Brasilien und Ungarn kippen Blutspendeverbot – Deutschland nicht

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Aus Brasilien und Ungarn gibt es Verbesserungen für die Community zu vermelden: Das Blutspendeverbot für MSM wurde dort nun aufgehoben – ausgerechnet in zwei von queerfeindlichen Präsidenten regierten Staaten. Heute wurde im Bundestag im Rahmen der Corona-Gesetzgebung immerhin ein Fortschritt erreicht. Die Opposition ist enttäuscht. 

Brasiliens Justiz legte vor …

Eines vorweg: Das Weltbild darf bleiben wie es ist, Jair Bolsonaro ist noch immer homophob. Er hatte mit der bahnbrechenden Entscheidung in Brasilien nichts zu tun. Das Oberste Gericht des Landes, das Supremo Tribunal Federal, entschied am Sonntag mit einer Mehrheit von sieben zu vier Stimmen, dass das Blutspendeverbot verfassungswidrig ist.

Vier Jahre dauerte der Kampf vor Gericht. Das Verbot hatte zuvor festgelegt, dass MSM zwölf Monate lang enthaltsam leben müssen, bis sie Blut spenden dürfen. Eine solche Regelung gibt es seit 2017 auch in Deutschland. Ein solches Verbot verstoße laut Edson Fachin, einem der Richter des Supremo Tribunal Federal, nicht nur gegen die Verfassung des Landes, sondern auch gegen die Menschenwürde bisexueller und schwuler Männer.

In seiner Urteilserklärung klagte Fachin an:

„Anstatt dass der Staat es diesen Menschen ermöglicht, durch Blutspenden Gutes zu fördern, schränkt er die Solidarität aufgrund von Vorurteilen und Diskriminierung unangemessen ein“.


... Ungarn zog nach

Auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán machte sich bereits einen Namen als Queerfeind und brachte das Land in Verruf. So nutzte er zum Beispiel die Corona-Krise, um die staatliche Anerkennung für Transsexuelle zu streichen und sie somit praktisch ihrer Existenz zu berauben (wir berichteten). Rückwirkend ab dem 1. Januar gilt nun ein Gesetz, das Männern, die Sex mit Männern haben, die Blutspende ermöglicht – solange sie kein sexuelles Risikoverhalten pflegen.

Die größte ungarische Queerorganisation Háttér begrüßte die Gesetzesänderung. Nun sei endlich die Diskriminierung Geschichte, die auf dem Geschlecht von Beziehungspartnern beruhte. Immerhin sei eine monogame Beziehung zweier Männer nicht riskanter als eine monogame heterosexuelle Beziehung, so die Organisation.

Ungarn und Brasilien haben damit fortschrittlichere Gesetze als Deutschland – während das sexuelle Risikoverhalten in immer mehr Ländern als Maßstab unabhängig von der sexuellen Orientierung als Maßstab gilt, wird hier auch monogam lebenden MSM noch immer verboten, Blut zu spenden. 

Wie von Brandenburg angesprochen, liberalisierten mehrere andere Länder innerhalb der letzten Wochen ihre Blutspenderegeln: In Ungarn und Brasilien wurden Homo- und Heterosexuelle etwa gleichgestellt. In den USA wurde das Zeit des Sexverbotes für schwule und bisexuelle Männer von zwölf auf drei Monate gesenkt (wir berichteten).


In Deutschland geht es nur Schrittweise voran

Im Rahmen der Schlussabstimmung über das „Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ hat der Bundestag am Donnerstagmorgen auch eine Ergänzung des Transfusionsgesetzes beschlossen. In Zukunft soll regelmäßiger über die aktuellen Blutspendebeschränkungen beraten werden:

Foto: R. Spekking / CC BY-SA 4.0 / wikimedia.org


„Die Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von bestimmten Personengruppen von der Spende führt, ist im Fall neuer medizinischer, wissenschaftlicher oder epidemiologischer Erkenntnisse zu aktualisieren und daraufhin zu überprüfen, ob der Ausschluss oder die Rückstellung noch erforderlich ist, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau von Empfängerinnen und Empfängern von Blutspenden sicherzustellen.“

Während Bündnis90/Grüne diesen Schritt als unzureichend und einen „Skandal“ bezeichnen, lobt die FDP die Änderung als „eine wichtige Klarstellung im Gesetzestext“. Der Sprecher für LSBTI der FDP-Bundestagsfraktion Jens Brandenburg konkretisiert: 

„Den Worten muss die Bundesregierung aber auch Taten folgen lassen. Wenn sich die Bundesärztekammer nicht bewegt, muss eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen oder geschlechtlichen Identität klipp und klar im Transfusionsgesetz ausgeschlossen werden. ... 12 Monate Enthaltsamkeit sind medizinisch unnötig und völlig lebensfremd. “

Damit bewegt sich die FDP näher an der Intention der Mütter und Väter des Transfusionsgesetzes, das – wie auch das Infektionsschutzgesetz – unter der rot-grünen Regierung Schröder verabschiedete wurde. 

Diskriminierung nicht staatlich verordnet!

Die Macher der beiden Gesetzeswerke hatten 1998 peinlich genau darauf geachtete, dass gerade nicht politische Entscheidungen Einfluss auf medizinisch notwendige Maßnahmen haben. Das Gesetz wurde wegen seiner Mechanismen der Fachgremien-Entscheidungen weltweit als wegweisend gelobt und vielfach kopiert.

Es ist daher – bei aller berechtigten Kritik an den diskriminierenden Entscheidungen der Bundesärztekammer zur Beschränkung der Blutspende für Homo-, Bisexuellen und Trans* – nachvollziehbar, weshalb sich der Gesetzgeber schwer damit tut, politisch in den Prozess einzugreifen. Die Ablehnung des durch die Grüne Bundestagsfraktion eingebrachten Änderungsantrages war somit zumindest vorhersehbar. Sollte sich allerdings die Bundesärztekammer auch weiterhin stoisch und gegen wissenschaftliche Fakten nicht zu einer diskriminierungsfreien Bewertung der Richtlinie Hämotherapie bewegen lassen, könnte er schon in kurzer Zeit – und dann mit Unterstützung von DIE LINKE, FDP und gegebenenfalls der SPD – wieder auf der Tagesordnung stehen. 

To be continued, die X-te ...

Die ganze Plenardebatte ist HIER zu finden. 

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