‚Zero‘ Love in Katar

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Der Deutsche Fußball-Bund will sich im „One Love“-Zoff mit der FIFA nicht geschlagen geben und hat die nächste Eskalationsstufe im Visier. Dabei prüft der DFB rechtliche Schritte gegen den Weltverband, damit Kapitän Manuel Neuer im Spiel gegen Japan die umstrittene Binde doch noch tragen kann.

„Die FIFA hat uns ein Zeichen für Diversität und Menschenrechte verboten. Sie hat dies mit massiven Androhungen sportlicher Sanktionen verbunden, ohne diese zu konkretisieren“, sagte DFB-Sprecher Steffen Simon auf Anfrage des SID zum One-Love-Verbot der FIFA. Laut BILD könnte der DFB vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) ziehen. Es werde die Möglichkeit eines sogenannten Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz bei der Ad-Hoc-Division des CAS geprüft, heißt es. Der CAS teilte der Nachrichtenagentur AFP gestern Abend mit, dass er bisher „noch nichts erhalten“ habe. Grundsätzlich sollte der Fall aber laut Statuten erst einmal bei der FIFA-Beschwerdekommission landen. Für diese Art einer Auseinandersetzung gebe es beim CAS keinen Präzedenzfall.

Spieler enttäuscht

Foto: Andrej Isakovic / AFP

Die deutschen Fußball-Nationalspieler haben mit großem Unverständnis auf das FIFA-Verbot reagiert. „Wir als Mannschaft begrüßen jedes Zeichen für Vielfalt und gegen Diskriminierung. Dass die FIFA nun viele Wochen nach Kenntnis der Gemeinschaftsaktion Strafen für das Tragen androht, ist nicht nachzuvollziehen“, sagte Leon Goretzka den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der Freiburger Christian Günter gab in der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten zu Protokoll, dass er das Verbot „befremdlich“ findet, Niclas Füllkrug verurteilte es in der Augsburger Allgemeinen als „enttäuschende Entscheidung“.

Die DFB-Auswahl will auch ohne die inzwischen berühmte Binde um den Arm von Kapitän Manuel Neuer beim heutigen WM-Auftakt gegen Japan in Doha Flagge zeigen. „Wir stehen weiter für unsere Werte ein“, sagte Füllkrug. Einig sind sich Goretzka und Füllkrug darin, dass man den Disput „nicht auf dem Rücken der Spieler austragen darf“.

Das sieht auch Wortführer Thomas Müller so. Der Routinier verteidigte den DFB und die Spieler. „Wer von uns Fußballern erwartet, dass wir unseren Pfad als Sportler komplett verlassen und unsere sportlichen Träume, für die wir ein Fußballerleben lang gearbeitet haben, aufgeben, um uns politisch noch deutlicher zu positionieren, der wird enttäuscht sein“, schrieb Müller am Dienstagabend bei Instagram.

Auch Bundestrainer Hansi Flick schaltete sich am Abend vor dem Auftaktspiel in die Debatte ein. Er finde es „schade, dass man für Menschenrechte nicht mehr einstehen darf“, sagte der 57-Jährige. Auch die Spieler seien „sehr, sehr unzufrieden und geschockt, dass so etwas nicht machbar ist, weil es ein Zeichen ist für Menschenrechte und Vielfalt“. Die Frage, ob das Team ein anderes Zeichen setzen werde, ließ Führungsspieler Joshua Kimmich offen.

Sponsoren reagieren

Zuvor war bereits eine neue Dynamik entstanden. Denn erst flimmerte ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann bunt in die Wohnzimmer, dann sprangen sogar die Sponsoren der Protestbewegung zur Seite. Nach dem WM-Verbot der „One Love“-Binde und der Kritik am abgeblasenen Aufstand des DFB gegen die FIFA hatte sich breiter Widerstand gegen das Gebaren der Fußballverbände formiert.

Als erster großer Sponsor beendete Rewe am Dienstag die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB). „Die skandalöse Haltung der FIFA ist für mich als CEO eines vielfältigen Unternehmens und als Fußballfan absolut nicht akzeptabel“, sagte Rewe-Boss Lionel Souque in einer Mitteilung des Handelsriesen: „Wir stehen ein für Diversität – und auch Fußball ist Diversität. Diese Haltung leben wir und diese Haltung verteidigen wir - auch gegen mögliche Widerstände.“ Rewe sehe sich gezwungen, sich „in aller Deutlichkeit von der Haltung der FIFA zu distanzieren und auf seine Werberechte aus dem Vertrag mit dem DFB – insbesondere im Kontext der Weltmeisterschaft – zu verzichten“, hieß es weiter.

Gleichzeitig forderte der Sportartikelriese adidas als FIFA- und DFB-Partner eine liberale Haltung. „Wir sind davon überzeugt, dass Sport offen für alle sein muss“, teilte adidas-Sprecher Oliver Brüggen dem SID mit: „Wir unterstützen unsere Spieler*innen und Teams, wenn sie sich für positiven Wandel einsetzen. Sport bietet wichtigen Themen eine Bühne. Es ist unerlässlich, die Diskussion fortzuführen.“

Foto: Andre Pain / AFP

Die Debatte hatte zuvor auch Claudia Neumann befeuert. Die ZDF-Kommentatorin zeigte mit Regenbogen-Shirt plus Binde jenes Rückgrat, welches Kritiker*innen zuvor beim DFB und seinen Verbündeten vermisst hatten. „Ich möchte damit ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz setzen“, sagte Neumann, die beim Spiel zwischen den USA und Wales (1:1) in ihrer „Vielfalts“-Uniform mutig auf der Reportertribüne saß, dem SID.

Doch nicht nur Neumann forcierte die Diskussion. TV-Sender wie Pro7 zeigten das „One Love“-Symbol in ihrem Programm. Andere Medienvertreter schlossen sich weltweit dem Protest an. Auch in den Zeitungen war das Thema omnipräsent: „Liebe hat verloren, Hass hat gewonnen“, schrieb die Times, „Es ist beschämend“, urteilte der Schweizer Blick.

Politiker*innen kritisieren

Zudem machen zahlreiche Politiker Druck. Linke und liberale Abgeordnete des Europarlaments, die zum Teil mit der „One Love“-Binde am Arm redeten, sprachen unter anderem von einer „WM der Schande“ und forderten den Rücktritt von FIFA-Chef Gianni Infantino. US-Außenminister Antony Blinken findet es „immer besorgniserregend, wenn wir Einschränkungen der Meinungsfreiheit sehen“, Innenministerin Nancy Faeser nannte die Entscheidung „sehr befremdlich“ und richtete einen Appell an die FIFA. „Es muss doch heutzutage möglich sein, für Offenheit, Vielfalt und gegen Diskriminierung einzutreten“, sagte Faeser im Interview mit den ARD-Tagesthemen.

Robert Habeck forderte gestern Abend in der Sendung „Markus Lanz“ etwas verklausuliert dazu auf, die Binde jetzt erst recht zu tragen. Es gebe keinen unpolitischen Sport mehr, so Habeck. Leider wird der Wirtschaftsminister beim heutigen Auftaktspiel der deutschen Mannschaft nicht vor Ort sein, um im Notfall auszuhelfen. Aber die Idee, dass die Politik einspringt, wenn der Sport nicht darf, die finden wir klasse, Frau Faeser!

*AFP/SID/sah


Update:

Deutschlands Spieler halten sich aus Protest für das WM-Foto den Mund zu

Weil sie mundtot gemacht wurden, hielt sich die deutsche Mannschaft beim Fototermin für das WM-Foto demonstrativ den Mund zu.

Foto: Ina Fassbender / AFP

Und auch Nancy Faeser setzte ein Zeichen! Die SPD-Politikerin versteckte die Binde zunächst unter ihrem Blazer. Erst im Verlauf der ersten Halbzeit, als Faeser den Blazer auszog, wurde sie sichtbar.

Quelle: https://twitter.com/NancyFaeser

Zwischen FIFA-Präsident Gianni Infantino (li.) und DFB-Präsident Bernd Neuendorf (re.) verfolgte sie das Spiel.

Foto: Ina Fassbender / AFP

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