden Sicherheitsbedenken und laufende Trauerbewältigung genannt. Die Absage erfolge

„zur Sicherheit der jungen Leute und auch, um uns auf die Heilung der Menschen in der Stadt zu konzentrieren“,

teilten die Organisatoren in einer E-Mail gegenüber AFP mit.

Es ist zu hoffen, dass dafür anderswo um so größere sichtbare Unterstützung für die von so vielen Seiten angegriffene Trans Community gezeigt wird. Gerade jetzt.

*sah/ck/AFP/fs/kbh/yb/ck


1) Wir verwenden in der Berichterstattung die Pronomen er/ihn. Audrey Hale wurde mit biologisch weiblich gelesenem Geschlecht geboren, identifizierte sich auf Online-Plattformen als Mann und benutzte seit einiger Zeit männliche Pronomen. Es gehört ebenfalls zu den journalistischen Gepflogenheiten, die richtigen Pronomen und Namen zu verwenden, die von den Betroffenen gewünscht werden, selbst wenn es sich um mutmaßliche oder erwiesene Täter*innen handelt. 

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